Arzneimittel und Therapie

„Bei Jüngeren selbstverständlich sinnvoll!“

Eine Einschätzung von Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland

Foto: deckbar.de

Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland, früherer Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG)

DAZ: Herr Professor Müller-Wieland, die neueste Auswertung der VADT-Studie zeigt auf lange Sicht keinen Vorteil einer intensiven Glucose-Senkung bei Patienten mit Typ-2­Diabetes. Bedeutet das nun, dass es so etwas wie einen „Legacy-Effekt“ oder ein „metabolisches Gedächtnis“ gar nicht gibt?

Müller-Wieland: Nun ja, so ganz beantwortet auch diese Studie die Frage nicht. Das Konzept des „metabolischen Gedächtnisses“ beruht vor ­allem auf Daten bei Patienten mit Typ-1-Diabetes. Aus der DCCT-Studie (Diabetes Control and Complications Trial) wissen wir, dass Patienten mit Typ‑1-Diabetes, bei denen andere ­Risikofaktoren noch nicht sehr ausgeprägt sind, langfristig von einer guten Blutzuckereinstellung profitieren. Das Risiko diabetischer Folgeerkrankungen wird dadurch verringert. Auch bei Patienten mit Typ‑2-Diabetes gibt es Studien, die auf einen „Legacy­Effekt“ hinweisen (z. B. UKPDS, STENO-2) – also einen positiven Effekt, der auch nach Ende der intensiven Behandlungsphase erhalten bleibt. In diesen Studien war jedoch bereits recht früh ein Vorteil bei den intensiv behandelten Gruppen zu erkennen, der langfristig dann noch deutlicher wurde. Das war in der VADT-Studie nicht der Fall: Hier gab es zuerst keinen Unterschied im kardiovaskulären Risiko, nach einer Weile wurde ein kleiner Effekt beobachtet und nach 15 Jahren dann wieder nicht. Für mich bedeutet das, dass nur dann auch langfristig etwas zu erwarten ist, wenn bereits früh ein Therapieeffekt zu sehen ist. Das Konzept des „metabolischen Gedächtnisses“ wird durch die neuen Daten also keineswegs widerlegt! Zudem waren die Patientenkollektive in den Studien sehr unterschiedlich. In den Studien, in denen sich eine intensive blutzuckersenkende Therapie auch noch langfristig als vorteilhaft erwies, waren die Patienten relativ jung und wurden bereits recht bald nach der Diagnose intensiv behandelt. Je älter eine Studienpopulation ist, umso mehr kommen andere Risikofaktoren (z. B. Hypertonie, Hyperlipidämie) mit ins Spiel, die einen möglichen Effekt der antihyperglykämischen Therapie nivellieren.

 

DAZ: Was bedeuten die Ergebnisse nun für die Praxis? Ist eine gute HbA1c-Einstellung dann doch nicht ganz so wichtig?

Müller-Wieland: Die Ergebnisse bestätigen unser derzeitiges Vorgehen. Welche HbA1c-Zielwerte angestrebt werden, hängt unter anderem vom Alter des Patienten und dessen körperlicher Verfassung ab. Bei jüngeren Patienten ist eine sehr gute HbA1c-Einstellung selbstverständlich sinnvoll. Dass eine gute Kontrolle des Blutzuckers hier langfristig nichts bringen würde, kann man aus den aktuellen Studiendaten nicht ablesen. Bei älteren Patienten muss sich die Therapieintensivierung dagegen nicht auf Teufel komm raus am HbA1c orientieren. Liegen kardiovaskuläre Begleiterkrankungen vor, ist es wichtig die weiteren Risikofaktoren zu adressieren. Bei der Diabetestherapie sollten Substanzen eingesetzt werden, die das Risiko für Herz-Kreislauf-Komplikationen nachweislich senken. Hier sind in erster Linie GLP‑1-Rezeptoragonisten (z. B. Liraglutid, Dulaglutid, Semaglutid) und insbesondere SGLT-2-Inhibitoren (z. B. Empa­gliflozin, Dapagliflozin) zu nennen. Und natürlich können die Patienten durch ihren Lebensstil ebenfalls dazu beitragen, das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse zu reduzieren.

 

DAZ: Herr Professor Müller-Wieland, wir danken Ihnen für das Gespräch! 

Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland,
Medizinische Klinik I, Universitätsklinikum der RWTH Aachen

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