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Schwangerschaft

Umstrittener Zuckertest

Ein Für und Wider zum Routinescreening von Schwangeren auf Gestationsdiabetes

Seit 2012 legt die Mutterschaftsricht­linie fest, dass jeder Schwangeren zwischen dem sechsten und siebten Monat ein zweistufiges Blutzucker-Screening angeboten werden muss. Ergibt ein Belastungstest mit 50 g Glucose erhöhte Werte, wird der 75-g-orale-Glucosetoleranztest (oGTT) nachgeschaltet, der auch zur Diagnose von Diabetes bei nicht schwangeren Personen herangezogen wird. Allerdings gelten in der Gravidität deutlich niedrigere Grenzwerte. Die Kritik wird nicht leiser, dass dadurch zu viele werdende Mütter als Diabetikerinnen eingestuft werden – die Verunsicherung ist groß, nicht selten ohne Grund. | Von Rika Rausch 

Zum Wohle von Mutter und Kind sollte Aufregung von Schwangeren ferngehalten werden, doch Ängste und Unsicherheiten lassen sich schwer vermeiden, wenn es um die Gesundheit des eigenen Nachwuchses geht. In Deutschland können werdende Mütter ein engmaschiges Vorsorge­programm in Anspruch nehmen, das zu großen Teilen von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt wird. Regelungen dazu finden sich in der Mutterschaftsrichtlinie, die der Gemein­same Bundesausschuss (G-BA) für die ärztliche Betreu­ung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung festgesetzt hat [1].

In zwei Stufen zur Diabetikerin

Auch die Untersuchung auf Gestationsdiabetes gehört dazu, in Form von zwei Stresstests: Zwischen Schwangerschaftswoche (SSW) 24 + 0 und 27 + 6 wird die Schwangere zu einem Suchtest (Glucose Challenge Test, GCT) eingeladen [1]. Der GCT wird unabhängig von der Nahrungsaufnahme und der Tageszeit im nicht nüchternen Zustand mit dem Trinken von 50 g wasserfreier Glucose in 200 ml Wasser durchgeführt [2]. Die Messung der Blutglucose erfolgt aus venösem Plasma. Ein Wert von ≥ 135 mg/dl (7,5 mmol/l) eine Stunde nach Ende des Trinkens lässt den Verdacht auf Schwangerschaftsdiabetes aufkommen. Die Schwangere wird dann zu einem zweiten Termin eingeladen, um den 75-g-oralen-Glucose­Toleranztest (oGTT) durchzuführen. Liegt der Wert des GCT > 200 mg/dl (11,1 mmol/l), wird die Diagnose Gestations­diabetes direkt gestellt und auf einen oGTT verzichtet.

Zum oGTT muss die Schwangere nüchtern (mindestens acht Stunden ohne Essen und Trinken) erscheinen und bis zu drei Stunden Zeit einplanen. Die erste Blutabnahme erfolgt vor dem Trinken einer Lösung aus 75 g wasserfreier Glucose in 300 ml Wasser, die zweite Blutprobe wird eine Stunde, die dritte Blutprobe zwei Stunden nach dem Trinken der Glucose­Lösung entnommen. Während der Untersuchung darf sich die Frau nicht körperlich anstrengen und nichts trinken. Die Auswertung des Tests erfolgt entweder sofort im Anschluss oder in wenigen Tagen, wenn die Proben an ein Labor geschickt werden. Die Diagnosestellung orientiert sich an den in Tabelle 1 dargestellten Grenzwerten: Wird mindestens einer der drei Grenzwerte erreicht oder überschritten, gilt die Diagnose Schwangerschaftsdiabetes als gesichert. Der oGTT ist auch Mittel der Wahl zum Erkennen eines manifesten Diabetes mellitus: Bei nicht schwangeren Personen liegen die Hürden allerdings etwas höher (s. Tabelle 1) [3].

Tab. 1: Diagnostische Grenzwerte des 75-g-oGTT bei Frauen zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche. Zum Vergleich die Grenzwerte bei nicht schwangeren Personen zum Erkennen eines manifesten Diabetes mellitus [2, 3]
nüchtern
1 Stunde nach dem Trinken
2 Stunden nach dem Trinken
schwanger
≥ 92 mg/dl (5,1 mmol/l)
≥ 180 mg/dl (10,0 mmol/l)
≥ 153 mg/dl (8,5 mmol/l)
nicht schwanger
≥ 126 mg/dl (7,0 mmol/l)
≥ 200 mg/dl (11,1 mmol/l)

Was es bedeutet, Gestationsdiabetes zu haben

Ergibt der oGTT die Diagnose Gestationsdiabetes, wird die Schwangere an einen Spezialisten, in der Regel an einen Diabeto­logen, überwiesen. Sie gilt von nun an als Risikoschwangere, auch für nachfolgende Schwangerschaften. Zunächst wird versucht, den erhöhten Blutzucker über Lebensstilinterventionen zu reduzieren. Empfohlen wird eine Ernäh­rung bestehend aus 40 bis 50% Kohlenhydraten, 20% Proteinen und 20 bis 30% Fett, wobei die Kohlenhydratmenge auf drei nicht zu große Hauptmahlzeiten und zwei bis drei kleinere Zwischenmahlzeiten über den Tag verteilt werden sollte. Für adipöse Schwangere ist eine kalorien­reduzierte, eiweißreiche Kost günstig. Die Mindestkalorienmenge von 1600 bis 1800 kcal/Tag darf jedoch nicht unterschritten werden [2].

