Arzneimittel und Therapie

Mit dem LDL geht‘s bergab

Niedrigere Zielwerte in der neuen europäischen Lipid-Leitlinie

Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) und die Europäische Atherosklerose-Gesellschaft (EAS) haben ihre Leitlinie zum Mana­gement von Fettstoffwechselstörungen zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos aktualisiert. Dabei werden für das LDL-Cholesterol noch niedrigere Zielwerte als bislang üblich angestrebt. Es gilt: „Je tiefer, desto besser!“

Seit der letzten Neufassung der ESC/EAS-Leitlinie vom August 2016 ist insbe­sondere die Bedeutung des Low-Density-Lipoprotein(LDL)-Cholesterols bei der Entstehung athero­sklerotischer kardiovaskulärer Erkrankungen durch zahlreiche Untersuchungen untermauert worden. In mehreren klinischen Studien wurde gezeigt, dass der Cholesterol-Resorptionshemmer Ezetimib sowie Inhi­bitoren der Proproteinkonvertase Subtilisin Kexin Typ 9 (PCSK9) in Kombination mit einem Statin den LDL-Wert und somit das Risiko für atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankungen weiter senken. Dementsprechend wird im Vergleich zur letzten Version der Leitlinie nun eine noch stärkere Senkung des LDL-Cholesterols empfohlen, insbesondere für Patienten mit hohem und sehr hohem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Foto: diegograndi – stock.adobe.com

Auf Talfahrt Herz-Kreislauf-Erkrankungen lassen sich durch weitere Senkung der LDL-Spiegel reduzieren.

Gesamtrisiko ist entscheidend

Nach wie vor ist das kardiovaskuläre Gesamtrisiko eines Patienten, das durch die Gesamtheit der Risikofaktoren bestimmt wird, ausschlaggebend für die Therapie. Je höher das Risiko, desto intensiver sollte die Therapie sein. Zur Risikoeinschätzung empfehlen die Fachgesellschaften weiterhin das sogenannte SCORE-System (Systematic Coronary Risk Estimation), bei dem das kumulative Risiko für ein tödlich verlaufendes kardiovaskuläres Ereignis innerhalb der nächsten zehn Jahre bestimmt wird. Neu ist die Empfeh­lung, nicht invasive Unter­suchungsmethoden wie Ultraschall zum Nachweis einer arteriellen Plaque-Belastung oder Computertomografie (CT) zur Ermittlung des koronaren Calcium-Scores einzusetzen. Diese diagnostischen Verfahren sollten insbesondere bei Patienten mit leichtem und moderatem Risiko in Erwägung gezogen werden. Die Ergebnisse können die Einschätzung des individuellen Risikos modifizieren und somit die Therapieentscheidung beeinflussen.

Das individuelle Gesamtrisiko sollte ab einem Alter von 40 Jahren bestimmt werden – auch wenn keinerlei Symptome vorliegen. Ausgenommen davon sind Personen mit kardiovaskulären Erkrankungen, langjährigem Diabetes (mit oder ohne Zielorganschäden), familiärer Hypercholesterolämie, chronischen Nierenerkrankungen oder einem LDL-Wert > 4,9 mmol/l (> 190 mg/dl). Diese werden automatisch als Patienten mit hohem bzw. sehr hohem Risiko eingestuft. Eine Risiko­einschätzung mittels SCORE ist nicht erforderlich.

Die Leitlinie empfiehlt, den Fokus nicht allein auf Hochrisikopatienten zu legen. Auch Patienten mit einem moderaten oder leichten Risiko sollen nach Auffassung der Experten dazu angehalten werden, ihren gesundheitlichen Zustand zu verbessern bzw. zu erhalten. Dazu dienen vor allem Hinweise zu einer gesunden Lebensweise mit körperlicher Aktivität, gesunder Ernährung (z. B. faserreiche Kost, viel Obst, Gemüse und Fisch, wenig Fertigprodukte, Fleisch und Wurst, Süßigkeiten und Softdrinks, keine trans-Fettsäuren) sowie der Verzicht auf Rauchen und Alkohol. Dabei sollten die vorbeugenden Maßnahmen immer auf das individuelle Gesamtrisiko zugeschnitten sein.

Intensive LDL-Senkung

Bei einem sehr hohen kardiovaskulären Risiko wird in der Leitlinie eine mindestens 50%-ige Reduktion des LDL-Cholesterol-Ausgangswertes sowie ein LDL-Zielwert < 1,4 mmol/l (< 55 mg/dl) empfohlen. Im Rahmen der Sekundärprävention kann in bestim­mten Fällen sogar ein Wert < 1,0 mmol/l (< 40 mg/l) angestrebt werden. Für Patienten mit einem hohen Risiko beträgt der empfohlene LDL-Zielwert < 1,8 mmol/l (< 70 mg/dl) neben dem Ziel einer mindestens 50%-igen LDL-Reduktion. Bei mode­ratem Risiko sollten Werte unter 2,6 mmol/l (< 100 mg/dl) erwogen werden, bei geringem Risiko unter 3,0 mmol/l (< 116 mg/dl).

Um diese Ziele zu erreichen, wird der Einsatz einer hochintensiven Statin-Therapie in der maximal verträglichen Dosierung empfohlen. Wird das Therapieziel mit Statinen alleine nicht erreicht, ist laut Leitlinie eine Kombinationstherapie mit Ezetimib angebracht. Für Patienten mit sehr hohem Risiko, bei denen die Zielwerte mit einem Statin in der höchsten tolerierten Dosierung in Kombination mit Ezetimib nicht erreicht werden, wird die zusätzliche Gabe eines PCSK9-Inhibitors nun ausdrücklich empfohlen – zuvor hieß es nur, dass die Wirkstoffe in Betracht gezogen werden könnten. Nach wie vor kann auch die Kombination eines Statins mit einem Gallensäurebinder erwogen werden, wenn der LDL-Zielwert nicht erreicht wird.

