Aus der Hochschule

Grüne Gentherapie

Das EU-Projekt ENDOSCAPE erkundet neue Heilungswege

Seit vielen Jahren beforscht der Arbeitskreis von Prof. Dr. Matthias Melzig am Institut für Pharmazie der Freien Universität Berlin die Wechselwirkung von Ribosomen-inaktivierenden Proteinen mit Triterpensaponinen aus verschiedenen Pflanzenspezies. Die Fähigkeit der Saponine, eine endosomale Freisetzung im Laufe der Endozytose zu induzieren, ist die Basis eines mit ca. sieben Millionen Euro geförderten EU-Projekts (ENDOSCAPE). Der Startschuss für die Suche nach einer nicht viralen Gentherapie ist Anfang dieses Jahres gefallen.
Foto: Priv.-Doz. Dr. Alexander Weng
Gypsophila elegans M. Bieb., das Sommer-Schleierkraut ist Produzent von Triterpensaponinen.

Eine starke synergistische Toxizität war es, die im Rahmen von Untersuchungen eines Extraktes aus der Gewöhnlichen Kornrade (Agrostemma githago L.) das Interesse geweckt hatte [1]. Der Synergismus besteht zwischen seifenähnlichen Triterpensaponinen, die stark membranaktiv sind, und dem Ribosomen-inaktivierenden Protein (RIP) Agrostin, das nur dann hoch­toxisch wirkt, wenn es in eine Zelle gelangt. Während beide Komponenten einzeln gegeben nicht auffällig toxisch sind, kommt es durch synergistische Effekte zu einer Wirkung, die die Einzelwirkungen um ein Vielfaches übertrifft, wenn beide Komponenten gemeinsam eingesetzt werden. Dieses Zusammenspiel beider Stoffklassen wurde in weiteren Untersuchungen auch in anderen Saponin- und RIP-­haltigen Pflanzen beobachtet wie, z. B. Gypsophila paniculata L. und Saponaria officinalis L. aus der Ordnung der Caryophyllales (Nelkengewächse). Es ist vorstellbar, dass damit ein pflanzenspezifischer Abwehrmechanismus gegen Fraßfeinde entdeckt wurde. Der synergistische Effekt erklärt sich durch die Wirkung der Saponine. Im Verlauf der Endozytose in den Endosomen angelangt, sind die Saponine im sauren Milieu der Zellorganellen in der Lage, mit der endosomalen Membran zu interagieren. So bewirken sie einen vorzeitigen Austritt der Toxine durch die Vesikelmembran in das Zytoplasma, bevor sie von Enzymen abgebaut werden [4]. Ein rascher Zelltod ist die Folge.

Foto: Dr. Simko Sama
Gelungener Gentransfer In Neuroblastomzellen der Maus zeigt die grüne Fluoreszenz die erfolgreich durchgeführte Saponin-basierte Transfektion an.

Schnell kam die Frage auf, inwiefern dieser Synergismus medizinisch genutzt werden kann. Erste In-vitro- und In-vivo-Studien zeigten eine signifikante Toxizität der kombinierten spezifischen Triterpensaponine und Ribosomen-inaktivierenden Proteine an Krebszellen [5 – 7]. Durch den Einsatz von Fusionsproteinen aus Toxin und Liganden soll eine zellspezifische Toxizität möglich werden, gesunde Zellen sollten dabei verschont bleiben. Die Ergebnisse sind vielversprechend, was sich in einer guten Verträglichkeit und Tumorregression zeigt. Doch diese Form der Therapie stößt hinsichtlich der klinischen Anwendbarkeit auf potenzielle Hindernisse. Die immunologische Sicherheit bei der Applikation von fremden Proteinen wie den Ribosomen-inaktivierenden Proteinen muss stets gewährleistet sein. Auch scheint eine Gabe von mehreren Komponenten zu verschiedenen Zeitpunkten in der Klinik schwer realisierbar.

Forschung am Berliner Institut für Pharmazie

Das Institut für Pharmazie an der Freien Universität Berlin bildet als einzige Einrichtung in Berlin und Brandenburg Pharmazeuten aus. Das Institut ist Bestandteil des Fachbereichs Biologie-Chemie-Pharmazie an der Freien Universität Berlin und auf zwei Standorte verteilt, die Bereiche Pharmazeutische Chemie, Pharmakologie und Pharmazeutische Biologie in Berlin-Dahlem, die Bereiche Pharmazeutische Technologie und Klinische Pharmazie/Biochemie in Berlin-Steglitz. Die Zahl der Studierenden beträgt derzeit rund 800, hinzu kommen ca. 140 Doktoranden. Im Ranking des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE-Ranking) belegt das Institut für Pharmazie vordere Plätze, sowie Platz 35 in den QS World Univer­sity Rankings 2017 für den Bereich Pharmazie und Pharmakologie.

Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Matthias Melzig beforscht mehrere Themengebiete. Neben der Untersuchung von volksheilkundlichen Arzneipflanzen steht auch die Isolation und pharmakologische Charakterisierung von Naturstoffen wie Flavonoiden als Enzymhemmer im Fokus. Zusammen mit Priv.-Doz. Dr. Alexander Weng wurde in den letzten Jahren insbesondere die Eigenschaft der Saponine als Verstärker des „endosomalen Release” untersucht.

