Die Seite 3

Zu spät?

Foto: DAZ/tmb
Dr. Thomas Müller-Bohn

Einige denken offenbar, die gesetzliche Reaktion auf das EuGH-Urteil zur Preisbindung sei praktisch abgeschlossen. Dieser Eindruck lähmt die politische Aktivität – und das in der entscheidenden Phase. Denn das Gesetzgebungsverfahren ist derzeit in vollem Gange. Darauf hat der Apothekenrechtsexperte Prof. Dr. Hilko Meyer bei der Delegiertenversammlung der Apothekerkammer Nordrhein in der vorigen Woche dankenswerterweise hingewiesen (s. S. 20).

Darum ist jetzt ein Überblick gefragt: Als wirksamste Reaktion auf das EuGH-Urteil erscheint das Rx-Versandverbot. Da der Minister und viele andere dies nicht wollen, wird ein Kompromiss gesucht. Die Gleichpreisigkeit ist dafür ein guter Kandidat, sofern sie ernst gemeint ist. Doch dann kollidiert sie mit dem EuGH-Urteil. Die Bundesregierung müsste sie vor dem EuGH verteidigen. Juristisch um die Balance zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten zu ringen, gehört zum Wesen dieser Union, ist also keinesfalls europafeindlich. Dazu hat der EuGH sogar zumindest indirekt aufgefordert, indem er die aus seiner Sicht un­zureichende Begründung für die Preisbindung bemängelt hat. Ein neues Gesetz ist eine der möglichen Chancen, diese Gründe endlich nachzuliefern. Dies sind der Patientenschutz, die Sicherung einer flächendeckenden Apothekeninfrastruktur ohne ruinösen Preiswettbewerb und zahlreiche sozialrechtliche Regelungen, die nur durch den Bezug auf einheit­liche Preise funktionieren. Das Ergebnis könnte ein europarechtlich gesicherter Kompromiss zwischen der wettbewerbsvernarrten EU-Kommission und den eher sozialstaatlich orientierten Mitglied­staaten werden, bei dem die Versender weiter tätig bleiben, aber mit fairen Preisregeln. So bestünde die Aussicht, das bestehende System noch für lange Zeit zu sichern.

Doch die politische Realität sieht anders aus. Denn offenbar will die Bundesregierung jeden Konflikt mit der EU schon im Ansatz vermeiden. Dahinter mag die Rücksichtnahme auf die anstehende deutsche EU-Ratspräsidentschaft und die Kandidatur von Manfred Weber als Kommissionspräsident stecken, wie mehr oder weniger offen gesagt wird. Darum bleibt für die Apotheker derzeit wohl nur ein halbherziger Gesetzentwurf, der die Selbstzahler ausklammert und auf unsicherem Boden steht. Denn Professor Meyer und andere Rechtsexperten argumentieren, dass die sozialrechtliche Preisbindung ins Leere läuft, wenn sie auf das Arzneimittelgesetz verweist und darin gerade die Übertragung des deutschen Preisrechts auf ausländische Versender gestrichen wird. So droht beim Versuch einer trickreichen Umgehung das Ziel aus dem Blickfeld zu geraten. Das dient weder Europa noch der Sache. Doch für mehr wäre eine Bundesregierung nötig, die ihre Position mit Selbstbewusstsein und guten Argumenten auf europäischer Ebene engagiert vertritt – und eine ABDA, die dies politisch einfordert. Für den geplanten Kompromiss der Gleichpreisigkeit könnte es daher jetzt zu spät sein. So bleibt an eines zu erinnern: Das Rx-Versandverbot könnte zwar irgendwann zu einem neuen EuGH-Verfahren führen, würde aber das laufende Vertragsverletzungsverfahren beenden. Dafür ist es noch nicht zu spät.

Dr. Thomas Müller-Bohn, Redakteur der DAZ

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