Management

Barrierefrei in die Offizin

Notwendiges Übel oder Zukunftschance für die Apotheke?

Jede Apotheke lebt von ihrer Kundschaft. Dazu gehören aber auch viele Menschen, denen beispielsweise das Überwinden von Stufen Schwierigkeiten bereitet, sei es, weil sie mit einem Rollstuhl fahren, einen Rollator benutzen oder einen Kinderwagen dabeihaben. In der Apothekenbetriebsordnung steht in § 4 Abs. 2a, die Offizin „soll barrierefrei erreichbar“ sein. Daher stellt sich die Frage: Wie viel „Barrierefreiheit“ braucht eigentlich eine Apotheke?
Foto: Lutz Engelhardt

Klingeln und warten, bis jemand aus der Apotheke kommt, ist für Rollstuhlfahrer vermutlich nicht angenehm. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf sah es in seinem Urteil vom 20. Mai 2020 als zumutbar an, mit einem Umbau für etwa 8000 Euro eine Funkklingel und eine mobile Rampe zu ersetzen.

Der Begriff „Barrierefreiheit“ ist in § 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) sowie der darauf aufbauenden landesrecht­lichen Gesetzgebung definiert. In Bezug auf bauliche Anlagen stellt die Begriffsdefinition auf drei wesentliche Eigenschaften ab. In Kurzform: Bauliche Anlagen müssen für jeden auffindbar, zugänglich und nutzbar sein. Dazu definieren die Gesetze, welche Anforderungen dabei gelten. Beispielsweise heißt es darin, es muss in der „allgemein üblichen Weise“ ­erfolgen. Damit wird klargestellt, dass z. B. die Zugänglichkeit zu einer baulichen Anlage auch für Menschen mit Behinderungen über den Weg erfolgen soll, welcher auch allen anderen zur Verfügung steht. Spezielle „Behinderten­eingänge“ sind grundsätzlich aus­geschlossen, da diese nicht gleichbehandelnd bzw. diskriminierend sind. Weiter ist die Rede von „ohne besondere Erschwernis“. Das heißt, prinzipiell können durchaus Erschwernisse auftreten, welche unter bestimmten Bedingungen auch in Kauf genommen werden müssen. Beispielsweise sollen Rollstuhlfahrer eine Tür mit Türschließer betätigen oder eine Rampe vor dem Eingang hinauffahren können. Nur dürfen die Erschwernisse ein bestimmtes Maß nicht überschreiten; welche das sind, regelt die Bauordnung des jeweiligen Bundeslandes. Schlussendlich wird über den Passus „ohne fremde Hilfe“ klargestellt, dass Menschen mit Behinderungen dies selbstständig schaffen sollen. In der Praxis schließt dies beispielsweise Stufen und Schwellen vor, an bzw. unmittelbar hinter Eingängen in die Offizin aus (vgl. Abb. 1).

Foto: Lutz Engelhardt

Abb. 1: Beispiel einer Treppe auf der Innenseite der Offizin – nicht barrierefrei

Weder Rollstuhlfahrer noch Per­sonen mit Rollatoren oder Kinder­wagen können einen solchen Zugang selbstständig, ohne besondere Erschwernis und ohne fremde Hilfe meistern. Umgekehrt endet aber die Barrierefreiheit keinesfalls bei der Schwellenfreiheit eines Gebäudes.

Gibt es gesetzliche Anforderungen?

Seit 2012 heißt es in § 4 Abs. 2a ApBetrO: „Die Offizin muss einen Zugang zu öffentlichen Verkehrsflächen haben und soll barrierefrei erreichbar sein.“ Eine weitere Verständnishilfe gibt es für diese Anforderung in der Apotheken­betriebsordnung nicht. Erst flankierende rechtliche Rahmenbedingungen schaffen Klarheit. Hierzu zählen insbesondere landesbauordnungsrechtliche Vorgaben zu öffentlich zugänglichen Gebäuden – was letztlich jede Apotheke ist – und die darüber als Verwaltungsvorschrift eingeführten Technischen Baubestimmungen, welche die normativen Grundlagen und Richtlinien darstellen. Grund­sätzlich ist dabei zwischen den Be­sucher- und Benutzerverkehr (= Publikumsverkehr) dienenden Bereichen – wozu die Offizin einer Apotheke gehört – und der Arbeitsstätte (z. B. Labor, Büro etc.) zu unterscheiden. Für Letztere gilt das Arbeitsstättenrecht und nicht das Bauordnungsrecht.

Im Klartext bedeutet dies, dass in allen Bundesländern als Maßstab zur Beurteilung und Umsetzung der baulichen Barrierefreiheit die DIN 18040-1:2010-10 „Barriere­freies Bauen – Planungsgrund­lagen – Teil 1: Öffentlich zugäng­liche Gebäude“ gilt. In dieser Norm und durch die Art, wie sie in das jeweilige Bauordnungsrecht des Bundeslands eingeführt ist, wird die bauliche Barrierefreiheit bestimmt. Klingt kompliziert, ist es auch. Denn was in dem einen Bundesland als barrierefrei gilt, ist in einem anderen Bundesland noch lange nicht bindend. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten und Vorgaben, die in allen Bundesländern ihre Gültigkeit haben.

