Debatte

Zwischen Handel und Heilberuf

Zur sozialen Bedeutung der Apotheke – ein Meinungsbeitrag von Giovanni Maio

Der Apothekerberuf gehört zu den Heilberufen. Damit ist eine Identität der Apotheke festgeschrieben, die darin besteht, sich dem Gemeinwohl verpflichtet zu fühlen. Gleichzeitig agiert der Apotheker auch als Kaufmann, die Apothekerin als Kauffrau. Kaufmann bzw. Kauffrau zu sein ist nichts Ehrenrühriges. Ganz im Gegenteil – so wissen wir, dass unser aller Wohlergehen auch davon abhängt, ob sich Kaufleute finden, die das für uns bereitstellen, was wir brauchen. Der Berufsstand der Apotheker befindet sich also in einer Doppelrolle – doch das impliziert längst keine Doppelmoral.

Der Arzneimittelmarkt stellt eine Besonderheit dar, denn Arzneimittel sind keine gewöhnlichen Waren. Es ist die Besonderheit des Arzneimittels, das den besonderen Auftrag der Apotheker auf den Plan ruft. Die Arzneimittelsicherheit ist ein hohes Gut, das nicht nur Regularien erfordert, sondern einen freien Beruf, der sich in den Dienst dieser öffentlichen Aufgabe stellt. Die Apotheker stellen sich als Vertreter eines Heilberufs vor diesem Hintergrund in den Dienst einer öffentlichen Aufgabe. Zwar hat eine Apotheke gewerbliche Züge, aber dadurch werden die Apotheker nicht automatisch zu Kaufleuten, sondern dieser Züge zum Trotz bleiben sie Heilberufler. Das lässt sich leicht ablesen beispielsweise an der unterschiedlichen Bedeutung von Kunde und Patient.

Menschen in der Apotheke – Kunden oder Patienten?

Das Kunden-Anbieter-Verhältnis ist ein ganz anderes als das Verhältnis zwischen einem Patienten und einem Vertreter der Heilberufe. Dies aus einem ganz einfachen Grund: Der Anlass für das Eintreten in ein Kunden-Anbieter-Verhältnis ist ein Geschäftsinteresse auf beiden Seiten. Im Grunde handelt es sich beim Kunde-Anbieter-Verhältnis um nichts anderes als um eine gesellschaftlich akzeptierte Form wechselseitiger Instrumentalisierung. Sie ist deswegen akzeptiert, weil damit die Interessen beider Gruppen gleichzeitig verfolgt werden können. Man kann es auch so sagen, dass es beim Kunden-Anbieter-Verhältnis um nichts anderes geht als um einen Tausch; es ist ein Tauschverhältnis, das auf einem Kaufvertrag aufbaut. Dies kann nur des­wegen und so lange funktionieren wie der Kunde souveräner Käufer ist und Zugang hat zu den wesentlichen Informationen, um selbstbestimmt seinen Kauf zu entscheiden.

Foto: imago images/Ralph Peters

Genau hier sehen wir den eklatanten Unterschied zwischen einem Kunden und einem Patienten. Der Kunde ist souverän, kann ganz für sich entscheiden, was er kaufen möchte oder nicht, kann Vergleichsangebote einholen und sich überhaupt entscheiden, ob er kaufen möchte oder lieber nicht. Der Patient hingegen, mag er auch noch so informiert sein, er kann es sich nicht aussuchen, ob er ein Arzneimittel nimmt oder nicht, denn in vielen Fällen ist er schlichtweg darauf angewiesen, oft sogar vital davon abhängig. Und darüber hinaus kann er von sich aus gar nicht beurteilen, ob er ein Mittel braucht oder nicht. Selbst das Zeitalter des Internets kann daran nichts ändern, dass jeder Patient auf eine beratende Unterstützung angewiesen ist, um überhaupt zu wissen, was er braucht.

