Arzneimittel und Therapie

Freispruch für Paracetamol

Schmerzen in der Schwangerschaft werden als eigentliche Ursache für erhöhtes Asthmarisiko beim Kind diskutiert

Paracetamol gehört zu den Klassikern in der Apotheke (s. S. 38). Auch in der Schwangerschaft ist ein Einsatz möglich, wenn eine medikamentöse Schmerztherapie unumgänglich ist. Der Erfahrungsschatz ist hoch. Allerdings werden auch immer wieder mögliche negative Auswirkungen auf das Kind diskutiert. Wie die Datenlage in Bezug auf das Asthmarisiko zu bewerten ist, erläutert Dr. Wolfgang E. Paulus von der Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie an der Universitäts-Frauenklinik Ulm.

Die mütterliche Einnahme von Para­cetamol in der Schwangerschaft wurde in den vergangenen Jahren auf der Grundlage epidemiologischer Auswertungen mit verschiedensten kindlichen Auffälligkeiten in Zusammenhang gebracht. Nach längerfristigen Anwendungen von Paracetamol in der Schwangerschaft registrierte man eine Zunahme neurologischer Störungen wie z. B. Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS), psychomotorische Entwicklungsverzögerungen, Autismus oder Verhaltens­auffälligkeiten bei den Nachkommen [1 – 4], aber auch von asthmatischen Beschwerden bei den im Mutterleib exponierten Kindern [5]. Zuvor waren auch schon Komplikationen bei der Entwicklung der männlichen Geschlechtsorgane beschrieben worden [6, 7].

Auch bei großen Fallzahlen darf man jedoch nicht vergessen, dass damit nicht unbedingt ein ursächlicher Zusam­menhang bewiesen ist. Andere Einflussgrößen, die mit dem Einsatz von Medikamenten in Verbindung stehen, können für die späteren Komplikationen ebenfalls verantwortlich sein.

Dies scheint sich nun auch für den seit Jahren behaupteten Anstieg asthmatischer Beschwerden bei Kindern zu bestätigen, deren Mütter in der Schwangerschaft Paracetamol als Schmerzmittel benötigten.

Foto: Africa Studio – stock.adobe.com

Auch bei stärkeren Schmerzen ist die Einnahme von Arzneimitteln in der Schwangerschaft immer eine Frage der Abwägung. Paracetamol gilt hier jedoch als eines der sichersten Analgetika.

Professor Seif Shaheen von der Queen Mary University of London analysierte zusammen mit Kollegen vom Karolinska-Institut in Stockholm die Daten von fast 500.000 Schwangerschaften aus schwedischen Registern [8]. Dabei wurden neben Paracetamol auch Schmerzmittel aus der Gruppe der Opioide sowie Migränepräparate betrachtet. Keinen statistischen Zusammenhang fanden die Wissenschaftler zwischen der Einnahme von Schmerzmitteln durch den Vater und Asthma­erkrankungen der Kinder. Damit lassen sich Einflussgrößen, die sich Vater und Mutter teilen (ökologische bzw. sozioökonomische Bedingungen oder Lebensstilfaktoren), als Ursache für die späteren kindlichen Beschwerden weitgehend ausschließen. Im Vergleich zu unbelasteten Schwangerschaften beobachtete man jedoch sowohl nach mütterlicher Einnahme von Paracetamol als auch von Opioiden oder Migränemitteln gehäuft asthmatische Symptome der Nachkommen. Im kindlichen Alter von fünf Jahren betrug der Anstieg 50% für Paracetamol, 42% für Opioide und 48% für Migränemittel. Weil diese Arzneimittel auf sehr unterschiedlichen Wegen im Körper wirken, scheint die Ursache nicht im Medikament, sondern möglicherweise in mütterlichen Einflussgrößen wie chronischen Schmerzen oder Angst zu liegen. Diese Vermutung wird durch die Beobachtung erhärtet, dass sich für alle ausgewerteten Medikamente keine Zunahme von kindlichem Asthma gegenüber den unbelasteten Schwangerschaften von Geschwisterkindern derselben Mütter erkennen ließ.

Schwere Schmerzen und der Stress, den sie auslösen, haben deutliche Effekte auf den Körper und auf die Hormonspiegel. So gibt es auch Evidenz für einen Zusammenhang zwischen mütterlichem Stress während der Schwangerschaft und einem erhöhten Asthmarisiko der Nachkommen [9]. |

Literatur

[1] Brandlistuen RE et al. Prenatal paracetamol exposure and child neurodevelopment: a sibling-controlled cohort study. Int J Epidemiol 2013;42(6):1702-1713

[2] Liew Z et al. Acetaminophen use during pregnancy, behavioral problems, and hyperkinetic disorders. JAMA Pediatr 2014;168(4):313-320

[3] Stergiakouli E et al. Association of Acetaminophen Use During Pregnancy With Behavioral Problems in Childhood: Evidence Against Confounding. JAMA Pediatr 2016;170(10):964-970

[4] Masarwa R et al. Prenatal Exposure to Acetaminophen and Risk for Attention Deficit Hyperactivity Disorder and Autistic Spectrum Disorder: A Systematic Review, Meta-Analysis, and Meta-Regression Analysis of Cohort Studies. Am J Epidemiol. 2018;187(8):1817-1827

[5] Fan G et al. Prenatal paracetamol use and asthma in childhood: A systematic review and meta-analysis. Allergol Immunopathol (Madr) 2017;45(6):528-533

[6] Jensen MS et al. Maternal use of acetaminophen, ibuprofen, and acetylsalicylic acid during pregnancy and risk of cryptorchidism. Epidemiology 2010;21(6):779-785

[7} Kristensen DM et al. Intrauterine exposure to mild analgesics is a risk factor for development of male reproductive disorders in human and rat. Hum Reprod 2011;26(1):235-244

[8] Shaheen SO et al. Prescribed analgesics in pregnancy and risk of childhood asthma. Eur Respir J 2019;53(5)

[9] Flanigan C et al. Prenatal maternal psychosocial stress and offspring’s asthma and allergic disease: a systematic review and meta-analysis. Clin Exp Allergy 2018; 48(4):403–414

Dr. med. Wolfgang E. Paulus, Universitäts-Frauenklinik Ulm, Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie

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