Wie kann die Barrierefreiheit hergestellt werden?

Zunächst definiert die Apothekenbetriebsordnung, dass die Offizin einen barrierefreien Zugang zu öffentlichen Verkehrsflächen (z. B. dem Gehweg) haben muss. Zudem soll sie barrierefrei erreichbar sein – sinnvollerweise über jenen Zugang, welcher von der öffentlichen Verkehrsfläche aus hineinführt.

In der Praxis stellt dies Apotheker vor erhebliche Herausforderungen. Oft befindet sich die Apotheke in Gebäuden, welche mitunter auch schon 100 Jahre alt sind. Schwellenfreie Zugänge gibt es quasi bei solchen Gebäuden nicht. Den wirkungsvollsten Witterungsschutz stellten damals Stufen oder Schwellen dar. Erschwerend kommt hinzu, dass häufig die Offizin unmittelbar von der Grundstücksgrenze aus ­zugänglich ist; beispielsweise bei Innenstadtlagen, wo die Gebäude direkt an der Grundstücksgrenze liegen (vgl. Abb. 2).

Foto: Lutz Engelhardt

Abb. 2: Beispiel einer Treppe auf der Außenseite der Offizin – kein barrierefreier Zugang.

So verwundert es wenig, dass speziell Apotheken mit langer Tradition heute vor der Heraus­forderung stehen, die Offizin barrierefrei erreichbar zu gestalten. Meist tritt die Problematik dann auf, wenn die Apotheke an die nächste Betreibergeneration übergeben werden soll. Praxisnahe barrierefreie Lösungen sind gefragt, welche sich ohne einen unverhältnismäßigen Kostenaufwand umsetzen lassen.

In der Regel bedarf es einer konstruktiven Lösung. Mit anderen Worten, sofern es die Topografie nicht zulässt, kann das Höhen­niveau zwischen Straße und Offizin nur mittels eines Aufzugs, eines Lifts oder einer Rampe überwunden werden. In jedem Fall stellt sich die Frage: Wohin damit? Entweder die Konstruktion kann auf dem Grundstück der Apotheke oder muss – sofern hierzu eine Erlaubnis erteilt wird – im Bereich der öffentlichen Verkehrsfläche (Gehweg) hergestellt werden.

In jedem Fall sind die normativen Vorgaben zum Barrierefreien Bauen zu berücksichtigen. Soll beispielsweise eine Rampe zur Überwindung des Höhenniveaus hergestellt werden, darf diese nur eine Neigung von maximal 6 Prozent aufweisen; das heißt, mit einer solchen Rampe können auf einem Meter Länge sechs Zentimeter Höhenunterschied barrierefrei überwunden werden. Die Länge einer solchen Rampe ist – ohne Zwischenpodest – auf 6 Meter begrenzt. Ein horizontales Zwischenpodest von 1,5 m Länge ermöglicht eine Verlängerung der Rampe um jeweils 6 m. Soll beispielsweise ein Höhenunterschied von 60 cm überwunden werden, beträgt die Länge der Rampe (10 m Rampenlänge + 1,50 m Zwischenpodest =) mindestens 11,5 m.

An einer barrierefreien Rampe sind Radabweiser und beidseitig Handläufe vorzusehen, auch wenn ein Handlauf davon an eine Hauswand anschließt. Die Mindestlaufbreite, d. h. die Breite zwischen den Innenseiten der gegenüberliegenden Handläufe, beträgt 1,20 m. Zudem ist vor und am Ende einer Rampe eine rollstuhlgerechte Bewegungsfläche von ≥ 1,50 (Breite) × 1,50 m (Tiefe) vorzusehen (s. Abb. 3).

Foto: Lutz Engelhardt

Abb. 3: Rampe – barrierefrei

Alternativ kommt ein Aufzug oder Lift infrage. Bei Gebäuden mit sehr hohen denkmalschutzrecht­lichen Anforderungen könnte sogar ein Lift vorgesehen werden, der sowohl innen als auch außen in die Zugangstreppe integriert werden kann (vgl. Abb. 4, 5 und 6).

Fotos: Guldmann GmbH, Wiesbaden

Abb. 4, 5 und 6: Lift, integriert in eine Treppe – schwellenfrei

Ebenso kann ein Aufzug zum Einsatz kommen. Diese Variante (vgl. Abb. 7 und 8) bietet sich insbesondere dort an, wo es gilt, weitere Geschosse barrierefrei zu erschließen.

In beiden Fällen sind die rollstuhlgerechten Bewegungflächen vor der Aufzugs- bzw. Lifttür zu berücksichtigen.

