Therapien im Gespräch

Die Spitze des Eisbergs

Über ein Jahr nach dem Valsartan-Skandal tun sich weitere Abgründe auf

du | Im Jahr 2018 ist etwas passiert, was man zuvor für undenkbar gehalten hat. So gut wie alle Valsartan-haltigen Generika mussten zurückgerufen werden, weil sie mit Nitrosaminen kontaminiert waren. Es begann eine hektische Spuren­suche, bei der ein geänderter Syntheseweg als Quelle der Verunreinigungen ausgemacht wurde. Inzwischen kommen die ersten Vertreter zurück auf den Markt, doch Ent­warnung kann noch lange nicht gegeben werden. Das zeigen Ranitidin und die Sorge um Metformin.
Foto: Orlando Florin Rosu – stock.adobe.com

Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe, Dr. Helmut Buschmann und Prof. Dr. Fritz Sörgel haben sich seit Bekanntwerden der NDMA-Verunreinigungen in Valsartan auf Spurensuche begeben und dabei nicht nur die Schwachstellen aufgedeckt, die zu den Kontamina­tionen geführt haben. Sie haben auch offengelegt, warum trotz Arzneibuchvorgaben, Zertifikaten für Synthese und Herstellung sowie Kontrollvorschriften solche Verun­reinigungen nicht nur möglich sind, sondern auch unentdeckt bleiben können.

Als dann nicht nur NDMA, sondern immer neue Nitrosamine in verschiedenen Sartanen und dann auch NDMA in Pioglitazon nachgewiesen wurden, hat das Autorenteam hinterfragt, warum uns immer wieder Meldungen über unerwartete Verunreinigungen über­raschen (DAZ 20, S. 50). Sie nahmen dazu den gesamten Syntheseprozess eines Wirkstoffes unter die Lupe, einschließlich der eingesetzten Lösungsmittel und Reagenzien und zeigten, mit welchen weiteren toxischen Verunreinigungen jenseits der Nitrosamine gerechnet werden muss, beispielsweise von Alkylhalogeniden bei Verwendung von Aceton, von N,N-Dimethylcarbamoylchlorid bei Verwendung von Dimethylformamid oder von genotoxischem Sulfonsäureestern unter Verwendung von Ethanol. Doch nicht nur der Wirkstoff, sondern auch die fertige Arzneiform kann zu Über­raschungen führen, wie ein in den USA übliches Kombinationspräparat bestehend aus Paracetamol, Phenyl­ephrin und Chlorphenaminmaleat gezeigt hat. Hier ist es unter Lagerungsbedingungen zur Esterbildung zwischen Phenylephrin und dem Maleation und damit zu völlig unerwarteten Verunreinigungen gekommen. Als dann auch vor Kurzem noch Ranitidin wegen Nitrosamin-Verunreinigungen zurückgerufen werden musste, hat das Autorenteam um Ulrike Holzgrabe noch einmal den Finger in die vielen Wunden gelegt und gezeigt, wie und wo überall Nitrosamine und weitere Verunrei­nigungen in Arzneistoffe gelangen können (DAZ 39, S. 52).

Zum Fürchten: Lösungsmittel

Da sind zum einen recycelte Lösungsmittel, die die Autoren das Fürchten lehren, und die sicher nicht nur zur Ranitidin-Synthese eingesetzt worden sind und werden. So hat die Firma Lantech Pharmaceuticals Limited aus Hyderabad, Indien, von der FDA im August einen Warning Letter erhalten. Diese Firma, die für viele Hersteller Lösungsmittel recycelt, soll ihre Anlage nicht ordnungsgemäß gereinigt haben, so dass ein ständig wachsender Bodensatz entstanden ist, der bei Dimethylformamid (DMF) zu einer Anreicherung mit zuvor nicht richtig abgetrennten Nitrosaminen geführt hat. Ob nun die Ranitidin-Kontamination auf DMF zurückzuführen ist, das ist nicht geklärt.

Holzgrabe, Buschmann und Sörgel haben im Fall Ranitidin weitere potenzielle Quellen identifiziert: Die Ranitidin-Synthese selbst, eine unsachgemäße Lagerung, die Instabilität von Ranitidin gegenüber Säuren, Basen, Oxidationsmitteln, Hydrolyse und Photolyse. Und dann sprechen sie auch die Abwasserproblematik an. Denn Ranitidin wird nur zu 30 Prozent metabolisiert und wurde entsprechend in Abwasser nachgewiesen. Bei der Wasseraufarbeitung unter oxidativen Bedingungen ist u. a. mit NDMA-Bildung zu rechnen. Und auch in vivo muss mit einer Nitrosamin-Bildung im sauren Milieu des Magens gerechnet werden, wenn keine magensaftresistenten Darreichungsformen verwendet werden. Vor dem Hintergrund, dass immer wieder Verunreinigungen auftreten, die mit den in Arzneibüchern beschriebenen Methoden nicht zu detektieren sind, fordern sie, dass neben klassischen Methoden grundsätzlich auch orthogonale Messtechniken eingesetzt werden. So zum Beispiel die QTOF-MS-Technologie (Quadrupole Time of Flight Mass Spectrometry). Mit ihr lassen sich durch Messung von exakten Massen und chemometrische Auswertung auch ­unerwartete Verunreinigungen er­kennen. Generell sollte nach Ansicht des Autorenteams im Interesse der Gesundheit alles auf den Prüfstand gestellt werden, angefangen bei der Produktion im fernen Osten über die Herstellung und die Audit-Verfahren bis hin zur Analytik.

Wie weitsichtig diese Forderung war, zeigte gegen Ende des Jahres die Meldung, dass in Asien mit NDMA kontaminierte Metformin-Präparate gefunden wurden. Die Nachricht verbreitete sich bei uns wie ein Lauffeuer, die Sorge war groß, dass auch in Deutschland und Europa vertriebene Präparate betroffen sein können und in großem Stil zurückgerufen werden müssen. Bis Redaktionsschluss war das nicht der Fall. Dass Nitrosamin in Metformin-Präparaten gefunden werden konnte, erscheint nicht überraschend. Buschmann, Holzgrabe und Sörgel haben dazu auf verschiedene Quellen ver­wiesen. Sie reichen von der Syn­these über die Verwendung des Lösungsmittels Dimethylformamid, verunreinigte Ausgangssubstanzen bis hin zu nachträglichen Reaktionen während der Lagerung und mit der Verpackung (DAZ 51, S. 36). |

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