Aus der Hochschule

Therapietreue im Selbstversuch

Bonner Studierende testen ihre Adhärenz im Seminar Klinische Pharmazie

„Wir haben in diesem Semester etwas ganz Besonderes für Sie geplant“, begann Herr Professor Jaehde, Leiter der Klinischen Pharmazie der Universität Bonn, die Einführungsveranstaltung für das Seminar Klinische Pharmazie im Oktober. Interessiert und vielleicht auch etwas misstrauisch (meistens bedeuten solche Ansagen zusätzliche Arbeit für uns Studierende) erfuhren wir, dass es sich hierbei um eine freiwillige Adhärenzstudie handeln sollte, die in ähnlicher Weise bereits an der Universität Saarbrücken durchgeführt worden war. Durch die Studie sollten wir Studierende für die Schwierig­keiten der Adhärenz sensibilisiert werden. Eine große Zahl unserer zukünftigen Patientinnen und Patienten werden mehrere Medikamente mit ­unterschiedlichen Einnahmeintervallen erhalten, was die Adhärenz erschwert. Diese ist jedoch bei vielen Erkrankungen von zentraler Bedeutung, um eine erfolgreiche Therapie zu gewährleisten.

Beruhigt, dass es sich nicht um eine Fach­arbeit oder Ähnliches handelte, fand sich schnell eine große Anzahl Freiwilliger, die sich bereit erklärten, am Projekt teilzunehmen. Alle Teilnehmer erhielten eine mit Tabletten gefüllte Plastikdose und sollten eines von vier unterschiedlichen Therapie­schemata für ungefähr einen Monat befolgen. Dabei handelte es sich um ein „Medication Adherence Monitoring System (MEMS®)“, ein Gefäß mit Schraubdeckel, in welchem sich ein Mikrochip befindet, der jedes Öffnen mit Datum und Uhrzeit registriert. Die Therapieschemata umfassten entweder die ein- bis dreimalig tägliche oder eine dreimal wöchentliche Einnahme. Gespannt warteten wir auf unsere Dosen und das dazugehörige Einnahmeintervall, wobei die meisten auf die einmal tägliche Einnahme hofften (Abb. 1).

Foto: Imke Ortland
Abb. 1: Bonner Studierende begutachten neugierig ihre Adhärenz-Dosen.

Nach Beendigung des Versuchs wurden die Chips im Deckel der Dosen mittels Lesegerät ausgelesen (Abb. 2). Anschließend berechnete jeder Studierende seine persönliche Gesamt- und Tagesadhärenz (siehe Kasten „Bestimmung der Adhärenz“).

Bestimmung der Adhärenz

  • Gesamtadhärenz = Anzahl der tatsächlichen Öffnungen/Anzahl der erwarteten Öffnungen
  • Tagesadhärenz = Anzahl an Tagen mit korrekter Öffnungsanzahl/Anzahl an Beobachtungstagen

Die gewonnenen Daten wurden anschließend gesammelt und statistisch ausgewertet. Es war erstaunlich, wie viele Erkenntnisse wir aus diesem einfachen Versuch gewinnen konnten.

Die durchschnittliche Gesamtadhärenz der Gruppe betrug 86%, die täg­liche Adhärenz 77%. Die einmal täg­liche Dosis wurde, wie erwartet, von fast allen Teilnehmern als unproblematisch bewertet und zeigte in der Auswertung im Vergleich auch die beste Gesamtadhärenz (90%) (Abb. 3). Erstaunlicherweise teilte sie sich den ersten Platz mit dem dreimal wöchentlichen Regime, obwohl sich hierbei doch viele beschwert hatten, dass keine Einnahme-Routine aufkomme. Darauf folgte die zweimal tägliche Einnahme (84%), das Regime mit dreimal täglicher Einnahme erzielte lediglich eine Adhärenz von 83%. Wir fanden uns gar nicht so schlecht, zumal einige eine hundertprozentige Adhärenz aufweisen konnten.

