Wirtschaft

AvP-Insolvenz: Liquiditätsengpässe in Apotheken

Apothekenrechenzentrum unter der Kontrolle der Bankenaufsicht

eda | Beim privaten Apothekenrechenzentrum AvP aus Düsseldorf warten die meisten der rund 3500 angeschlossenen Apotheken sowie weitere Leistungserbringer auf die Auszahlung ihrer Rezeptumsätze. Es soll um einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag gehen, und die betroffenen Apothekeninhaber befinden sich zum Teil in einer existenzbedrohenden Notlage. AvP-Chef Mathias Wettstein schürte in der Branchenpresse anfangs noch Hoffnung. Inzwischen hat die Bankenaufsicht BaFin die Kontrolle über die Geldgeschäfte übernommen und Strafanzeige gestellt. Ein Insolvenzverwalter wurde bestellt.

In den sozialen Medien begannen sich betroffene Apotheker vor rund zwei Wochen über Auszahlungsverzögerungen beim privaten Apothekenrechenzentrum AvP zu unterhalten – noch relativ unaufgeregt und sachlich. Es ist üblich, dass die Geldbeträge je nach verhandelter Kondition zu unterschiedlichen Zeiten die Konten der AvP-Kunden erreichen. Doch als sich die Beschwerden häuften und lauter wurden, als immer mehr Apothekeninhaber merkten, dass weder der Außendienst noch die Firmenzentrale von AvP zu erreichen waren, begann die Stimmung allmählich zu kippen. Verunsicherung breitete sich aus. Für die meisten AvP-Kunden wird eine Meldung auf dem Branchenportal „Apotheke adhoc“ wohl das erste und langersehnte Lebenszeichen aus dem Rechenzentrum gewesen sein: Auszahlungsverzögerung durch Serverumzug, erklärt Firmenchef Mathias Wettstein. Man sei optimistisch, dass bald wieder alles läuft.

Foto: Marcel Kusch/picture alliance/dpa

Vorbestrafter AvP-Chef

Es ist Mathias Wettstein, der in den Folgetagen immer wieder über das Branchenportal an die Öffentlichkeit tritt. AvP selbst bleibt für Kunden und Pressevertreter nicht erreichbar. Wettstein ist kein Unbekannter: Wegen Steuerhinterziehung ist er vorbestraft, darf keine BaFin-Lizenz führen und muss die Geldgeschäfte in seinem Unternehmen daher Geschäftsführern überlassen. Ein Blick in das Handelsregister offenbart die Firmenstruktur von AvP: Wettstein ist Chef der AG und nicht der GmbH, die in der Unternehmensdatenbank der Bankenaufsicht BaFin als Finanzdienstleistungsinstitut geführt wird. Konkret heißt das: Die Apotheken sind auf die Zahlungen aus der GmbH und nicht der AG angewiesen und dafür ist ein Geschäftsführer mit BaFin-Lizenz nötig.

Doch abgesehen von dieser Personalkonstellation, muss es bei AvP wesentlich drastischere Gründe für das Versiegen der Geldflüsse an die Apotheken geben. Über Unregelmäßigkeiten in den Bilanzen und der Kontoführung wird hinter vorgehaltener Hand gesprochen, die dazu führten, dass die Banken dem Rechenzentrum keine Kredite mehr gewährten. Die Finanzdienstleistungsaufsicht schickt einen Sonderbeauftragten in das Unternehmen, dieser stellt wenige Tage später einen Insolvenzantrag. Gleichzeitig wird bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf Strafanzeige gegen AvP gestellt.

Bernhard Bellinger, Steuerberater und Rechtsanwalt in Düsseldorf, der viele Apotheker als Mandanten hat, erklärt gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa): „AvP zählt zu den großen Abrechnungszentren mit wohl rund 3500 Kunden. Das wäre etwa ein Fünftel des deutschen Marktes. Die Beträge, um die es geht, sind gesalzen. Das sind durchaus bis zu 400.000 Euro pro Apotheke, die ausstehen – im Durchschnitt wahrscheinlich rund 120.000 Euro.“ Ersten Schätzungen zufolge warten die AvP-Apotheken auf Gelder in Höhe von 300 bis 500 Millionen Euro.

