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Laissez faire

Foto: DAZ/Kahrmann

Dr. Armin Edalat, Chefredakteur der DAZ

Große Infrastrukturprojekte haben hierzulande aktuell bekanntlich kein gutes Standing. Dabei muss es nicht unbedingt um Flughäfen oder Fernbahnhöfe gehen. Die Telematikinfrastruktur (TI) könnte man nämlich, was die Dimensionen angeht, einige Kategorien über BER oder „Stuttgart 21“ einordnen. Die TI ist gewissermaßen eine riesige, unsichtbare Autobahn, die seit fast 15 Jahren quer durch die Republik errichtet wird. Ihr Bauherr – das Bundesgesundheitsministerium – wird nun zunehmend kritisiert. Doch diese Proteste geschehen größtenteils unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung. Dafür vergeht ­gefühlt kein Tag, an dem nicht in den Fachmedien der Ärzte und Apotheker darüber berichtet wird.

Vor allem sind es Datenschutzbedenken, die zuletzt für Aufsehen sorgten – ausnahmsweise auch in der Öffentlichkeit. Bis Ende Juni 2019 mussten sich rund 170.000 Arztpraxen an die TI anschließen, andernfalls drohten Honorarkürzungen. Zeitgleich wurde bekannt, dass die beauftragten Dienstleister die Vor­gaben zum Anschluss der Praxen offenbar nur unzureichend umgesetzt hatten. So sollen Computer mit Patientendaten in den Praxen online geschaltet worden sein, ohne dass sie ausreichend vor Hackerangriffen geschützt waren. Auf diese Sicherheitsprobleme wurden immer mehr Ärzte nach und nach aufmerksam und schalteten Experten ein, die sich ein Bild von der gesamten Situation machen sollten. Das Ergebnis: Mehr als 90 Prozent der Praxen sind den Berichten nach nicht wie vorgesehen an die TI angeschlossen. Einige Arztpraxen sollen wohl bereits gehackt worden sein. Datenschutzexperten rechnen damit, dass nur jede zehnte Panne gemeldet wird. Minister Jens Spahn hat Anfang November auf die Kritik und die Proteste reagiert und im „Digitale-Versorgung-Gesetz“ vorgesehen, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung nun eine Richtlinie zur IT-Sicherheit in Praxen entwickeln soll.

Für die Ärzte spielt im Zusammenhang mit der TI der Datenschutz die übergeordnete Rolle. Bei den Apothekern kommen zunehmend existenzielle Fragen auf. Eigentlich ist nämlich vorgesehen nur Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser, Apotheken und Krankenkassen mit Sitz in Deutschland an die Datenautobahn anzubinden. Doch die ausländischen Arzneimittelversender haben schon angekündigt, mithilfe des E-Rezeptes ihre Umsätze signifikant steigern zu wollen. Um sich an die TI anbinden zu können, müssten sie theoretisch einen elektronischen Heilberufeausweis und eine SMC-B-Karte erhalten. Für die Ausgabe sind die Apothekerkammern zuständig, die am besten wissen müssen, wer über eine Approbation bzw. Betriebserlaubnis verfügt.

Das Bundesgesundheitsministerium hat bereits angekündigt, auch für die EU-Versender eine Lösung zu finden, damit sie sich – gleichberechtigt mit deutschen Vor-Ort-Apotheken – an die TI anbinden können (AZ Nr. 48, S. 8). Dieser Vorgang wirft wieder einmal ­viele Fragen auf, die bis heute im Zusammenhang mit der Überwachung und Zulassung von DocMorris und Co. un­geklärt sind. Nun hat sich ein EU-Parlamentarier und SPD-Politiker an die EU-Kommission gewandt und erwartet Antworten im Hinblick auf die sogenannten „Grensapotheken“ (s. S. 9).

Während deutsche Heilberufler und Institutionen nur durch die zuständigen Behörden und Kammern die Zugangs­daten und Karten erhalten, werden ausländische Konzerne, so scheint es, bei der TI-Anbindung einfach so durchgewunken. Das erinnert sehr an die Erstellung der Länderliste nach der Zulassung des Arzneimittelversandhandels vor 15 Jahren: Laissez faire, einmal mehr …

Armin Edalat

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