Hier sehen wir, dass ein relevanter Unterschied zwischen Kunde und Patient darin liegt, dass der Patient sich in einer Situation der Angewiesenheit befindet. Er braucht daher nicht einfach nur einen Verkäufer, der gerne an ihm verdienen möchte, sondern er braucht einen Experten, der ihm helfen möchte. Diesen Experten nennen wir Heilberufler, weil sein Ziel eben nicht primär im Verkaufen besteht, sondern darin, eine Antwort auf die Angewiesenheit seines Patienten zu geben. Der Anlass für den Kunden, in ein Geschäft zu gehen, ist das Geschäftsinteresse, während der Anlass für den Patienten, in eine Apotheke zu gehen, in aller Regel eine Situation der Hilfsbedürftigkeit, ja der Not ist. Diese Not ist es, die es erforderlich macht, dass der Patient nicht auf einen Verkäufer stößt, der sich diese Not zunutze macht, um sein Geschäftsinteresse zu maximieren, sondern diese Not kann nur über einen Vertreter der Heilberufe beantwortet werden, weil der notleidende Patient eben schutzbedürftig ist und daher vor Ausbeutung geschützt werden muss. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Vertreter der Heilberufe nicht nur – wie die Geschäftsleute – eine Informationspflicht haben, sondern sie haben darüber hinaus eine Fürsorgepflicht, eine Pflicht, die sie dazu anhält, eine Handlung zum Schaden des Patienten zu vermeiden. Der Kunde entscheidet autonom, und der Verkäufer kann sich, ohne belangt zu werden, auf seine Informationspflicht zurückziehen, trägt für die Folgen seines Tauschgeschäftes beim Kunden keine Verantwortung. Beim Apotheker ist das aber ganz anders. Denn ihm kann es nicht egal sein, wie es seinen Patienten geht.

Foto: imago images/Horst Galuschka

Prof. Dr. med. Giovanni Maio ist Medizinethiker am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

Wir sehen an diesem Punkt, dass der entscheidende Unterschied zwischen dem Anbieter-Kundenverhältnis und dem Apotheker-Patientenverhältnis darin liegt, dass die Beziehung im einen Fall eine rein sachliche Tauschbeziehung ist und im anderen Fall eine moralische Beziehung darstellt, in der der Apotheker eine persönliche Verantwortung verspürt für das Wohl seines Patienten. Die Kunden-Anbieter-Beziehung bleibt allein gegenstandsorientiert, wohingegen die Beziehung zwischen dem Patienten und seinem Heilberufler über die Betrachtung des Gegenstandes hinausgeht. Der Apotheker kann sich eben nicht darauf beschränken, die Nebenwirkungen zu benennen, sondern er wird sich dafür interessieren, wer da vor ihm steht und ob das, was er da kaufen möchte, tatsächlich hilfreich ist für seinen Patienten. So hat der Apotheker ein Interesse daran, Arzneimittelmissbrauch zu verhindern, er hat ein Interesse daran, dass seine Arzneimittel nicht als Konsumgüter, sondern als Heilmittel gesehen werden, die maßvoll verwendet werden müssen. Nicht die Maximierung des Absatzes ohne Rücksicht auf den Kunden, sondern die Herausgabe der adäquaten Mittel und die Förderung der Gesundheit seiner Patienten ist das Ziel des Apothekers. Wäre der Apotheker ein reiner Geschäftsmann, müsste er gar Werbung betreiben für einen Überkonsum von Arzneimitteln.

Verantwortungsvoller Umgang mit Arzneimitteln

Den gefährlichen Überkonsum der Arzneimittel durch eine entsprechende Betreuung der Patienten zu vermeiden, gehört zu den gemeinwohl­orientierten Aufgaben der Apotheker. Hierzu kann es auch notwendig sein, Patienten vor überhöhten Erwartungen an das Arzneimittel zu warnen und sie dabei zu unterstützen, einen vernünftigen Umgang damit zu erlernen. Dies ist ein entscheidender Bildungsauftrag, der gerade den Apothekern zukommt, weil gerade sie so häufige Patientenkontakte haben wie kein anderer Heilberuf. Durch die regelmäßigen Kon­takte mit ihren Patienten leisten die Apotheker einen enormen Beitrag zu einem verantwortungsvollen Umgang der Bevölkerung mit Arzneimitteln.

