Arzneimittel und Therapie

„Ergebnisoffen aufklären!“

Eine Einordnung von Prof. Dr. Günter Emons

Prof. Dr. Günter Emons, Universitätsfrauenklinik Göttingen, für die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe

Die „Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer“ um die Oxforder Epidemiologen Beral und Peto hat im „Lancet“ eine aufsehenerregende Arbeit zum Thema „Menopau­sale Hormontherapie“ (im deutschen Sprachgebrauch: „Hormonersatztherapie“) und Brustkrebsrisiko veröffentlicht. Zusammenfassend kamen sie zu folgenden Ergebnissen: Fünf Jahre Hormonersatztherapie (HET), begonnen nach der Menopause im Alter von 50 Jahren, führen bei Frauen mit einem Gewicht, das für die entwickelten Länder durchschnittlich ist, bis zum Alter von 69 Jahren zu einem zusätzlichen Brustkrebsfall auf 50 Anwenderinnen (Östrogene plus tägliche Gestagene), einem zusätzlichen Fall auf 70 Anwenderinnen (Östrogene plus intermittierende Gestagene) und einem zusätzlichen Fall auf 200 Anwenderinnen (nur Östrogene nach Hysterektomie). Bei zehnjähriger HET wäre die Zahl der zusätzlichen Brustkrebsfälle jeweils doppelt so hoch.

Die Erkenntnis, dass Estrogen-Applikation nach der Menopause zu mehr Brustkrebserkrankungen führt und dass dieser Effekt durch Gestagen­Anwendung deutlich verstärkt wird, ist seit Langem bekannt und biologisch in hohem Maße plausibel. Bisherige Metaanalysen hatten jedoch nicht die aktuelle Datenmenge und Datenqualität zur Verfügung, um die jetzt publizierten Ergebnisse zu erhalten. Es war nie plausibel, warum eine HET bis zu fünf Jahre keine Risikoerhöhung für Brustkrebs zur Folge haben soll. Die jetzigen Ergebnisse zeigen, dass eine solche auch schon nach ein- bis vierjähriger Anwendung auftreten kann. Auch die Tatsache, dass Frauen mit früher Menopause ein erniedrigtes Brustkrebsrisiko haben, das durch HET wieder auf das normal hohe Niveau gehoben wird, ist prinzipiell bekannt, wurde aber noch nie so klar gezeigt. Auch lange bekannt, aber noch nicht so klar herausgearbeitet waren die Risiken für adipöse post­menopausale Frauen (Body-Mass­­-Index > 30 kg/m2).

Durch eine HET wird vor allem das Risiko für Estrogen-Rezeptor-positive und lobuläre Mammakarzinome erhöht, aber auch die Inzidenz von rezep­tornegativen, duktalen und fortgeschrittenen Mammakarzinomen wird signifikant erhöht.

Die Analyse fand keine Unterschiede in der Risikoerhöhung hinsichtlich verschiedener Östrogene und Gestagene (inklusive mikronisiertes Progesteron). Lediglich beim Dydrogesteron schienen die Risiken etwas niedriger zu sein. Auch zwischen oraler und transdermaler Applikation wurden keine Unterschiede in der Risiko­erhöhung gefunden.

„Die Ergebnisse belegen mit der besten, zurzeit verfügbaren Evidenz, was aus früheren Untersuchungen vermutet wurde.“

Wie sind diese Ergebnisse zu bewerten?

Diese Ergebnisse belegen mit der besten, zurzeit verfügbaren Evidenz, was aus früheren Studien und tumorbio­logischen Untersuchungen vermutet wurde: Die Menopause verringert das Brustkrebsrisiko im Vergleich zu gleichaltrigen Frauen, deren Ovarien noch aktiv sind. Durch eine HET wird dieser protektive Effekt aufgehoben und das Brustkrebsrisiko gesteigert. Die Risikoerhöhung ist auch bei der HET mit Estrogenen vorhanden, aber nicht so ausgeprägt wie bei zusätzlicher Gestagen-Anwendung. Die Risikoerhöhung hängt von der Dauer der HET-Anwendung ab, ist aber auch schon nach ein bis vier Jahren ­vorhanden.

Welche Konsequenzen ergeben sich für die Praxis?

Nachdem nach Publikation der Studien der Women‘s Health Initiative (WHI) in vielen Ländern die HET­Anwendung drastisch zurückging, konnte in der Altersgruppe der 50- bis 59-jährigen Frauen auch ein deutlicher Rückgang der Brustkrebserkrankungen gezeigt werden. Die Empfehlung zur Anwendung einer HET in der S3-Leitlinie der Arbeits­gemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF; federführende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Gynä­kologie und Geburtshilfe) hat die Indikation für eine HET auf die Behandlung von vasomotorischen Beschwer­den (Hitzewallungen, Schweißausbrüche) reduziert. „Hier soll der ratsuchenden Frau eine HET angeboten werden, nachdem sie über die kurz- (bis zu fünf Jahren) und langfristigen Risiken informiert wurde. Für nicht hysterektomierte Frauen kommt eine Behandlung mit Estrogenen und Gestagenen (adäquate Dosierung!), für hysterektomierte Frauen eine reine Estrogen-Behandlung in Betracht.“ Eine HET zur Prävention oder Therapie der Osteoporose ist nach den aktuellen S3-Leitlinien bei postmenopausalen Frauen mit hohem Frakturrisiko möglich, wenn Wechseljahresbeschwerden oder eine Kontra­indikation gegenüber anderen, zur Osteoporoseprävention zugelassenen Medikamenten bestehen.

Die jetzt vorgelegten Zahlen zu den zusätzlichen Brustkrebsfällen liegen im Bereich der in der S3-Leitlinie zur Aufklärung der Patientin angegebenen Häufigkeiten, so dass sich bei Befol­gung der S3-Leitlinie keine relevanten Änderungen ergeben. In den letzten Jahren hat es allerdings bei vielen Ärzten einen deutlichen Trend zur „Liberalisierung“ des Umgangs mit der HET gegeben, der jetzt zugunsten einer stärkeren Leitlinien­adhärenz hinterfragt werden sollte.

Bei welchen Frauen ist eine HET dennoch sinnvoll?

Die in Deutschland „Hormonersatztherapie“ genannte Behandlung mit Estrogenen ± Gestagenen ist keine klassische Ersatztherapie wie z. B. die Insulin-Gabe bei Diabetes, sondern die medi­kamentöse Therapie von Phänomenen (vasomotorischen Symptomen), die physiologisch in der Peri- und Postmenopause auftreten können. Im anglo-amerikanischen Sprach­gebrauch wird sie deshalb auch als „menopausal hormone therapy“ bezeichnet. Jede medikamentöse Therapie, auch die mit Estrogenen oder Gestagenen, hat Nebenwirkungen. Bei der HET zählt die mäßige Erhöhung des Brustkrebsrisikos von einem zusätzlichen Fall auf 200 bis einem zusätzlichen Fall auf 50 Anwenderinnen dazu. Hier muss die ratsuchende Frau ergebnisoffen aufgeklärt und beraten werden und dann geprüft werden, ob eventuelle zusätzliche Risiken vorliegen. Wenn sie nach zusätzlicher Beratung über hormonfreie Alternativen zu dem Ergebnis kommt, dass ihre vasomotorischen Beschwerden eine solche Belastung darstellen, dass sie dafür die potenziellen Nebenwirkungen der HET in Kauf nimmt, inklusive der leichten Erhöhung des Brustkrebsrisikos, ist eine HET indiziert. Diese sollte von möglichst kurzer Dauer sein. |

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