Aus den Ländern

Packungsbeilage: Probleme erkannt, Lösung offen

Workshop der Deutschen Gesellschaft für Regulatory Affairs

BONN (hb) | Schon seit vielen Jahren klagen die Patienten über die Länge der Texte von Packungsbeilagen und über deren mangelnde Verständlichkeit. Sie zu verbessern, ist allerdings ein mühsames Unterfangen, denn die Freiheitsgrade in der Gestaltung sind gering. Bei einem zweitägigen Workshop der Deutschen Gesellschaft für Regulatory Affairs (DGRA) am 27./28. November 2019 in Bonn berichteten Experten über aktuelle Initiativen auf europäischer und nationaler Ebene. Die vielleicht spannendste Frage ist, wann die elektronische Gebrauchsinformation kommt.
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Die DGRA hielt ihren Workshop zum Thema Packungsbeilage in Bonn ab. (Im Bild das alte Rathaus, Sehenswürdigkeit der Stadt)

Mit Blick auf die jüngeren Entwicklungen verwies Monica Buch, Spezialistin für den Labelling Review bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) auf einen Bericht der Europäischen Kommission zur Verbesserung der Packungsbeilage aus dem Jahr 2017, der im Wesentlichen die Ergebnisse von zwei Studien auswertet, der PIL-S Study und der PILS-Box Study. Hieraus leitete die EU-Kommission zwar einen Handlungsbedarf ab, sah jedoch keine Veranlassung, dafür geltendes Recht zu ändern. Die bestehenden Probleme könnten auch durch eine Überarbeitung der Leitfäden zur Packungsbeilage und eine Lockerung der Vorgaben der europäischen Formatvorlagen behoben werden, meint die Kommission. Die „QRD-Templates“, die für das gesamte Dokument Standardüberschriften und Standarderklärungen festlegen, sind über die Jahre immer länger geworden. Außerdem sollen nach dem Willen der Kommission digitale Lösungen für die Gebrauchsinformation vorangetrieben werden.

Pilotprojekt „Gebrauchsinformation 4.0“

Ein deutscher „Pilot“ für die elektronische Packungsbeilage ist das Projekt „Gebrauchsinformation 4.0“ (GI 4.0, www.gebrauchsinformation4-0.de). Das im Juli 2016 gestartete Projekt wird von einem Konsortium, bestehend aus dem Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa), dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI), der Rote Liste Service GmbH, Patientenorganisationen, den Arzneimittelbehörden (BfArM und PEI) sowie von Offizin-und Krankenhausapotheken betrieben. Laut Dr. Georg Lang, Leiter der Abteilung Regulatoy Affairs bei Pfizer, sind derzeit 19 Pharmaunternehmen mit ihrem Präparatebestand in das Pilotprojekt eingebunden. Es soll im 2. Quartal 2020 abgeschlossen werden und danach voll funktionsfähig ein.

Wann kommt die elektronische Packungsbeilage?

Die Europäische Arzneimittelagentur hat daraufhin im November 2017 einen Aktionsplan konzipiert, um den Empfehlungen der Kommission nachzukommen. Wie Dr. F.A. Sayed Tabatabaei von der niederländischen Arzneimittelbehörde berichtete, sind die „Key principles zur elektronischen Packungebeilage (ePI) in der EU“ bereits in einem Entwurfsdokument festgehalten. Weiterhin hat eine Gruppierung von Experten aus acht EU-Mitgliedstaaten darunter Deutschland und Österreich, eine „ePI Roadmap“ entworfen. Beide Dokumente müssen laut Sayed Tabatabaei in den nächsten Wochen noch von diversen zuständigen Gremien bei der EU-Kommission und in der EMA angenommen werden. Bevor es zur Implementierung kommt, soll nach der ePI Roadmap zunächst eine begrenzte Pilotphase gefahren werden. Mit der europaweiten Implementierung soll nicht vor 2025 zu rechnen sein.