Foto: Imke Ortland
Abb. 2: Auslesen der Daten aus dem Mikrochip im Deckel

Beim zeitlichen Verlauf der Adhärenz aller Teilnehmer zeigten sich deutliche Unterschiede. Während einige zunächst eine gewisse Gewöhnungsphase mit größeren Schwankungen am Anfang aufwiesen, gegen Versuchsende aber vollständig adhärent waren, gab es auch eine Gruppe, die am Anfang noch motiviert war, über die Zeit jedoch zunehmend häufiger die Medikation vergaß oder zu spät einnahm. Andere Teilnehmer wiederum zeigten einen recht durchmischten Öffnungsverlauf mit uneinheitlichem Adhärenzmuster. Generell gab es am Wochenende des Öfteren Ausfälle, weil die Einnahmezeiten nicht im Akzeptanzbereich lagen oder die Dosen schlicht zu Hause vergessen wurden.

Abb. 3: Gesamt- und Tagesadhärenz (Quelle: Annika Rautenberg und Anna Wildung)

Die Teilnehmenden wurden gefragt, ob und welche Hilfsmittel sie zur Erinnerung verwendet hatten. Das mit Abstand am häufigsten genutzte Hilfsmittel (44%) war der Wecker, egal ob klassisch oder als Funktion im Mobiltelefon. Diese Methode ­gestaltete sich jedoch schwierig für die dreimal tägliche Einnahme, da man im Alltag (Uni, Job, Bewerbungsgespräche…) zumeist den Lautlosmodus am Telefon einstellt und so mangels Erinnerung leicht die Einnahme vergisst. Als weitere Schwierigkeit, gerade für die Mittagsmedikation, wurde ein ständig wechselnder Tagesablauf genannt, der es schwierig machte, die Medikation an sich wiederholende Tätigkeiten zu knüpfen. „Meine Dose stand neben dem Laptop, ich wusste abends aber manchmal nicht mehr, ob ich die dritte Tablette bereits herausgenommen hatte oder nicht. Im Nachhinein denke ich mir, dass eine Strichliste da hilfreich gewesen wäre. Bei einem echten Medikament hätte ich mich entweder über- oder unter­dosiert.“, schrieb eine ­Studentin. 20% der Befragten half es, ihre Dosen an gut sichtbaren Stellen wie Schreib- oder Nachttischen zu platzieren, um sich an die Einnahme zu erinnern. Medikations-Apps wurden nur ver­einzelt genutzt und lohnten sich besonders in der Gruppe der dreimal wöchentlichen Einnahme (Abb. 4).

Abb. 4: Genutzte Hilfsmittel (Quelle: Annika Rautenberg, Anna Wildung)

Generell bildete der Versuch gut ab, wie verschieden die Adhärenz von Patient zu Patient in Abhängigkeit vom Einnahmeschema sein kann. In uns angehenden Apothekerinnen und Apothekern wurde das Verständnis für mangelnde Patientenadhärenz geweckt bzw. verstärkt. Vielen von uns kam sicher des Öfteren im Studium der Gedanke, dass es doch nicht so schwer sein könne, seine Tabletten regelmäßig einzunehmen, gerade wenn die eigene Gesundheit davon abhinge. Doch während unseres Selbstversuches wurde relativ schnell klar, dass eine Menge Disziplin dazu gehört und nur allzu leicht eine Einnahme vergessen wird. Dabei mussten wir nur ein einziges „Arzneimittel“ einnehmen und erhielten keine Polymedikation wie eine Vielzahl von Patienten. Der dringende Handlungsbedarf in diesem Bereich wurde uns jedenfalls durch den Selbstversuch sehr deutlich, und vielleicht hat der eine oder andere ja bereits eine Idee entwickelt, was man in Zukunft noch alles tun könnte, um daran etwas zu ändern. |

Luisa Dietrich, Kathryn Hauschild

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