Zudem erwartet die Schwangere eine engmaschige Selbstkontrolle ihres Blutzuckers: In den ersten ein bis zwei Wochen muss viermal pro Tag gemessen werden: morgens nüchtern und ein oder zwei Stunden nach Beginn der Hauptmahlzeiten (4-Punkte-Profil). Sind alle Werte im Zielbereich, soll auf eine einzige tägliche Messung im Rotationsverfahren oder ein 4-Punkteprofil zweimal pro Woche reduziert werden. Die Blutzuckerwerte müssen dokumentiert und dem behandelnden Arzt vorgezeigt werden. Zudem wird zu regelmäßiger körperlicher Bewegung geraten, mindestens aber zwei Stunden pro Woche. Hinzu kommen zusätzlich zu den üblichen Ultraschallkontrollen alle zwei bis vier Wochen (je nach Ausgangsbefund und Verlauf der Blut­glucose-Einstellung) fetale Ultraschallbiometrien mit einer Beurteilung der Zunahme des Abdominalumfangs und der Proportionalität [2].

Können die Blutglucose-Werte innerhalb von zwei Wochen nicht ausreichend gesenkt werden, stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit einer Insulin-Therapie. Eine positive Antwort hat neben täglichem Spritzen auch maßgebliche geburts­medizinische Konsequenzen wie die Einleitung am errechneten Termin. Auch muss sich die werdende Mutter nach einer Geburtsklinik mit Neonatologie umsehen [2].

Suchtest wenig verlässlich

Summa summarum bedeutet der „Zuckertest“ eine nicht unerhebliche Belastung für die Schwangere und kann im Einzelfall gravierende Auswirkungen haben. Frauen, die einmal mit der Diagnose Gestationsdiabetes konfrontiert wurden, können sich dem Krankheitsraster nur schwer wieder entziehen. Das flächendeckende Screening auf Gestationsdiabetes ist deshalb immer wieder Gegenstand von Diskussionen – vor allem die Sinnhaftigkeit des vorgeschalteten Suchtests.

Während die Mutterschaftsrichtlinie sich auf der Basis von zwei Interventionsstudien [4, 5] für das zweizeitige Screening ausspricht, wird die Aussagekraft des von Tageszeit und Nahrungsaufnahme unabhängigen 50-g-Glucosetests von Patienten und Ärzten maßgeblich infrage gestellt, selbst von den Fachgesellschaften [2]. Ein Cochrane-Review kam 2014 unter Berücksichtigung von vier Studien mit insgesamt 3972 Frauen zu dem Ergebnis, dass keine ausreichende Evidenz vorliegt, die eine Aussage darüber zulässt, ob ein generelles Screening mit dem GCT das Outcome von Mutter und Kind in der Schwangerschaft verbessert [6]. Dennoch wird in den meisten Arztpraxen dieser Test durchgeführt, um bei positivem Ergebnis den „großen Zuckertest“ zulasten der gesetzlichen Krankenkassen abrechnen zu können. Andern­falls gilt er als IGel-Leistung und muss von der Schwangeren aus eigener Tasche bezahlt werden. Die Ärzte sehen hier dringenden Nachbesserungsbedarf [7].

Doch auch die Routineuntersuchung mit dem oGTT findet nicht nur Befürworter. Im Folgenden die wichtigsten Pro-Kontra-Argumente im Überblick.

Pro: oGTT-Grenzwerte weltweit akzeptiert

Anders als der GCT wird der oGTT auch von den deutschen Fachgesellschaften, unter anderem der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), akzeptiert und ausdrücklich zum Erkennen von Schwangerschaftsdiabetes empfohlen [8]. Man folgt damit den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die sich aus den Ergebnissen der HAPO­‑Studie (The Hyperglycemia and Adverse Pregnancy Outcome Study) aus dem Jahr 2010 ableiten [9]. In der HAPO­Studie wurden die Daten von 23.316 Mutter-Kind-Paaren aus neun Ländern ausgewertet, die zwischen SSW 24 und 32 mit dem 75-g-Glucose-Test auf Gestationsdiabetes untersucht worden waren [9]. Der Nüchternglucosewert betrug im Durchschnitt 80,9 mg/dl, der 1-Stunden-Wert 134,1 mg/dl und der 2-Stunden-Wert 111 mg/dl. Das Risiko für Makro­somie, Kaiserschnitt, klinische neonatale Hypoglykämie und Hyperinsulinämie (primäre Endpunkte) stieg kontinuierlich und stufenweise mit der Höhe der mütterlichen Plasma­glucose. Auch sekundäre Endpunkte wie Schulterdystokie und Präeklampsie waren mit den Messwerten assoziiert. Die Kinder wurden durchschnittlich nach 39,4 Wochen geboren. 6,9% der Kinder kamen zu früh auf die Welt: Dieses Ereignis war zwar mit erhöhten 1- und 2-Stunden-Werten assoziiert, nicht aber mit dem Nüchternblutzuckerwert. Da die Studienautoren keinen definierten Schwellenwert festlegen konnten, hat die International Association of Diabetes and Pregnancy Study Groups (IADPSG) im Jahr 2010 die diagnostischen Grenzen mit einer Odds-Ratio (OR) von 1,75 vom jeweiligen Mittelwert der in der HAPO-Studie für den Nüchternblutzuckerwert, den 1- und den 2-Stunden-Wert ermittelten Messwerte festgelegt (s. Tabelle 1). Im Jahr 2013 hat eine Expertengruppe der WHO diese Grenzwerte für die gesamte Schwangerschaft empfohlen. Sie gelten als weltweit akzeptiert [8].

