Wirtschaft

Verschreibungspflicht ausgehebelt

Redakteurin beschreibt in der „Neuen Westfälischen“ ihre Erfahrungen mit Online-Ärzten

hb | Die Pille ohne Rezept bekommen – das geht ganz einfach dank Online-Ärzten, die nach Ausfüllen eines Fragebogens eine Verordnung ausstellen und an einen Versender weiterleiten, der dann das gewünschte Prä­parat verschickt. Eine Redakteurin der „Neuen Westfälischen“ hat dazu einen Selbstversuch gemacht und fordert als Kon­se­quenz, über das Rx-Versand­verbot nachzudenken.

„So hebeln Online-Ärzte die Verschreibungspflicht aus“, lautet eine Schlagzeile im Online-Portal der „Neuen Westfälischen“. „Ein paar einfache Klicks im Netz, ein paar Tage Wartezeit, und schon liegt das rezeptpflichtige Medikament im Postkasten“, schreibt Redakteurin Anneke Quasdorf dort. Sie hat es selbst ausprobiert und ist der Auffassung, dass das am Rande der Legalität oder vielleicht auch jenseits dessen ist.

Screenshot: AZ

Ausschließliche Fernbehandlung auf Einzelfall beschränkt

Zur Rechtslage in Deutschland: Im Mai 2018 hat der Deutsche Ärztetag in Erfurt über eine Änderung der (Muster-)Berufsordnung für die Ärzte (MBO-Ä) den berufsrechtlichen Weg für die ausschließliche Fernbehandlung von Patienten geebnet. Damit soll diese aber noch lange nicht zum Regelfall werden, denn in der MBO-Ä heißt es ausdrücklich „im Einzelfall“.

Die Bundesärztekammer betont in diesem Zusammenhang, dass der persönliche Kontakt weiterhin den „Goldstandard“ ärztlichen Handelns darstellt. Außerdem soll eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien im Einzelfall nur dann erlaubt sein, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird.

Näheres zu der Erlaubnis von Fernbehandlungen legt die Bundesärztekammer (BÄK) in gesonderten Erläuterungen dar. Darin wird betont, dass der Arzt jeweils in Bezug auf den einzelnen Behandlungs- bzw. Beratungsfall unter Berücksichtigung sämtlicher Begleitumstände prüfen müsse, ob dieser für eine ausschließliche Fernbehandlung überhaupt geeignet ist. Bei der Beurteilung sei davon auszugehen, dass Ärzten bei einer ausschließlichen Fern­behandlung nicht alle Sinne und erforderlichen Untersuchungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, um sich ein unmittelbares und umfassendes Bild von den Patienten zu verschaffen. Auch an Informationsdefizite und daraus resultierende mögliche Haftungsrisiken sollte gedacht werden.

Im Jahr 2016 war eine Änderung in § 48 des Arzneimittelgesetzes zur Verschreibungspflicht eingeführt worden, wonach Verordnungen von Humanarzneimitteln nicht beliefert werden durften, wenn vor der ärztlichen Verschreibung offenkundig kein direkter Kontakt zwischen Arzt und Patient stattgefunden hat. Ausnahmen sollten in begründeten Fällen möglich sein, wenn der Patient dem Arzt aus einem vorangegangenen Kontakt hinreichend bekannt ist und es nur um die Wiederholung oder Fortsetzung einer Behandlung geht. Damit sollten vor allem ausländische Online-Arztpraxen ausgebremst werden, in denen die Patienten teilweise sehr leicht an die Rezepte kamen. Im letzten Jahr wurde das Fernverordnungsverbot allerdings im Kontext der Einführung des elektronischen Rezepts mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) wieder gekippt.

Nun leben wir im europäischen Binnenmarkt, in dem die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung inklusive der ärztlichen Betreuung zulässig ist. In anderen Ländern gibt es jedoch teilweise keinerlei Beschränkungen für Fernbehandlungen, und deutsche Patienten können auf ausländische Ärzte ohne Weiteres über das Internet „zugreifen“. Diese können ihnen auch rezeptpflichtige Medikamente verordnen, die dann über Online-Apotheken verschickt werden, ohne sich jemals ein persönliches Bild von dem Patienten und seinem Gesundheitszustand gemacht zu haben. Reichen die dort angewandten Standards hinsichtlich der ärztlichen Sorgfalt mit Blick auf die deutschen Regeln aus?

Wie ehrlich wird der Fragebogen ausgefüllt?

Die Vorsichtsmaßnahmen sind zumindest teilweise äußerst dürftig. So beschreibt es jedenfalls die Redakteurin Quasdorf in einem Erfahrungsbericht in der „Neuen Westfälischen“. Aus den Portalen, die solche Dienstleistungen anbieten, wie zavamed.com (vormals DrEd), fernarzt.com oder medzino.com, hat sie sich zunächst zavamed.com ausgesucht, um dort ein orales Kontrazeptivum zu bestellen. Nach ihrer eigenen Schilderung musste sie lediglich ein paar Seiten eines Diagnosebogens ausfüllen, bevor sie ihre Bestellung aufgeben konnte. Darin seien akribisch alle relevanten Fragen aufgelistet gewesen, die auch der Gynäkologe stellen würde. Mit dem Ziel, als kerngesunde Patientin dazustehen, habe sie alle Fragen nach etwaigen Risikofaktoren abschlägig beantwortet. Ob das ebenso funktionieren würde, wenn sie einem Arzt direkt gegenübersitzen würde, zieht sie selbst in Zweifel.

Schließlich habe sie ihre Pille aus über 50 Produkten selbst aussuchen dürfen. Der Absender der Lieferung sei eine niederländische Apotheke gewesen. Auf der Rechnung hätten neben den Kosten für das Arzneimittel noch weitere neun Euro gestanden, „für etwas, das die Verantwortlichen doch allen Ernstes Sprechstunde“ genannt hätten.

Schweiz: OTC-Versand nur mit Rezept

Vor einigen Jahren war die Versandapotheke Zur Rose AG vom Schweizer Bundesgericht in die Schranken verwiesen worden. Das Schweizer Heilmittelgesetz verlangt auch beim Versand von rezeptfreien Medikamenten eine vorherige ärztliche Verschreibung. Diese setzt wiederum voraus, dass der Arzt den Patienten und seinen Gesundheitszustand kennt. Das Modell von Zur Rose sah vor, dass ein beauftragter Arzt, der den Kunden in der Regel nicht persönlich kennt, das bestellte Medikament verschreibt, und zwar auf Basis eines vom Kunden ausgefüllten Fragebogens. Dem Gericht reichte das nicht aus, und es untersagte diese Praxis. Damit gab es Beschwerden der Schweizer Arzneimittelbehörde Swissmedic und dem Apothekerverband PharmaSuisse statt.

Schlupfloch stopfen mit dem Rx-Versandverbot

In einem ergänzenden Kommentar schwebt der Autorin Quasdorf auch eine Lösung für die aus ihrer Sicht insuffiziente Kontrolle bei Fernbehandlungen und darauf basierenden Rx-Verordnungen vor: „Damit steht sie wieder groß und breit im Raum, die Frage nach einem Verbot für den Versandhandel von verschreibungspflichtigen Medikamenten“, betont sie. „Denn das ist die einzige Möglichkeit, wie Politik und Aufsichtsinstanzen das Schlupfloch stopfen können.“ |

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