„Der Aufbau des gegenwär­tigen ­Gesundheitssystems macht aus dem Gespräch eine Mangelware, und die Apotheker sind diejenigen, die dieses Defizit ein Stück weit auffangen.“

Prof. Dr. med. Giovanni Maio

Allein daran können wir ersehen, dass es sich beim Verhältnis, das der Apotheker mit den Menschen eingeht, die in seine Apotheke kommen, nicht um ein Kunden-Anbieter-Verhältnis handeln kann. Es ist das Verhältnis eines Hilfesuchenden zu einem Heilberufler, der als Heilberufler sich dazu bekennt, dass trotz der nicht zu leugnenden Geschäftsinteressen das Wohl seiner Patienten stets an oberster Stelle steht, damit jeder Kunde, der in die Apo­theke kommt, darauf vertrauen kann, immer gut beraten zu werden. Und so mag der Einzelne als Kunde die Apotheke betreten, aber er wird gleichwohl als (potenzieller) Patient behandelt. Er wird eben nicht nur bedient, sondern man kümmert sich um ihn, ganz gleich, ob er kaufen möchte oder nicht. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Apotheker sich eben nicht als Kaufleute verstehen können, weil sie einen öffentlichen Heilauftrag haben.

Und vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, dass die Aufgabe der Apotheker weit darüber hinausgeht, einfach nur für eine ausreichende Versorgung mit Arzneimitteln geradezustehen.

Ansprechpartner für spezifische Fragen

Der besondere Beitrag der Apotheker zur Förderung der Gesundheit der Bevölkerung liegt vor allem darin, dass die Apotheke für jeden Bürger einen leichten Zugang zu Gesundheitsinformationen ermöglicht. Es ist der niederschwellige Zugang zu fachkundigem Rat, der die Apotheke zu einer eminent wichtigen Säule der Gesundheitsversorgung macht. Die Möglichkeit, dass jeder Patient sich zunächst beim Apotheker erkundigen kann, ob zum Beispiel ein Arztbesuch überhaupt notwendig ist, ist gerade heute von unschätzbarem Wert. Man denke nur an die „Durchschleusungsmedizin“ in den Kliniken, die die Patienten in aller Regel viel zu früh und sehr häufig ohne gute Entlassgespräche auf die Straße setzen. Man denke an die ambulante Medizin, die für das Gespräch mit dem Patienten fast gar nicht bezahlt wird und auf diese Weise auch in den ­Praxen wenig Raum für Nachfragen bietet. Der Aufbau des gegenwärtigen Gesundheitssystems macht aus dem Gespräch eine Mangelware, und die Apotheker sind diejenigen, die dieses unverantwortliche Defizit ein Stück weit auffangen können, indem sie ihren Patienten zur Verfügung stehen, als Akademiker, als Heilberufler, als elementarer Teil eines Gesundheitssystems, das gut beraten wäre, die Säule der Apothekerschaft zu stärken statt zu dezimieren.

Fazit

Wenn man die Aufgabenvielfalt der Apotheker zusammennimmt, wird man feststellen, dass ein Großteil Beratungsaufgaben sind. Wer es ernst meint mit dem Wohl der Patienten, wird mit ihnen sprechen wollen, und zwar nicht mit dem Ziel, Arzneimittel zu verkaufen, sondern mit dem Ziel, ihnen eine orientierende Hilfe zu sein. Die Beratung ist es, die zur Förderung der Gesundheit der Bevölkerung beiträgt und nicht allein die Übergabe sicherer Arzneimittel. Mit der Übernahme dieser Aufgabenvielfalt erfüllen die Apotheker nicht weniger als eine soziale Aufgabe, nämlich die Aufgabe, für jeden Bürger jederzeit mit Rat und Tat zur Verfügung zu stehen. Die Apotheken sind es, die durch ihren niederschwelligen Zugang zu Beratung und Arzneimitteln eine enorme Egalisierungsleistung vollbringen, denn sie stehen jedem Bürger zur Verfügung, auch und gerade den sozial schwachen Menschen, den alten Menschen, den schwerkranken Menschen und nicht zu vergessen deren Angehörigen, die sich Rat einholen können für ihre ­Familienmitglieder, die sie zu Hause pflegen. Der Apothekerberuf übernimmt vor diesem Hintergrund eine wichtige soziale Funktion, und er sollte von Staats wegen auch dafür besonders gewürdigt und für seine unersetzbare soziale Aufgabe auch angemessen bezahlt werden. |

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