Pro: Folgen von Diabetes verhindern

Nicht erst die HAPO-Studie hat gezeigt, dass mit steigenden mütterlichen Blutglucose-Werten die Rate an Komplikationen für Mutter und Kind zunimmt. Gestationsdiabetes ist eine Vorstufe von Typ-2-Diabetes und durch eine zunehmende Insulin-Resistenz, Betazellen-Defekt und Entzündung gekennzeichnet [10]. Die mütterliche Hyperglykämie führt zu einer gesteigerten fetalen Insulin-Sekretion. Zu den akuten Folgen für das Kind zählt die Makrosomie (Geburtsgewicht ≥ 4000 g), ein erhöhter fetaler Hämatokrit und eine verminderte fetale Surfactant-Bildung, die unerlässlich für die Lungen­reife ist. Langfristig trägt das Kind ein erhöhtes Risiko für Übergewicht und Adipositas [2].

Auch für die Mutter hat eine gestörte Glucose-Toleranz akute Folgen, etwa ein erhöhtes Risiko für Harnwegsinfektionen, Candida-Infektionen, Periodontitis, schwangerschaftsinduzierte Hypertonie und Präeklampsie. Mit Blick auf die Geburt ergeben sich Komplikationen wie eine Schulterdys­tokie, bei der die Schulter des Kindes während der Geburt im Becken der Mutter hängen bleibt, und ein erhöhtes Risiko für eine Frühgeburt vor der 37. Schwangerschaftswoche. Bekannte Langzeitfolgen sind Depressionen, Komplikationen im unteren Harntrakt, metabolisches Syndrom und kardiovaskuläre Ereignisse [2].

Es ist unbestritten, dass ein rechtzeitiges Erkennen von Gesta­tionsdiabetes und entsprechendes Intervenieren die Folgen für Mutter und Kind signifikant senken kann.

Pro: Steigender Prävalenz begegnen

Gestationsdiabetes gehört weltweit zu den häufigsten Schwangerschaftskomplikationen. Mit dem Routinescreening möchte man idealerweise alle Risikoschwangeren rechtzeitig erkennen und behandeln, bevor es zu Komplikationen für Mutter und Kind kommt. Die in den vergangenen Jahren gestiegene Prävalenz von Gestationsdiabetes scheint diese Maßnahme zu rechtfertigen. In Deutschland lag die Prävalenz 2017 bei 5,9% [10]. Nach absoluten Zahlen hat sie sich in den zurückliegenden 15 Jahren verfünffacht. Die Zahlen sind einerseits die Folge der Zunahme wesentlicher Risikofaktoren, beispielsweise des mütterlichen Alters und der Adipositas. Andererseits haben auch die Veränderung der Screeningverfahren und die Einführung neuer diagnostischer Grenzwerte Anteil an dieser Entwicklung, wie in der S3-Leitlinie Gestationsdiabetes mellitus eingeräumt wird [2]. Seit Einführung der IADPSG-Kriterien hat sich die Prävalenz in Italien um 25%, in Schweden um 35%, in Australien um bis zu 62% und in China um das 3,5-Fache erhöht –Zahlen, die durchaus kritisch gesehen werden.

Kritik an Glucose-Abfüllungen

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Ärzte, Apotheker und vor allem werdende Eltern sind derzeit stark beunruhigt: In Köln starben vor etwa drei Wochen eine 28-jährige Frau und ihr Baby im Zuge des oralen Glucose-Toleranztests an multiplem Organversagen [24]. Die zuständigen Behörden haben eine toxische Verunreinigung in der portionierten Glucose, die in der Arztpraxis in Wasser aufgelöst wurde, gefunden. Bis Redak­tionsschluss waren die Hintergründe der Todesfälle unklar. Zumindest die Lieferkette kann als Ursache der Verunreinigung definitiv ausgeschlossen werden [25]. Die Beimischung erfolgte nach bisherigen Hinweisen in der Apotheke. Die Kölner Staatsanwaltschaft ermittelt nun in alle Richtungen. Experten, darunter Fachgesellschaften wie die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG), nehmen die tragischen Ereignisse zum Anlass, um harsche Kritik am Sparkurs der Krankenkassen zu üben: Da diese das Fertigarzneimittel Accu Check Dextrose OGT mit einem Verkaufspreis von aktuell 5,53 Euro für unwirtschaftlich erachten, müssen Ärzte abgepackte Glucose aus der Apotheke für den oralen Glucosetoleranz-Test als Sprechstundenbedarf verordnen. Die in Tütchen abgefüllte Einzelportion Glucose kostet etwa 1,20 Euro. Die Selbstherstellung im normalen Praxisbetrieb berge das Risiko von Ungenauigkeiten, so die DDG. Falsche Testergebnisse und in der Folge falsche Diagnosen könnten unter anderem aus der unvollständigen Leerung der Tüte, zurückgebliebenem Bodensatz im Becher oder unpräziser Abmessung der Flüssigkeit resultieren. Auch die Abfüllung in den Apotheken kann bei aller Sorgfalt mit Fehlern behaftet sein. Dass durch Nachlässigkeit oder mit krimineller Absicht eine andere Substanz hineingegeben werden könnte, habe man dabei gar nicht auf dem Schirm gehabt, so die Kritiker [24]. Das Fertigarzneimittel wird in Reaktion auf die jüngsten Ereignisse sogar in einigen Regionen von den Krankenkassen vorübergehend erstattet, ist allerdings nach wie vor schlecht lieferbar. Mitte Oktober wird Nachschub erwar­tet [26].