Das vierjährige EU-Projekt ENDOSCAPE wird im Rahmen des Horizon2020-Programms gefördert und unter Koordination der Charité Berlin geleitet (Projektleiter: Prof. Dr. Hendrik Fuchs). Neben der Freien Universität Berlin und der Charité Berlin nehmen neun weitere Einrichtungen am Projekt teil: Sapreme Technologies BV (Niederlande), Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. (Deutschland), Vlaams Institut für Biotechnologie (Belgien), Universität de Santiago de Compostela (Spanien), Universität Rom Tor Vergata (Italien), Extrasynthese SAS (Frankreich), Fraunhofer Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e. V. (Deutschland), Universität Ferrara (Italien), Universität Basel (Schweiz) und TP21 GmbH (Deutschland).

Ausblick

Weitaus unbedenklicher erweist sich der Einsatz der Saponine auf dem Gebiet der Transfektion, dem Einbringen von Fremd-DNA oder Fremd-RNA in eukaryotische Zellen. Aktuell erschienene Publikationen zeigen, dass Saponine auch den Transport von in Nanopartikel verpackter DNA in die Zelle verstärken können [8 – 10]. Die Möglichkeit, ein beliebiges Gen in die Zelle einzuschleusen, eröffnet der Saponin-basierten, immunologisch wenig bedenklichen Technologie viele Möglichkeiten. Das 2019 initiierte EU-Projekt ENDOSCAPE (endsomal escape) soll mit den bisher gewonnenen Erkenntnissen eine klinisch applizierbare Gentherapie entwickeln, die die immunologischen Risiken und therapeutischen Hindernisse der bisher eingesetzten therapeutischen Ansätze überwindet.

Der Einsatz einer nicht viralen Gentherapie ist ein Novum in der Medizin, denn bisher wurden in der Klinik nur Viren als Genvehikel genutzt. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Toxizität nicht viraler Transfektionsverstärker, die auch bei gesunden Zellen zu beobachten ist. In geringer, aber therapeutisch relevanter Dosierung blieben toxische Effekte der Saponine in den In-vivo-Studien dagegen aus. Zudem kann bezweifelt werden, dass Viren als Genvehikel in der Zukunft als Gentherapie für große Patientengruppen eingesetzt werden, da die Kosten und Sicherheitsbedenken groß sind. Sollte es im Zuge des EU-Projekt ENDOSCAPE gelingen, ein nicht virales, zielgerichtetes sowie nicht toxisches Gentransportsystem zu entwickeln, könnten mit dieser Technologie eine Vielzahl verschiedener (bisher nicht heilbaren) Krankheiten wie bestimmte Tumorarten aber auch Gen­defekte wie Hämophilie bekämpft werden. Und das durch den Einsatz einer lange bekannten Stoffklasse aus heimischen und gewöhnlichen Zier- und Wildpflanzen, den Saponinen. |

Literatur

 [1] Melzig M et al. Cytotoxic activity of the seeds from Agrostemma githago var. githago; Planta Med 2003;69(10):921-925, doi: 10.1055/s-2003-45101

 [2] Weng A et al. A simple method for isolation of Gypsophila saponins for the combined application of targeted toxins and saponins in tumor therapy; Planta Med 2009;75(13):1421-1422, doi: 10.1055/s-0029-1185706

 [3] Weng A et al. Liquid-chromatographic profiling of Saponinum album (Merck). Pharmazie 2011;66(10):744-746

 [4] Weng A et al. Saponins modulate the intracellular trafficking of protein toxins. J Control Release 2012;164(1):74-86, doi: 10.1016/j.jconrel.2012.10.002

 [5] Thakur M et al. Targeted tumor therapy by epidermal growth factor appended toxin and purified saponin: an evaluation of toxicity and therapeutic potential in syngeneic tumor bearing mice. Mol Oncol 2013;7(3):475-483, doi: 10.1016/j.molonc.2012.12.004

 [6] Gilabert-Oriol R et al. Modified trastuzumab and cetuximab mediate efficient toxin delivery while retaining antibody-dependent cell-mediated cytotoxicity in target cells. Mol Pharm 2013;10(11):4347-4357, doi: 10.1021/mp400444q

 [7] von Mallinckrodt B et al. Dianthin-EGF is an effective tumor targeted toxin in combination with saponins in a xenograft model for colon carcinoma. Future Oncol 2014;10(14):2161-2175, doi: 10.2217/fon.14.164

 [8] Weng A et al. Improved intracellular delivery of peptide- and lipid-nanoplexes by natural glycosides. J Control Release 2015206:75-90, doi: 10.1016/j.jconrel.2015.03.007

 [9] Sama S et al. Sapofectosid – Ensuring non-toxic and effective DNA and RNA delivery. Int J Pharm 2017;534(1-2):195-205, doi: 10.1016/j.ijpharm.2017.10.016

[10] Sama S et al. Targeted suicide gene transfections reveal promising results in nu/nu mice with aggressive neuroblastoma. J Control Release 2018;275:208-216, doi: 10.1016/j.jconrel.2018.02.031

Apotheker Dr. Simko Sama

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