Fotos: Lutz Engelhardt

Abb. 7 und 8: Aufzug – barrierefrei

Ist jedoch nur ein geringer Höhenunterschied zu überwinden, kommt auch eine Angleichung des Gehwegs in Betracht. Abb. 9 zeigt eine solche Lösung.

Foto: Lutz Engelhardt

Abb. 9: Ausgleich des Höhenunterschieds durch Angleichung des Gehwegs

Positiv ist dabei, dass die Stufe kontrastierend in den Umgebungsbelag eingepasst worden ist. Diese Ausführung entspricht zwar nicht den normierten Vorgaben zum Barrierefreien Bauen, hilft jedoch sehbehinderten Menschen, das Hindernis im Bereich des Gehwegs zu erkennen. Erfolgt eine Angleichung des Niveaus im Bereich der öffentlichen Verkehrsfläche, bedarf dies zwangsläufig der Zustimmung der zuständigen Bauverwaltung.

In der Apothekenbetriebsordnung ist ausdrücklich die barrierefreie, nicht nur die stufen- und schwellenfreie Zugänglichkeit gefordert. Daher ist auch der Eingangsbereich – also die Eingangstür selbst und der Bereich unmittelbar davor – barrierefrei zu gestalten. Dazu gehört eine ausreichende Beleuchtung, eine kontrastierende Gestaltung der Tür- und Bedienelemente sowie eine barrierefrei nutzbare Klingel- und ggf. Briefkastenan­lage. In jedem Fall sind rollstuhlgerechte Bewegungsflächen vor der Eingangstür und vor den Bedienelementen vorzusehen. Diese können, müssen sich jedoch nicht mit den Bewegungsflächen am ­Ende einer Rampe überlagern.

Was kostet die Barriere­freiheit?

Der Kostenaufwand richtet sich nach Art und Umfang der bau­lichen Veränderungen. Regionale Kaufkraftunterschiede erschweren eine allgemeingültige Aus­sage. Generell ist bei Rampen von einem Kostenaufwand zwischen 1200 Euro/m bis 1500 Euro/m auszugehen. Eine Rampe zur Überwindung eines Höhenunterschiedes von 36 cm erfordert mindestens eine Lauflänge von 6 m. Der Kostenaufwand umfasst (6 m × i. M. von 1350 Euro/m =) ca. 8100 Euro. Kommt ein Hublift zum Einsatz, ist mit einem vergleich­baren Kostenaufwand zu rechnen. Die Komfortvariante, ein treppenintegrierter Lift, schlägt mit etwa 40.000 Euro (plus) zu Buche. Zusätzlich ist für eine barrierefreie Ausführung der Eingangstür, der Klingel- und Briefkasten­anlage ein Kostenaufwand von ca. 5000 Euro zu veranschlagen.

Letztlich sind praxisnahe Lösungen gefragt, die einerseits den Anforderungen der baulichen Barrierefreiheit genügen und andererseits die Apotheken nicht über die Maßen belasten. Sollte im Einzelfall ein unverhältnismäßiger Mehraufwand festgestellt werden, kann auf eine „Funkklingel­lösung“ abgestellt werden. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 20. Mai 2020, Az.: 16 K 7633/18, zeigt jedoch, dass Kosten von etwa 8000 Euro als zumutbar angesehen wurden. Eine Funkklingel im Eingangsbereich und eine mobile Rampe hielt das Gericht in diesem Verfahren für unzureichend.

Resümee

Die Anforderungen nach § 4 Abs. 2a ApBetrO stellen in der Praxis für Apotheker eine erhebliche Herausforderung dar. Sie stehen – wie in einigen Internetforen beklagt – jedoch nicht allein auf weiter Flur, denn jedes öffentlich zugängliche Gebäude muss, wenn der Bestandsschutz erloschen ist, den aktuellen Anforderungen an die bauliche Barrierefreiheit genügen. Selbstverständlich sind dabei ein stufen- und schwellenfreier Zugang sowie eine barrierefreie Gestaltung des Eingangs­bereichs. Letztlich sind die Anforderungen als Zukunftschance zu sehen, denn nur durch die barrierefreie Zugänglichkeit der Offizin sind überhaupt die seit Jahrzehnten wiederkehrenden Stammkunden zu halten. Hinzu kommt die Darstellung in digitalen Medien, wie beispielsweise Facebook, Instagram und Whats­App (um nur einige zu nennen), welche fortlaufend ihre Community über die Barrierefreiheit oder Mängel und Missstände informieren. Auch Internetportale wie z. B. Wheelmap.org dokumentieren die Barrierefreiheit u. a. von Apotheken. So lassen sich mit einer barrierefreien Zugänglichkeit der Offizin – quasi automatisch – neue Kunden gewinnen. Denn letztlich endet die medizinische Beratung und Betreuung nicht beim Arzt, sondern in der Regel in einer regional ansässigen Apotheke. |

Dipl.-Ing. (FH) Lutz Engelhardt, Architekt, Fachbuchautor & Heraus­geber des „Atlas barrierefrei bauen“

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