Kontra: Grenzwerte als Kompromiss

Die diagnostischen Kriterien für Gestationsdiabetes orientieren sich an einer einzigen Beobachtungsstudie, der HAPO­­‑Studie [9]. Die Studienautoren selbst sahen sich nicht in der Lage, basierend auf den erhobenen Daten Grenzwerte zu definieren, da die Assoziationen verschiedener negativer Ergebnisse mit oGTT-Ergebnissen kontinuierlich waren und keine klaren Wendepunkte identifiziert werden konnten. Die Komplikationsrate war umso geringer, je niedriger die mütterlichen Glucose-Werte waren – auch wenn diese bereits im Normalbereich lagen. Dies ließe sogar die Schlussfolgerung zu, dass der Zusammenhang zwischen dem mütterlichen Glucose-Spiegel, dem fetalen Wachstum und dem fetalen Ergebnis ein grundlegendes biologisches Phänomen darstellt und kein klar abgegrenzter Krankheitszustand ist, so die HAPO-Studienautoren. Erst ein internationales Expertengremium setzte die Grenzen fest: Die Delegierten waren sich bewusst, dass die Wahl der Schwellenwerte etwas willkürlich sein muss, da keine Wendepunkte erkennbar waren. Die Ergebnisse von zu großen oder hyperinsulinämischen Säuglingen bildeten die primäre Grundlage für die empfohlenen diagnostischen Kriterien.

Die Grenzwerte sind niedriger angesetzt als für die Diagnose von Diabetes außerhalb einer Schwangerschaft und gelten als sehr streng. Kritiker sehen die Gefahr von Fehldiagnosen und Überbehandlungen und damit verbunden eine gesteigerte Verunsicherung der Schwangeren. Ein positives Testergebnis hieße noch lange nicht, dass tatsächlich ein Diabetes in der Schwangerschaft vorliegt, so die Informationen auf einer Website des Medizinischen Versorgungs­zentrums Stuttgart [11]. Beim Test mit 50 g Glucose sei jede vierte Frau auffällig. Mit Blick auf den 75-g-Test liegen bei etwa 20% der Schwangeren trotz positiven Testergebnisses kein Diabetes und keine Gefährdung für das Kind vor.

Die englische Gesundheitsbehörde NICE hat bereits im Jahr 2015 den Nüchternglucosewert auf 5,6 mmol/l gelockert [12].

Kontra: Viele Störfaktoren

Dass der 50-g-Suchtest wenig aussagekräftig ist, da kein Nüchternglucosespiegel erfasst wird, ist mittlerweile ein offenes Geheimnis. Aber auch der oGTT hat seine Tücken und kann durch verschiedene Einflüsse gestört werden. Über die Messqualität wird bereits in der Arztpraxis entschieden: Wegen der tageszeitlichen Abhängigkeit der Glucose-Toleranz darf der Test nicht vor 6 Uhr und nicht nach 9 Uhr morgens durchgeführt werden [2]. Die Lösung sollte nicht im Sturztrunk geleert werden. Zu den wichtigsten präanalytischen Fehlern zählen ungeeignete Entnahmegefäße (z. B. Serum-Röhrchen), Entnahmegefäße ohne Gerinnungshemmer, Entnahmegefäße ohne Zusatz einer geeigneten Glyko­lyse-Hemmsubstanz und die zeitverzögert einsetzende Glyko­lysehemmung durch den Zusatz von Natriumfluorid (NaF) allein. Als zuverlässig gelten ausschließlich Proben von venösem Plasma bzw. Plasmaäquivalente (Umrechnung aus venösem Vollblut), die in einem Entnahmegefäß mit Zusatz eines sofort (z. B. Citrat/Citratpuffer) und verzögert wirkenden Glykolysehemmers (NaF) sowie eines Gerinnungshemmers (EDTA oder Heparin) innerhalb von 24 Stunden an ein Labor gesendet werden.

