Arzneimittel und Therapie

Time is muscle

Beim akuten Koronarsyndrom schnell intervenieren!

SCHLADMING (cst) | Jeder vierte Patient mit einem akuten Herzinfarkt stirbt vor Erreichen der Klinik. Machen sich Symptome eines akuten Koronarsyndroms (ACS) bemerkbar, ist keine Zeit zu verlieren: weder bei der Benachrichtigung des Rettungsdienstes, noch bei der Abklärung der Differenzialdiagnose, noch bei der Therapieeinleitung. Denn mit jeder Minute, die unnötigerweise verstreicht, geht kostbares Herzmuskelgewebe unwiederbringlich verloren – das machte Priv.-Doz. Dr. Klaus Bonaventura, Chefarzt am Ernst von Bergmann Klinikum in Potsdam, auf dem Pharmacon deutlich.

Unter dem Begriff ACS werden drei Krankheitsbilder zusammengefasst, die sich durch ähnliche Beschwerden äußern (s. Kasten): der ST-Hebungsinfarkt (STEMI), der Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) und die instabile Angina pectoris. Bei Verdacht auf ACS muss umgehend ein Elektrokardiogramm (EKG) durchgeführt werden – und zwar innerhalb von zehn Minuten nach dem ersten medizinischen Kontakt. Ist im EKG eine ST-Hebung erkennbar, liegt ein STEMI vor. Im Anschluss wird die Troponin-T-Konzen­tration bestimmt: Wird der herzmuskelspezifische Biomarker bei einem EKG ohne ST-Hebung nachgewiesen, handelt es sich um einen NSTEMI. Sobald die Diagnose STEMI feststeht, muss es schnell gehen. Betroffene Patienten müssen innerhalb von zwei Stunden auf dem Kathetertisch liegen, damit das verengte oder verschlossene Gefäß durch eine perkutane Koronarintervention (PCI) reperfundiert werden kann. Dabei wird die Engstelle mittels Ballondilatation erweitert, falls erforderlich wird zusätzlich ein Stent gesetzt. Wenn kein Ballonkatheter zur Verfügung steht, kann als Mittel der zweiten Wahl eine Fibrinolyse durchgeführt werden. Allerdings ist die Ballonkatheterisierung mit einer deutlich besseren Prognose verbunden. Auch bei einem NSTEMI muss in vielen Fällen schnellstmöglich interveniert werden: Bei Patienten mit sehr hohem Risiko gelten dieselben Regeln wie bei STEMI-Patienten. Ist das Risiko geringer, hat man gegebenenfalls etwas mehr Zeit.

Cave ACS

Symptome eines akuten Koronarsyndroms

  • Brustschmerzen (Leitsymptom)
  • Kurzatmigkeit
  • Übelkeit und Erbrechen
  • Angstgefühl
  • Schweißausbrüche
  • Schwindelgefühl

Die „Big Five“ nach ACS

Nach einem überstandenen Myokardinfarkt ist eine Pharmakotherapie essenziell. So benötigen alle Patienten im ersten Jahr nach einem akuten Koronarsyndrom die „Big Five“:

  • 1. Acetylsalicylsäure (ASS):70 bis 100 mg pro Tag, bei ASS-­Unverträglichkeit Clopidogrel
  • 2. einen P2Y₁₂-Inhibitor:vorzugsweise Prasugrel oder Tica­grelor
  • 3. einen Lipidsenker:primär Statine, wenn Zielwerte nicht erreicht werden, kann zu­sätzlich mit Ezetimib oder später mit einem PCSK9-Inhibitor be­handelt werden
  • 4. einen kardioselektiven Beta­blocker (z. B. Bisoprolol, Meto­prolol oder Nebivolol): vor allem, wenn die Ejektionsfrak­tion unter 40% liegt, also eine Herzinsuffizienz besteht
  • 5. einen Angiotensin-Converting-Enzyme(ACE)-Hemmer bzw. Angiotensin-Rezeptorblocker:Wenn die Ejektionsfraktion unter 35% liegt und die Patienten symptomatisch sind, werden zusätzlich Aldosteronantagonisten empfohlen.
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Bei Verdacht auf ein akutes Koronarsyndrom muss umgehend der Notarzt gerufen werden.

Allgemein ist laut Bonaventura anzustreben, dass die Wirkstoffe jeweils in der höchsten tolerierten Dosis verordnet werden. Allerdings müssen nicht alle diese Medikamente lebenslang gegeben werden. Während Acetylsalicylsäure und Lipidsenker auch langfristig unverzichtbar sind, können die anderen Substanzen bei einer stabilen koronaren Herzkrankheit, also zwölf Monate nach dem Ereignis, unter Umständen wieder abgesetzt werden.

Ob auf Betablocker, ACE-Hemmer und Co. verzichtet werden kann, hängt von Komorbiditäten wie Hypertonie und Herzinsuffizienz ab. Im Hinblick auf die duale Thrombozytenaggregationshemmung (DAPT) – der Kombination aus Acetylsalicylsäure plus P2Y₁₂-Inhibitor – ist das Blutungsrisiko des jeweiligen Patienten entscheidend: So kann die Dauer der Therapie bei Patienten mit erhöhtem Risiko auf die ersten sechs Monate nach ACS begrenzt werden. Patienten mit einem geringeren Blutungsrisiko können hingegen auch von einer verlängerten DAPT mit Ticagrelor über zwölf Monate hinaus profitieren. Um im Einzelfall die rich­tige Entscheidung zu treffen, muss der Netto-Nutzen mithilfe von Scores sorgfältig abgewogen werden. Neuesten Studiendaten zufolge ist in der Sekundärprävention – also mehr als zwölf Monate nach dem Ereignis – auch die Gabe von zweimal täglich 2,5 mg Rivaroxaban statt eines P2Y12-Antagonisten zusätzlich zu ASS möglich.

Nicht empfohlen werden bei ACS-Patienten Langzeitnitrate, Calcium-Antagonisten, nicht steroidale Anti­rheumatika (NSAR) sowie Hemmer der Cyclooxygenase (COX).

Immer gut: Ausdauertraining

Auch die Patienten selbst können einiges dafür tun, um ihre Prognose nach einem ACS zu verbessern. Laut Bonaventura gibt es kein Medikament, das genauso effektiv wäre wie körperliche Aktivität. „Mal spazieren gehen“ reiche allerdings nicht aus. Um die Lebenserwartung zu erhöhen und kardiovaskuläre Ereignisse zu ver­hindern, ist ein wöchentliches Ausdauertraining von 150 Minuten mit mittlerer Intensität bzw. von 75 Minuten mit hoher Intensität erforderlich. Die gute Nachricht: Es ist nie zu spät, damit zu beginnen. Auch im hohen Alter von 80 Jahren kann durch körperliche Aktivität noch ein halbes Jahr an Lebenszeit hinzugewonnen werden. |

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