Arzneimittel und Therapie

Erst Säureblocker, dann Antihistaminikum

PPI und Co. mit erhöhtem Allergierisiko assoziiert

cst | Protonenpumpen-Inhibitoren (PPI) werden häufig verordnet und sind auch in der Selbstmedikation beliebt. Frei von Nebenwirkungen sind die Ulkus-Therapeutika indes nicht. Neben gastrointestinalen Beschwerden ist möglicherweise mit einem erhöhten Risiko für Osteoporose, Hypomagnesiämien, Vit­amin-B12-Mangelzustände oder Clostridium-difficile-assoziierte Diarrhöen zu rechnen. Nun scheint sich ein weiterer Verdacht zu er­härten: Säureblocker könnten das Risiko für Allergien erhöhen.

Im Rahmen einer populationsbasierten Studie haben Forscher der medi­zinischen Universität Wien einen Zusam­menhang zwischen der Ein­nahme von Magensäureblockern und der Behand­lung mit Antiallergika auf­gedeckt. Dazu analysierten sie die Krankenversicherungsdaten von 8,2 Millionen Menschen, was 97% der Bevölkerung Österreichs entspricht. Betrachtet wurden Arzneimittelverordnungen über einen Zeitraum von vier Jahren (2009 bis 2013).

Foto: Andrii Zastrozhnov – stock.adobe.com

Doppelt so hohes Risiko

Nach der Verordnung eines Magen­säureblockers oder Schleimhautprotektivums kam es in 416.615 Fällen auch zu einer Verschreibung eines Antihistaminikums oder einer spe­zifischen Immuntherapie. Bezogen auf einen Zeitraum von insgesamt 8.133.846 Beobachtungsjahren ergab sich eine Inzidenzrate von 5,12% pro Jahr. Bei Patienten, die vor der Verordnung eines Antiallergikums kein magen­schonendes Medikament erhalten hatten, lag die Inzidenzrate lediglich bei 2,61%. Das Ratenverhältnis (RR) betrug 1,96. Somit war die Wahrscheinlichkeit, nach einer Behandlung mit einem Magensäure­blocker oder Schleimhautprotektivum ein Arzneimittel gegen Allergien zu benötigen, etwa doppelt so hoch. Mit einem 95%-Konfidenzintervall (KI) von 1,95 bis 1,97 war der Zusammenhang statistisch signifikant. Bei Frauen war die Assoziation stärker ausgeprägt als bei Männern (RR 2,10; 95%-KI 2,09 bis 2,11 vs. RR 1,70; 95%-KI 1,69 bis 1,71). Mit zunehmendem Alter stieg das Risiko – bis um das Fünffache bei den über 60-Jährigen (RR 5,20; 95%-KI 5,15 bis 5,25).

Die Art des magenschonenden Arzneimittels hatte keinen Einfluss auf das Ergebnis. Alle Substanzklassen waren mit einem zweifach erhöhten Risiko für eine nachfolgende Verordnung eines Antiallergikums verbunden. Am häufigsten wurden Protonen­pumpeninhibitoren (PPI) verschrieben. 24.309 Patienten erhielten zuerst ein Rezept für einen Vertreter dieser Wirkstoffklasse. Für diese Gruppe wurde eine adjustierte Hazard Ratio (HR) von 2,05 (95%-KI 1,91 bis 2,19) errech­net. Bei 2675 Patienten wurde als Erstes ein H2-Rezeptorblocker eingesetzt, 641 Patienten bekamen Sucral­fat. Hier wurden ähnliche Risiken ermittelt: HR 2,04 (95%-KI 1,86 bis 2,23) bzw. HR 2,14 (95%-KI 1,84 bis 2,50). Prostaglandin E2 wurde nur in acht Fällen verordnet, sodass diesbezüglich keine verlässlichen Aussagen möglich sind.

pH-abhängiger Mechanismus?

Nach Einschätzung der Studienautoren ist der Zusammenhang deutlich. Sie vermuten, dass dem erhöhten Allergierisiko ein pH-abhängiger Mechanismus zugrunde liegt: Bei höheren pH-Werten sinkt die Pepsin-Aktivität. Infolgedessen werden Nahrungsproteine schlechter abgebaut. Dadurch wird die Verweildauer im Gastrointestinaltrakt erhöht, das Allergierisiko nimmt zu. Zudem werden direkte Effekte der Ulkus-Therapeutika auf das angeborene und erworbene Immunsystem diskutiert. Auch Veränderungen des Darmmikrobioms könnten bei der Entstehung von Allergien eine Rolle spielen.

Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) sieht die in Nature Communications publizierten Ergebnisse jedoch kritisch. Die epidemiologischen Daten liefern keinen Beweis für einen ursächlichen Zusammen­hang. Die Gastroentero­logen zweifeln, ob die Säurehemmung im Zusammenhang mit der Allergieentstehung zu sehen ist, da keine Korrelation zum Grad der Säurehemmung vorlag und sowohl für stark (PPI) als auch schwach (Sucralfate) wirksame Substanzen ein ähnliches Risiko gefunden wurde. Als weiteren Schwachpunkt der Studie bemängelt die Fachgesellschaft, dass potenzielle Stör­faktoren nicht berücksichtigt werden konnten. Zudem beruht die Analyse lediglich auf Verordnungsdaten. So bleibt unklar, ob tatsächlich eine Allergie vorlag.

Patienten mit gesicherter Indikation für einen Magensäureblocker sollten sich durch die Ergebnisse nicht ver­unsichern lassen. In der Selbstmedikation sollte spätestens nach 14 Tagen Rücksprache mit dem Hausarzt gehalten werden. |

Literatur

Jordakieva G et al. Country-wide medical records infer increased allergy risk of gastric acid inhibition. Nat Commun 2019;10(1):3298

Pressemitteilung der MedUni Wien vom 31. Juli 2019. www.meduniwien.ac.at; Abruf am 31. Juli 2019

Reiner D, Stark H. PPI – wie war das noch? DAZ 2019, Nr. 30, S. 32

Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) vom 5. August 2019. www.dgvs.de; Abruf am 5. August 2019

Das könnte Sie auch interessieren

DGVS kritisiert Nature-Studie

Lösen PPI doch keine Allergien aus?

Iberogast® hilft mit der Kraft der Natur

Funktionelle Magen-Darm-Störungen

Geringe Assoziation zu Fehlbildungen in Beobachtungsstudie

Sind PPI in der Schwangerschaft vertretbar?

Geringe Assoziation zu Fehlbildungen in Beobachtungsstudie

Sind PPI in der Schwangerschaft vertretbar?

Warum Protonenpumpenhemmer langfristig schaden können

PPI werfen lange Schatten

Frakturrisiko scheint nicht nur bei Erwachsenen erhöht zu sein

Brüchige Knochen durch PPI?

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.