Aber auch die Schwangere selbst kann das Ergebnis des oGTT beeinflussen. Grundsätzlich gilt, dass in den Tagen vor der Untersuchung ganz normal gegessen und getrunken werden sollte. Es darf nicht bewusst auf Kohlenhydrate verzichtet werden [2]. Im Hinterkopf behalten sollte man jedoch, dass Nahrungsmittel mit hoher glykämischer Last den Blutzucker besonders schnell ansteigen lassen und dementsprechend die Insulin-Ausschüttung ankurbeln. Beispiele dafür sowie für Nahrungsmittel mit niedriger glykämischer Last, die Schwankungen im Blutzuckerspiegel verringern, finden sich in Tabelle 2 [13].

Tab. 2: Glykämische Last ausgewählter Lebensmittel (Referenzsubstanz Glucose) [13]
Lebensmittel
glykämische Last pro Portion
Brot aus niedrig ausgemahlenem Weizen
11
Roggenbrot mit (80% intakten) ganzen Körnern
9
Langkorn-Reis (gekocht)
25
Jasmin-Reis (gekocht)
46
Spaghetti (weiß, 10–15 min gekocht)
24
Ananas
6
Banane
11
Orange
4
Kartoffeln (gekocht)
9 – 25
Karotten (roh und gekocht)
2
Naturjoghurt
3
Milch (Vollfett)
4
Orangensaft
12
Schoko-Riegel
27
Kartoffelchips
12
Cornflakes
20

Im Jahr 2017 wurde im Rahmen einer Studie mit 1559 Erwach­senen ohne Diabetes festgestellt, dass der oGTT häufiger falsch positiv ausfiel, wenn die Probanden in den beiden Tagen vor dem Test zu wenig (< 7 Stunden) geschlafen hatten [14]. Verkürzter Schlaf kann die Insulin-Sensitivität nachweislich vermindern. Ebenso wurde beobachtet, dass Gestationsdiabetes im Winter seltener diagnostiziert wird, da die Absenkung der Umgebungstemperatur eine gesteigerte Aktivität von braunem Fettgewebe und dadurch eine verbesserte Insulin-Sensitivität bedingt [15]. 
Nicht zuletzt können auch Arzneimittel den Blutzucker in die Höhe treiben, darunter Beta-2-Sympathomimetika, verschiedene Psychopharmaka (z. B. Clozapin, Mirtazapin) und Antikonvulsiva (z. B. Carbamazepin, Gabapentin) sowie Glucocorticoide [16]. Für einen Großteil der Schwangeren ist wichtig zu wissen, dass auch Schilddrüsenhormone und Progesteron (z. B. Famenita®, Utrogest®) [2] den Insulin-Haushalt durcheinanderbringen und deshalb am Untersuchungstag erst nach dem Test eingenommen werden sollten.

Kontra: Nutzen-Schaden-Bilanz fraglich

In Deutschland entwickeln 4 bis 5% aller werdenden Mütter einen Schwangerschaftsdiabetes. Dennoch werden alle Frauen unabhängig ihres Risikoprofils gescreent. 80% der mit dem oGTT herausgefilterten Schwangeren wird lediglich zu einer Ernährungsumstellung in Verbindung mit regelmäßiger Bewegung geraten, die dann in der Regel zu normalen Blutzuckerwerten führt. Nur eine von fünf Frauen benötigt tatsächlich Insulin [8]. Selbst das Patienten-Merkblatt des G-BA zum Thema Screening auf Gestationsdiabetes betont: Auch mit Schwangerschaftsdiabetes kommen die aller­meisten Kinder gesund zur Welt [17].

Der Allgemeinmediziner Prof. Dr. med. Heinz-Harald Abholz, ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM), hat im Jahr 2015 in der Zeitschrift für Allgemeinmedizin scharfe Kritik am Gestationsdiabetes-Screening geübt [18]. Er kommt zu einer negativen Nutzen-Schaden-Bilanz. Im Durchschnitt werden pro Jahr 80.000 Schwangere als Diabetikerinnen eingestuft. Studien gehen davon aus, dass es im Durchschnitt bei 1% dieser Schwangerschaften zu einem Schaden kommt, das entspricht 800 Geschädigten mit mehrheitlich leichten bis seltener schweren Schäden, wie Abholz herausstellt. Durch die niedrigen Grenzwerte und die starke Glucose-Belastung erfasst der oGTT auch Schwangere mit leichter Störung der Glucose-Toleranz, die nicht von einer Behandlung profitieren, weil sie mehrheitlich keine gebraucht hätten. Diese falsch positiven Fälle nimmt man in Kauf, um dafür möglichst keinen Fall mit Gestationsdiabetes plus Schaden beim Kind zu übersehen. Für Deutschland ist nach Abschätzung aus Therapiestudien zu erwarten, dass es pro Jahr zu 13 verhinderten Schulterdystokien und 400 verhinderten Geburtskomplikationen kommt, die überwiegend leichterer Natur und ohne bleibenden Schaden sind. Die kindliche und mütterliche Mortalität werden dagegen nicht beeinflusst. Diesem geringen Nutzen stehen Schäden durch Übertherapie und Verunsicherung entgegen, kritisiert Abholz [18].

Gäbe es überhaupt Alternativen zum oGTT?