Wettbewerber und Banken wollen Apotheken auffangen

Im schlimmsten Fall droht den betroffenen Apotheken Zahlungsunfähigkeit. Die Apobank stellt allerdings Unterstützung in Aussicht. „Wir sind uns der Herausforderung bewusst, wenn es bei Apotheken zu zeitlichen Verzögerungen bei Zahlungsflüssen kommt. Wir sind als Standesbank für unsere Kunden da, wenn sie betroffen sind und sie Unterstützung benötigen. Vorstellbar sind Kreditlinien oder Überbrückungskredite“, so eine Sprecherin. Die anderen 17 Apothenrechenzentren in Deutschland bereiten sich auf die Flut an Neukunden vor. Das Mehr an Rezepten und Transaktionen stellt für sie personell und technisch eine Herausforderung dar.

Fristlose Kündigung hat oberste Priorität

Der Freiburger Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas rät AvP-Apotheken in einem Rundschreiben, die Verträge in jedem Fall fristlos zu kündigen.

Zwar befindet sich in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der meisten AvP-Verträge ein Passus, der besagt, dass die Apotheken gegenwärtige und zukünftige Forderungen an AvP abtreten, doch was dies genau für die aktuelle Situation bedeutet und ob die Abtretung der Forderungen an AvP tatsächlich wirksam ist, kann derzeit niemand abschließend bewerten. Auch Douglas weist in seinem Schreiben darauf hin, dass dies alles rechtliche Fragen seien, die erst dann wirklich Relevanz entwickeln würden, wenn es tatsächlich zu entsprechenden Verfahren kommt. Wichtig sei es, sich unverzüglich um die Anbindung an ein neues Apothekenrechenzentrum zu kümmern, damit durch die Abrechnung aller aktuellen Rezepte wieder eine gewisse Liquidität verschafft wird.

Was passiert mit den Geldern bei AvP?

„Eine Auszahlung [durch AvP] in den nächsten Tagen ist nicht zu erwarten“, schreibt Douglas. Der vorläufige Insolvenzverwalter werde in den nächsten Tagen versuchen, sich möglichst kurzfristig einen Überblick über die Situation bei AvP zu verschaffen. Fragen einzelner Gläubiger könnten währenddessen nicht beantwortet werden. Auch eine Bevorzugung einzelner Apotheken aufgrund besonders großer Not wird es nicht geben können: „Niemand wird sein Geld früher oder später erhalten, weil er darlegt, seine Situation wäre schlimmer als bei anderen“, so Douglas. Das Gute an der Bestellung des vorläufigen Insolvenz­verwalters sei jedoch, dass weitere Mittelabflüsse bei der Gesellschaft nicht zu befürchten sind. „Dagegen steht, dass es nunmehr Zeit und damit Ihre Geduld braucht.“

Erst wenn sich der vorläufige Insolvenzverwalter ein Bild gemacht hat, könne man überhaupt daran denken, dass die im Unternehmen vorhandenen Gelder zumindest anteilig ausgezahlt werden. „Dies mag für Sie auf den ersten Blick unbefriedigend sein, jedoch sind alle Beteiligten auf rechtlicher Ebene an bestimmte Verfahrens­abläufe gebunden“, stellt der Anwalt im Schreiben an die AvP-Kunden klar.

