Kongresse

Haut, Harnwege und Hormone – Teil 2

Traditioneller Fortbildungskongress in Meran gab vielfältige Ein- und Ausblicke

Ist orales Cefuroxim überflüssig?

Foto: DAZ/ck
Kein Cefuroxim bei unkomplizierten Harnwegsinfekten,dafür plädierte Krankenhausapothekerin Edith Bennack. Es ist in den Leitlinien zu Harnwegsinfektionen nicht berücksichtigt, und es gibt viele Resistenzen gegen E. coli.

Cefuroxim erfreut sich ungebrochener ärztlicher Verordnungsfreude - obwohl es in keiner deutschen Leitlinie das Antibiotikum der ersten Wahl ist. Darüber wunderte sich auch Apothekerin Edith Bennack, Leiterin der Klinikapotheke des St. Elisabeth-Krankenhauses in Köln-Hohenlind. 55 Millionen Tagesdosen Cefur­oxim wurden laut AOK im Jahr 2017 verordnet. Bei dem Cephalosporin ist es zu einem rasanten Verordnungsanstieg in den letzten zehn Jahren gekommen, dem stärksten aller antibiotischen Einzelsubstanzen. Der Apothekerin ist diese Cefuroxim-­Verordnungsfreude ein Rätsel. „Cefuroxim ist in keiner deutschen Behandlungsleitlinie das antibiotische Mittel der ersten Wahl“. Auch finanzielle Anreize schließt sie aus, da seit Jahren Generika fest im Markt etabliert seien. „Cefuroxim hilft im Bewusstsein vieler Ärzte gegen alles“, vermutet sie. Die orale Bioverfügbarkeit von 30 bis 50% sei „eher schlecht“. Bereits nach sechs Stunden liege der Plasmaspiegel nur noch bei 0,96 µg/ml (maximale Plasmaspiegel 7,7 µg/ml nach zwei bis vier Stunden) und somit außerhalb des erwünschten therapeutischen Bereiches. Dabei sollte im Blut eine Konzentration von 4 bis 8 µg/ml für mindestens 50% des Dosierintervalles – sprich bei Cefuroxim zwölf Stunden – angestrebt werden, erklärte Bennack. Im therapeutischen Bereich liegt man bei einer applizierten Cefuroxim-Dosis von 500 mg jedoch gerade einmal bei 30% der Zeit. Bei einer geringeren Einzeldosis mit 250 mg zweimal pro Tag könne man die Antibiose „gleich lassen“, so Bennacks Einschätzung.

Angst der Patienten vor Penicillinen

Antibiotika der ersten Wahl bei Harnwegsinfektionen sind Fosfomycin, Nitrofurantoin, Nitroxolin und Pivmecillinam – und zwar gleichberechtigt, die Reihenfolge in der Leitlinie fußt rein auf dem Alphabet. Nach Ansicht Bennacks ist Pivmecillinam das Mittel der Wahl hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit. Warum viele Ärzte das Penicillin-Derivat nicht verordnen, darüber kann nur spekuliert werden. Erika Fink, ehemalige Präsidentin der Bundesapothekerkammer und der Landesapothekerkammer Hessen, gab in der Diskussion zu bedenken, dass manche Ärzte Cefur­oxim wegen der nur zweimal täglichen Einnahme bevorzugen könnten. Ihrer Erfahrung nach stünde die arbeitende Bevölkerung einer dreimal täglichen Einnahme, wie bei Penicillinen aufgrund der kurzen Halbwertszeit üblich, kritisch gegenüber. Auch mahnte Fink, dass die Angst vor Penicillinen in der Bevölkerung weit verbreitet sei, und Patienten aus diesem Grund „alles, was ,-cillin‘ enthält, nicht einnehmen wollen“.

Watchful Waiting beim benignen Prostatasyndrom

„Ab einem gewissen Alter wird bei Männern auch die Prostata interessant“, so starteten die Professoren Theo Dingermann und Manfred Schubert-Zsilavecz von der Universität Frankfurt ihren Vortrag über das benigne Prostata­syndrom (BPS). Die Ursachen dieses männlichen Problems sind nicht endgültig geklärt. Vermutet werden ein verschobenes Androgen/Estrogen-Gleichgewicht, eine nicht funktionierende Stroma-Epithel-Kommunikation und eine verminderte Apoptose. Klar sind nur die belastenden Folgen: Durch eine vermehrte Zellteilung vergrößern sich Stroma und Drüsengewebe der Prostata. Es kommt zu obstruktiven Beschwerden wie verzögertem Miktionsbeginn, Schwächung des Harnstrahls, verlängerter Miktionszeit, Nachträufeln oder Restharnbildung und zu irritativen Beschwerden wie Nykturie, Pollakisurie, Dysurie, imperativem Harndrang oder Restharngefühl. Wichtigster Risikofaktor ist das Alter, genetische Faktoren spielen eine untergeordnete Rolle. Es besteht kein Zusammenhang zwischen der Organgröße, dem Grad der Obstruktion und dem Ausmaß der Beschwerden. Der Verlauf eines BPS ist nicht vorhersagbar, sicher ist, dass das benigne Prostatasyndrom langsam, chronisch und progredient verläuft. Bei nur geringem Leidensdruck wird die Taktik des kontrollierten Zuwartens eingesetzt (Watchful Waiting) und versucht, über Änderungen im Lebensstil die Symptome zu lindern. Kontrolliertes Zuwarten als eine Behandlungsstrategie, die keine tatsächliche Behandlung ist, kann durch viele Verhaltensmaßnahmen unterstützt werden: Flüssigkeitszufuhr regulieren (Gesamtmenge ca. 1500 ml/24 Stunden) gleichmäßig über den Tag verteilt, übermäßige Flüssigkeitszufuhr am Abend vermeiden, die Blase trainieren. Ist das Progressionsrisiko aber erhöht (Alter > 70 Jahre, größeres Prostatavolumen > 30 ml, vermehrte Restharnbildung), so darf diese Strategie nicht verfolgt werden. Um beim BPS schnell Symptome zu reduzieren und die Progression zu hemmen, werden in Deutschland häufig α1-Adrenozeptor-Antagonisten (z. B. Tamsulosin, Alfuzosin, Silodosin) eingesetzt. Daneben stehen 5α-Redukt­asehemmer (z. B. Finasterid, Dutasterid) zur Verfügung, von den Inhibitoren der Phosphodiesterase 5 ist Tadalafil in der Indikation BPS zugelassen. Eingesetzt werden auch Muskarinrezeptor-Antagonisten wie Trospium­chlorid, Solifenacin und Propiverin.