Bei all der Kritik am oGTT: Er ist und bleibt die zuverlässigste Methode, um einen Diabetes zu diagnostizieren. Wie oben dargestellt stellt sich in puncto Schwangerschaftsdiabetes jedoch die Frage, ob auch Frauen mit einer leichten Störung der Glucose-Toleranz herausgefiltert werden sollten, die ihren Blutzucker mit einer Ernährungsumstellung wahrscheinlich in den Griff bekommen werden und gern auf die Belastungen, die der oGTT mit sich bringt, verzichten würden. In der Literatur finden sich einige Vorschläge:

Nüchternglucosewert. Ein Screening mittels Nüchternblutzucker könnte in Abhängigkeit von den Grenzwerten 33% bis 50% der 75-g-oGTTs vermeiden [2]. Auch in der HAPO-Studie korrelierte der Nüchternglucosewert direkt mit dem Outcome, jedoch wurde die Validität dieser Metho­de nur im Zusam­menhang mit den 1- und 2-Stunden­-Werten untersucht, die zumindest teilweise unabhängig voneinander als Prädiktor für das unerwünschte Schwangerschaftsergebnis beitrugen. Zudem gibt es wahrscheinlich populations­bedingte Unterschiede. So eignet sich der Nüchternblut­zuckerwert weniger bei asiatischen Patientinnen. Die Messung des Nüchternwerts kommt zumindest als Alternative für den GCT infrage: Sie zeigt eine höhere Reproduzierbarkeit, ist einfacher durchführbar und weniger zeitaufwendig. Denkbar wäre, den 75-g-oGTT nur bei einem Nüchternwert von 81 bis 90 mg/dl (4,5 bis 5,0 mmol/l) durchzuführen. In der Schweiz findet dieses zweistufige Vorgehen bereits Anwendung. Ist der Wert < 79,2 mg/dl (4,4 mmol/l), so ist die Diagnose Gestations­diabetes wenig wahrscheinlich [2].

HbA1c-Wert. Der HbA1c-Wert erlaubt Rückschlüsse auf die Höhe des Blutzuckers der letzten sechs bis acht Wochen. Ein „Langzeitblutzuckerwert“ von ≥ 6,5% gilt als Bestätigung der Diagnose eines manifesten Diabetes. Der HbA1c-Wert ist jedoch abhängig von Zahl und Lebensdauer der Erythrozyten. Eine Anämie, also eine Verminderung des Hämoglobins sowie der Erythrozyten, kann zu falsch hohen Werten führen. Sie tritt vorrangig im dritten Trimenon durch den erhöhten Bedarf der Mutter an Wachstums- und Baustoffen für die Bildung des Blutes auf [2]. Es hat sich gezeigt, dass der HbA1c-Wert Frauen mit normaler Schwangerschaft nicht ausreichend von denen mit Schwangerschaftsdiabetes abgrenzt [19]. Die Bestimmung des HbA1c-Wertes soll laut Leitlinie wegen der schlechten Sensitivität nicht als alleinige Bestimmung zum Screening eingesetzt werden. Eine Subanalyse der HAPO-Studie zeigte, dass die Assoziation des HbA1c mit einem erhöhten Geburtsgewicht und Insulin-Werten im Nabel­schnurblut geringer ist als bei jedem einzelnen Blut­zuckerwert des oGTT und damit keine zuverlässig sensitive Alternative darstellt, wenn man sich am neonatalen Outcome orientiert [2].

Einer Kohortenstudie von 2018 zufolge wäre allerdings ein HbA1c-Screening im ersten Trimenon denkbar, mit dem sich das Risiko auch bei „unverdächtigen“ Schwangeren vorhersagen ließe. Der Hintergrund: Ein Schwangerschafts­diabetes macht sich bereits früh in Form einer sub­klinischen Störung der Glucosehomöostase bemerkbar, viel früher als die klinische Manifestation eines Gestationsdiabetes bei der Mutter [20].

Auf einen Blick

  • Die Routineuntersuchung auf Gestationsdiabetes erfolgt zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche mithilfe eines Suchtests (Glucose Challenge Test, GCT) und einem bei erhöhten Glucose-Werten nachgeschalteten oralen Glu­cose-Toleranztest (oGTT).
  • Die Aussagekraft des GCT ist umstritten, und auch der oGTT hat seine Tücken. In der Kritik stehen beispielsweise die niedrigen diagnostischen Grenzwerte, die sich an einer einzigen Beob­achtungsstudie orientieren. Zudem kann eine Reihe von Störfaktoren das Ergebnis des oGTT verfälschen.
  • Ein rechtzeitiges Erkennen von Gestationsdiabetes und Intervenieren kann jedoch die Folgen für Mutter (z. B. erhöhtes Risiko für Harnwegs- und Candida-Infektionen, Periodontitis, schwangerschaftsinduzierte Hypertonie und Präeklampsie) und Kind (z. B. Makrosomie, erhöhter fetaler Hämatokrit, verminderte fetale Surfactant-Bildung) signifikant senken.
  • Die wenigsten Frauen benötigen Insulin zur Behandlung eines diagnostizierten Schwangerschaftsdiabetes. In 80% der Fälle wird zu einer Ernährungsumstellung in Verbindung mit regelmäßiger Bewegung geraten.