Digitale Gebrauchsinformation zum Lesen oder Hören

Auch wenn elektronische Gebrauchsinformationen im Arzneimittelrecht nicht explizit vorgesehen sind, hegt Dr. Peter Bachmann, der im Bundes­insitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) für europäische und internationale Angelegenheiten zuständig ist, keinen Zweifel daran, dass sie auf der Basis der EU-Gesetzgebung „rechtmäßig“ sind. Dort, zumindest in der englischen Originalversion, heiße es lediglich, dass die Verpackung eine Packungsbeilage enthalten müsse, wenn die erforderlichen Informationen nicht direkt auf der äußeren Umhüllung oder auf der Primärverpackung „vermittelt“ (conveyed) würden. Dies kann seiner Auffassung nach auch über einen QR-Code passieren, über den weitere Informationen zum Lesen oder auch zum Hören bereitgestellt werden könnten. Bei komplexen Anwendungen, die im Moment als Abfolge von Skizzen erläutert werden, könne auch ein Video angebracht sein, meinte Bachmann. Gleichwohl sei nicht beabsichtigt, die Papierversion „als kulturelles Erbe“ abzuschaffen.

Mit dem Layout lässt sich viel verbessern

Neben den Pharmafirmen und den Behörden reden auch die Patienten ein Wörtchen mit, wenn es um die Texte der Packungsbeilagen geht. Im Zulassungsverfahren müssen die Antragsteller die Ergebnisse von Lesbarkeitstests durch Patienten-Zielgruppen vorlegen. Erläuterungen hierzu liefert die europäische „Readability-Guideline“ aus dem Jahr 2009. Beate Beime aus Oldenburg, die mit ihrem Team solche Lesbarkeitstests als Dienstleistung anbietet, nutzt für die Testungen eine standardisierte Interview-Methode. Dabei müssen nach einem Pilot-Test mit drei bis sechs Probanden in der ersten Phase zwanzig Freiwillige aus der Patienten-Zielgruppe fünfzehn Fragen zu den Kerninhalten der Packungsbeilage beantworten. 90% der Testpersonen müssen die abgefragten Informationen in dem Text finden und 90% der Information müssen verstanden werden. Insgesamt müssen 80% der Antworten richtig sein. Beime analysiert auch, ob es am Text oder am Layout liegt, wenn ein Proband eine Textpassage nicht gefunden hat. Sie meint, dass sich bei den Packungs­beilagen layoutmäßig bereits einiges verbessert hat und ermutigt die Pharmfirmen, bei der Gestaltung kreativer zu sein und mehr mit Farben und Piktogrammmen zu arbeiten.

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Packungsbeilagen werden oft schon nicht gelesen, weil sie unverständlich, aber auch zu lang sind. Es wird davon ausgegangen, dass schon eine Reduzierung des Textes um 15% die Motivation erhöht, den Text zu lesen.

Optimieren mithilfe vorhandener Evidenz

Dr. Jörg Fuchs aus Jena, der über sein Unternehmen PAINT-Consult ebenfalls Lesbarkeitstests für Pharmaunternehmen durchführt, wendet eine schrift­liche Methode an. Anstelle des Pilot-Tests wie beim Interview überprüft und optimiert er die Packungsbeilagen in der ersten Phase zunächst syste­matisch mithilfe von Leitlinien und ­relevanten wissenschaftlichen Publi­kationen, Ergebnissen seiner eigenen Testungen sowie 200 validierten Qualitätskriterien. Anhand von 40 Packungsbeilagen konnte Fuchs zeigen, dass mit dieser Methode die durchschnittliche Anzahl der Wörter von 2505 auf 2002 gesenkt werden konnte, die Zahl der langen Sätze (mehr als zwanzig Wörter) von 29 auf sieben, die Anzahl der schwierigen Wörter von 86 auf 14 und die Abkürzungen von 17 auf vier. Eines seiner Hauptanliegen ist, den Umfang der Europäischen Format­vorlagen von ­derzeit mehr als 850 Wörtern auf 200 zu reduzieren. Dadurch würde sich der Umfang der ­Packungsbeilagen nach Fuchs‘ Berechnungen direkt um circa 15 Prozent reduzieren, ohne dass dabei arzneimittelspezifische Informationen verloren gingen. Jede signifikante Textkomprimierung erhöht die ­Motivation der Patienten, die Packungsbeilage zu lesen, so seine Überzeugung.

Wiederholtes Testen nicht sinnvoll

Bereits jetzt werden überdies laut Jan Geissler von der Europäischen Patientenorganisation EUPATI rund 80% der ­Packungbeilagen in zentralen Zulassungsverfahren vor der Zulassung einem Patientencheck unterworfen. Wiederholten behördeninternen Testungen (iterative user testing) durch Patienten vor der Zulassung, wie sie die Europäische Kommission vorgeschlagen hat, erteilt Fuchs eine klare Absage. Seiner Meinung nach gibt es keine Evidenz, die belegt, dass wiederholtes Testen die Packungs­beilage wirklich verbessert. |

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