Die Behandlung mit Statinen wird generell auch für ältere Menschen empfohlen. Eine Therapie zu initiieren, sollte ab einem Alter von 75 Jahren allerdings lediglich bei hohem oder sehr hohem Risiko in Erwägung gezogen werden. Im Fall von Nierenfunktionseinschränkungen und/oder möglichen Arzneimittelwechselwirkungen sollte mit einer niedrigen Dosis begonnen werden, die dann bis zum gewünschten Effekt schrittweise gesteigert werden kann.

In der Schwangerschaft sind Statine kontraindiziert. Ausdrücklich nicht empfohlen werden sie bei prämenopausalen Patientinnen mit Diabetes, die eine Schwangerschaft anstreben bzw. keine ausreichenden Verhütungsmethoden anwenden. Ansonsten sprechen sich die Experten für eine generelle Statin-Therapie bei Patienten mit Typ-1-Diabetes aus, sofern ein hohes bzw. sehr hohes Gesamtrisiko vorliegt. Dies ist bereits ab einer Diabetesdauer von zehn oder mehr Jahren der Fall. Für Patienten mit Typ-2-Diabetes gelten die allgemeinen risikoabhängigen Zielwerte.

Aussagekräftiges Lipidprofil

Das kardiovaskuläre Gesamtrisiko wird nicht nur durch den LDL-Wert bestimmt. Auch andere Blutfettwerte, wie Gesamtcholesterol, High-Density-Lipoprotein (HDL), Triglyzeride oder ApoB spielen eine Rolle und sollten im Rahmen einer Lipidanalyse bestimmt werden. Ein Risikofaktor-Screening einschließlich Lipidprofil sollte für Männer ab 40 Jahren und für Frauen ab 50 Jahren bzw. nach der Menopause in Betracht gezogen werden. Eine Statin-Therapie wird für Hochrisiko­patienten empfohlen, wenn sich der Triglyzerid-Spiegel oberhalb von 2,3 mmol (200 mg/dl) bewegt. Neu ist für diese Patientengruppe auch die Empfehlung, zusätzlich zu einem Statin den Einsatz von Eicosapentaensäure-Ethylester (2 g zweimal täglich) zu erwägen, wenn trotz einer Statin-Therapie die Triglyzerid-Werte zwischen 1,5 und 5,6 mmol/l (135 und 499 mg/dl) liegen. Diese Empfehlung beruht insbesondere auf den Ergebnissen der REDUCE-IT-Studie, die Ende letzten Jahres veröffentlicht wurde: Durch die zusätzliche Gabe des hochdosierten Omega-3-Fettsäurederivats, das in den USA unter dem Namen Vascepa® zugelassen ist, konnte das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse um 25% gesenkt werden (s. DAZ 2018, Nr. 49, S. 28).

Mindestens einmal im Leben eines jeden Menschen sollte die Bestimmung von Lipoprotein a [Lp(a)] in Betracht gezogen werden, um diejenigen Indi­viduen zu identifizieren, die erblich bedingt sehr hohe Lp(a)-Spiegel (> 180 mg/dl) haben. Das Risiko für atherosklerotische kardiovaskuläre Ereignisse ist bei den Betroffenen deutlich erhöht (s. DAZ 2019, Nr. 35, S. 29).

Statin-Intoleranz ist selten

Ein besonderes Augenmerk der Leitlinie liegt auf den möglichen Nebenwirkungen der Statine. Oftmals wird eine Statin-Therapie vorzeitig abge­brochen, da aufgrund von Muskelbeschwerden eine Myopathie befürchtet wird. Wie placebokontrollierte, randomisierte Studien belegen, besteht jedoch nur in seltenen Fällen eine echte Statin-Intoleranz. Meist ist es möglich, die empfohlene Statin-Therapie durch Auswahl eines alternativen ­Statins, eine Dosisreduktion oder die Kombination mit Ezetimib weiterzuführen. Liegt tatsächlich eine bestätigte Statin-Intoleranz vor, sollte die Behandlung mit Ezetimib in Betracht gezogen werden. |

Literatur

European Society of Cardiology (ESC) and European Atherosclerosis Society (EAS). 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk. Eur Heart J 2019; doi: 10.1093/eurheartj/ehz455

Apothekerin Dr. Daniela Leopoldt

Das könnte Sie auch interessieren

In der Behandlung der Dyslipidämie verfolgen Europa und die USA unterschiedliche Strategien

„Treat to target“ oder „Fire and forget“?

Patienten profitieren nach einem Schlaganfall von Zielwerten unter 70 mg/dl

Optimaler LDL-Wert gesucht

IMPROVE-IT-Studie zeigt Nutzen von Ezetimib bei Hochrisikopatienten

Lipidsenker in Kombination doch besser

Bei hohem kardiovaskulärem Risiko sind GLP-1-Rezeptoragonisten und SGLT-2-Hemmer erste Wahl

Paradigmenwechsel bei Diabetes

Cholesterol als ein problematischer Teamplayer für kardiovaskuläre Erkrankungen

Sein Risiko erkennen

Statine sind wirksam und effektiv und werden doch zu wenig eingenommen

Ungenutzte Werkzeuge der Lipid-senkenden Therapie

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.