Nur Risikoschwangere testen. Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, nur Schwangere zu testen, die ein gewisses Risikoprofil aufweisen. Auf der Basis einer genetischen Prädisposition stehen vor allem Übergewicht, ein falscher Lebens­stil, ungünstige Ernährungsgewohnheiten und mangelnde Bewegung der Frauen sowie ein höheres Lebensalter im Mittelpunkt. Das National Institute for Health and Care Excellence (NICE) empfiehlt den oGTT nur für Schwangere, die folgende Risikofaktoren aufweisen: Body-Mass-Index über 30 kg/m², vorherige Geburt eines Kindes ≥ 4500 g, vorangegangene Diagnose eines Schwangerschaftsdiabetes, Verwandte ersten Grades mit Diabetes, Angehörigkeit einer ethnischen Gruppe mit besonders hoher Diabetes-Prävalenz [12]. Die Gefahr: Frauen mit „verstecktem Diabetes“ fallen durch das Raster.

Ernährungsberatung für alle. Die primäre therapeutische Strategie bei Schwangeren, die beim oGTT auffällig waren, lautet: Lebensstilinterventionen. Bei 80% der Betrof­fenen führt eine Ernährungsumstellung in Verbindung mit regelmäßiger Bewegung bereits zu normalen Blut­zuckerwerten [8]. Der Deutsche Hebammenverband sprach sich 2011 aus verschiedenen Gründen gegen ein generelles Screening auf Gestationsdiabetes mittels oGTT aus und schlug als erste alter­native Vorgehensweise für alle Schwangeren eine Beratung zum Lebensstil vor – ein sowohl kostengünstiges als auch in der täglichen Praxis leicht umzusetzendes Instrument [21]. |

 

Literatur

[1] Mutterschafts-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). www.g-ba.de; Abruf am 3. Oktober 2019

[2] Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Schwangerschaft der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und Arbeitsgemeinschaft Geburtshilfe und Pränatalmedizin in der Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). S3-Leitlinie Gestationsdiabetes mellitus (GDM), Diagnostik, Therapie und Nachsorge; 2. Auflage. Stand Februar 2018. AWMF-Registernummer: 057–00

[3] Praxis-Empfehlung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Definition, Klassifikation und Diagnostik des Diabetes mellitus. Diabetologie 2018;13(Suppl 2):S90-S96

[4] Crowther CA et al. Effect of treatment of gestational diabetes mellitus on pregnancy outcomes. N Engl J Med 2005;352(24):2477-2486

[5] Landon MB et al. A multicenter, randomized trial of treatment for mild gestational diabetes. N Engl J Med 2009;361(14):1339-1348

[6] Tieu J et al. Screening and subsequent management for gestational diabetes for improving maternal and infant health. Cochrane Database Syst Rev 2014;(2):CD007222

[7] Ärztegenossenschaft fordert Verbesserungen beim Screening auf Gestationsdiabetes. Meldung auf aerzteblatt.de vom 30. Juni 2017. www.aerzteblatt.de; Abruf am 3. Oktober 2019

[8] WHO definiert Schwangerschaftsdiabetes neu: Nur Blutzuckerbelastungstest ist zuverlässig. Pressemitteilung der Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) vom 14. April 2014. www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de; Abruf am 03. Oktober 2019

[9] Coustan DR et al. International Association of Diabetes and Pregnancy Study Groups. The Hyperglycemia and Adverse Pregnancy Outcome (HAPO) study: paving the way for new diagnostic criteria for gestational diabetes mellitus. Amer J Obstet Gynecol 2010; 202:654.e1-6

[10] Kleinwächter H. Gestationsdiabetes: Steigende Prävalenz. Pharm Z 25. August 2019

[11] Wiedemann R. Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) Stuttgart. In der Schwangerschaft auftretende Zuckerkrankheit (Gestationsdiabetes). www.vorbeuge-medizin.com (letzte Aktualisierung: 6. Dezember 2018); Abruf am 3. Oktober 2019

[12] NICE-Guideline. Diabetes in pregnancy: management from preconception to the postnatal period. www.nice.org.uk (letzte Aktualisierung: August 2015); Abruf am 3. Oktober 2019

[13] Glykämischer Index und glykämische Last – ein für die Ernährungspraxis des Gesunden relevantes Konzept? Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Ernährung von 2013. www.ernaehrungs-umschau.de; Abruf am 3. Oktober 2019

[14] Bliwise DL et al. Habitual and Recent Sleep Durations: Graded and Interactive Risk for Impaired Glycemic Control in a Biracial Population. Am J Med 2017;130(5):564-571

[15] Booth G et al. Influence of environmental temperature on risk of gestational diabetes. CMAJ 2017;189:E682-9

[16] Petri H. Arzneimittelnebenwirkungen: Welche Medikamente diabetogen wirken. Dtsch Arztebl 2016;113(17):12-14

[17] Patienteninformation: Ich bin schwanger. Warum wird allen schwangeren Frauen ein Test auf Schwangerschaftsdiabetes angeboten? Merkblatt des Gemeinsamen Bundesausschusses (Stand: Januar 2012). www.g-ba.de; Abruf am 3. Oktober 2019

[18] Abholz HH. Drei Jahre Screening auf Gestationsdiabetes in Deutschland. Zeitschrift für Allgemeinmedizin 2015:2. www.online-zfa.de; Abruf am 3. Oktober 2019