Unterschiedliche AGB

Rechtsanwalt Dr. Jan-Philipp Hoos von der Kanzlei White & Case ist vom Amtsgericht Düsseldorf am vergangenen Mittwoch zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt worden. Gemeinsam mit dem von der Bankenaufsicht BaFin eingesetzten Geschäftsleiter Ralf Bauer prüft er aktuell, ob eine Fortführung des Unternehmens im Ganzen oder in Teilen möglich ist. Nach wie vor herrscht Unruhe in der Branche: Wie steht es um die Konten bei AvP? Handelt es sich um klassische, eindeutig zuordenbare Treuhandkonten – wie sie auch bei Mietkautionen üblich sind –, oder drohen die Gelder in die Insolvenzmasse von AvP zu fallen? Dass man das Abrechnungsvolumen von den eigenen Betriebsmitteln des jeweiligen Rechenzentrums separiert und im Insolvenzverfahren als eigenständiges Vermögen behandeln muss, scheint für die meisten in der Branche eine Selbstverständlichkeit zu sein. Doch gerade im Fall von AvP zeigt sich, dass die Vereinbarungen mit den Apotheken offenbar sehr unterschiedlich getroffen wurden. Dr. Rainer Eckert, Fachanwalt für Insolvenzrecht aus Berlin, hat seit Beginn der AvP-Insolvenz die unterschiedlichen Verträge analysiert, die AvP mit Apotheken, Krankenhäusern und weiteren Leistungserbringern geschlossen hat. Sein erstes Fazit: „Bemerkenswert ist: AvP hat verschiedene Vereinbarungen mit den Kunden geschlossen. Das macht die Aufarbeitung für die Betroffenen nur umso schwerer. Denn: Dies zieht in jedem Fall eine individuelle Prüfung der Frage nach sich, welche Qualität die Separierung von Kundengeldern hat.“ Im § 6 der Allgemeinen Geschäftsbedingung gibt es je nach Vertrag ganz unterschiedliche Formulierungen, an denen sich entscheiden könnte, wie die Rezept­umsätze der jeweiligen Apotheke gehandhabt wurden.

So heißt es in einem Vertrag:

„Die AvP unterhält bei Geld­instituten zum Ausgleich der Forderungen der Apotheke ein eindeutig durch das Institutionskennzeichen der Apotheke bestimmtes, für die Kunden des jeweiligen Abrechnungskreises (IK) einheitliches Konto.“

§ 6 der Allgemeinen Geschäfts­bedingungen

In einem anderen Vertrag ist die Formulierung dagegen folgendermaßen:

„Die AvP unterhält zum Ausgleich der Apotheken-Forderungen bei einem Geldinstitut ein für alle Kunden einheitliches Fremdgeldkonto.“

§ 6 der Allgemeinen Geschäfts­bedingungen, Anm. d. Red.: Mit Fremdgeldkonto ist ein Treuhandkonto für alle AvP-Kunden gemeint.

AvP hat mit den Apotheken offenbar Verträge auf der Basis von ganz unterschiedlichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen geschlossen. Unklar bleibt, wie AvP die Gelder dann in der Realität tatsächlich verwaltet hat. Lässt sich für den Insolvenzverwalter eine klare Linie zwischen Abrechnungsvolumina der Leistungserbringer untereinander und im Hinblick auf die Betriebsmittel von AvP ziehen? Der renommierte Insolvenzrechtler Eckert dazu: „Für den Fall, dass fremdes Vermögen ausgesondert werden muss, kann es sinnvoll sein, dass sich Kunden in einem Kundenpool zusammentun. So können die Kunden dem großen Problem begegnen, dass sich einzelne Beträge nicht zuordnen lassen.“ Heißt konkret: Eckert rät den AvP-Kunden, gemeinsam für die Herausgabe ihres Geldes zu streiten – zumindest bei den Kunden, für die AvP kein einzelnes Treuhandkonto eingerichtet hat (siehe § 6 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen).

Wie es nun weitergeht

Insolvenzverwalter Hoos wird derzeit prüfen, ob die Auszahlungen der Kostenträger auf den AvP-Konten zur Insolvenzmasse gerechnet werden müssen oder nicht. Betroffene Apothekeninhaber sollten sich an einen Rechtsanwalt wenden und ihre Verträge mit AvP fristlos kündigen. Zeitgleich muss sich einem neuen Rechenzentrum angeschlossen werden, um aktuelle Rezepte abrechnen zu können. Eine Liste der übrigen 17 Apothekenrechenzentren findet man beispielsweise auf der Web­site des DAV-Notdienstfonds. |

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