[19] Lowe LP et al. Hyperglycemia and Adverse Pregnancy Outcome (HAPO) Study. Associations of maternal A1C and glucose with pregnancy outcomes. Diabetes Care 2012;35(3):574-580

[20] Hinkle SN et al. HbA1c Measured in the First Trimester of Pregnancy and the Association with Gestational Diabetes. Sci Rep 2018;8(1):12249

[21] Deutscher Hebammenverband. Stellungnahme zum Routinescreening auf Gestationsdiabetes. Oktober 2011. www.hebammen-nrw.de; Abruf am 3. Oktober 2019

[22] Glucosetoleranz-Test: Kritik an der Sparmaßnahme Apothekenabfüllung. Meldung auf DAZ.online vom 2. Oktober 2019. www.deutsche-apotheker-zeitung.de; Abruf am 3. Oktober 2019

[23] Produktinformationen ACCU CHEK Dextrose O.G.-T. Saft

[24] Glucosetoleranz-Test: Kritik an der Sparmaßnahme Apothekenabfüllung. Meldung auf DAZ.online vom 2. Oktober 2019. www.deutsche-apotheker-zeitung.de; Abruf am 5. Oktober 2019

[25] Laumann: Vertrauen in Arzneimittelsicherheit ist „schon erschüttert genug“. Meldung auf DAZ.online vom 4. Oktober 2019. www.deutsche-apotheker-zeitung.de; Abruf am 5. Oktober 2019

[26] Wann gibt es wieder Accu-Chek Dextrose O.G-T.? Meldung auf DAZ.online vom 4. Oktober 2019. www.deutsche-apotheker-zeitung.de; Abruf am 5. Oktober 2019

Autorin

Rika Rausch, Apothekerin und DAZ-Redakteurin

Süßes – sonst gibt's Zweifel

Ein Kommentar von Rika Rausch

Rika Rausch

Schwangere bestechen durch eine ausgesprochen hohe Adhärenz. Sie würden alles tun, um für den kleinen Menschen in ihrem Bauch optimale Startbedingungen ins Leben zu schaffen. Das geht über die tägliche Einnahme von Mikronährstoffen über den vollständigen Verzicht auf die geliebte italienische Salami bis hin zum stundenlangen Ausharren vor dem Wehenschreiber. Werdende Mütter können sich glücklich schätzen angesichts der Möglichkeiten, die ihnen das deutsche Gesundheitssystem bietet. Und doch können die vielen Kontrollen auch ein Fluch sein, der verhindert, dass Frauen die Schwangerschaft genießen. Einen Test abzulehnen, kommt für die Aller­wenigsten infrage, denn was wäre wenn …? Die am Ende des zweiten Trimenons empfohlene Untersuchung auf Gestationsdiabetes ist für die Frauen sowohl eine körperliche als auch mentale Belastungsprobe. Selbst das Kind scheint sich im Bauch mit Händen und Füßen gegen die süße Glucoselösung zu wehren. Immerhin werden etwa sieben Esslöffel purer Zucker entsprechend 300 kcal auf einmal eingeflößt, die man erst nach 30 Minuten strammer Bewegung auf dem Crosstrainer wieder verbrannt hätte. Das Screening ist unbestritten wichtig, um jene Frauen mit erhöhten Blutzuckerwerten und weiteren Risikofaktoren ausfindig zu machen und adäquat zu behandeln. Allerdings werden so schnell auch Frauen zu Diabetikerinnen, deren Blutzuckerwerte zum Zeitpunkt des Belastungstests nur einen der drei Grenzwerte minimal übersteigen. Ihnen stehen mehrmaliges Blutzuckermessen am Tag, engmaschigere Kontrollen bei den verantwortlichen Fachärzten und weiterer Verzicht bevor. Obwohl nicht wenige von ihnen gar kein erhöhtes Risiko tragen, aus der Vorsorge­maschinerie kommen sie doch nie mehr heraus. Rechtfertigt der Nutzen des breiten Screenings tatsächlich den Aufwand, die Kosten und vor allem die Verängstigung von Schwangeren? Die Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Schwangerschaft der Deutschen Diabetes Gesell­schaft (DDG) wollte diese Frage aktuell nicht kommentieren, „um die allgemeinen Verunsicherungen zu diesem Thema nicht weiter zu forcieren“ – kein Signal, das Vertrauen in diese Maßnahme schafft. Dagegen kritisieren sie als Reaktion auf die Vergiftungsfälle mit einer Glucose­lösung in Köln das Abfüllen von Glucose in den Apotheken und die dahinter stehenden Sparmaßnahmen der Krankenkassen, die die Kosten für das Fertigarzneimittel Accu Check Dextrose OGT nicht übernehmen wollen. Abgesehen davon, dass das Fertigpräparat seit Wochen nicht lieferbar ist und ohne den Rezepturbetrieb in den Apotheken seither keine einzige Schwangere in Deutschland auf Gestationsdiabetes untersucht worden wäre, stellt sich die Frage, ob nicht auch einmal das flächendeckende Screening selbst kritisch hinterfragt werden darf. Fragen sollte erlaubt sein, gerade auch werdenden Müttern, denen früher nachgesagt wurde, dass sie instinktiv wissen, was das Beste für ihr Kind ist. Sie dürfen nur nicht zu sehr abgelenkt werden [22, 23].

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