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Zu Phytopharmaka in der Indikation benignes Prostatasyndrom könne in der Apotheke „zurückhaltend, aber nicht ablehnend beraten“ werden, so die Professoren Theo Dingermann und Manfred Schubert-Zsilavecz.

Mit Phytos gegen das Tröpfeln

Phytotherapeutika werden beim BPS gern eingesetzt, da ihnen antiinflammatorische, antiproliferative und antiandrogene Effekte zugeschrieben werden. Phytosterole und freie Fettsäuren werden als bioaktive Substanzen diskutiert. Dingermann betonte, dass bei der Herstellung die Extraktionsverfahren der Hersteller variieren, so dass die fertigen Phytopharmaka chemisch nur teilweise definiert und standardisiert sind. Produkte unterschiedlicher Firmen können daher nicht als identisch angesehen werden. Wegen der Heterogenität der pflanzlichen Präparate und der Studienergebnisse mit Produkten verschiedener Hersteller werden in der S2-Leitlinie „Therapie des Benignen Prostatasyndroms“ keine abschließende Beurteilung der Phytotherapie und keine allgemeinen Empfehlungen gegeben, auch wenn in einigen Studien mit einzelnen Pflanzenextrakten über bessere Ergebnisse als in den Placebogruppen berichtet wurde. Eine gute Evidenz sei nur für eine Extraktkombination aus Sägepalmenfrüchte-Ethanol-Extrakt und Brennnesselwurzel-Extrakt (Prostagutt® forte) belegt und für einen Sägepalmenfrüchte-Hexan-Extrakt, der aber in Deutschland nicht auf dem Markt ist. Für die reinen Brennnesselwurzel- bzw. Sägepalmenfrüchte-Extrakte schätzt Dingermann die Evidenz eher gering ein, das gilt auch für Phytosterole, Kürbissamen- und Gräserpollen-Extrakte. Das Fazit: Phytopharmaka, die in Studien eine Überlegenheit gegenüber Placebo gezeigt haben, können bei Patienten mit geringen bis moderaten Beschwerden und Leidensdruck in Betracht kommen, wenn chemisch definierte Präparate abgelehnt werden.

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AMTS bei eingeschränkter Nierenfunktion

Wer die Arzneimitteltherapiesicherheit verbessern will, wird sich um die steigende Zahl von Patienten mit Nierenfunktionseinschränkungen kümmern müssen. Das machte Priv.-Doz. Dr. Martin Hug, Leiter der Apotheke des Universitätsklinikums Freiburg deutlich. Dazu ist es wichtig zu wissen, in welchem Maß die Nierenfunktion beeinträchtigt ist, sie muss also bestimmt werden. Durchgesetzt haben sich Formeln, mit denen sich basierend auf der Bestimmung des Serum-Kreatinin-­Wertes die glomeruläre Filtrationsrate abschätzen lässt, so zum Beispiel die Formel nach Cockcroft-Gault oder die MDRD-Formel (Modification of Diet in Renal Disease Study Equation). Die MDRD-Formel berücksichtigt die Körperoberfläche mit 1,73 m2, ein Durchschnittswert, der zur besseren Schätzung nach Auffassung Hugs ersetzt werden muss durch den Wert der tatsächlichen Körperoberfläche. Der Serum-Kreatinin-Wert an sich ist einfach zu bestimmen, doch kann er durch Arzneistoffe wie Cephalosporine, Trimethoprim, Amilorid, Spironolacton oder Triamteren erhöht werden, die GFR fällt entsprechend zu niedrig aus. Niedrige Muskelmasse, vegetarische Ernährung oder nephrotisches Syndrom können dagegen zu falsch niedrigen Serum-Kreatinin-Werten bzw. falsch hohen GFR-Werten führen. Da die meisten Arzneistoffe renal eliminiert werden, steigt ihr Kumulationsrisiko bei Nierenfunktionseinschränkungen. Um dem zu entgehen, muss entweder die Dosis angepasst oder auf weniger problematische Substanzen umgestellt werden. Zur Dosisanpassung bedient man sich der Dettli-Formel ([Q = Q0 + eGFR [ml/min]/100 [ml/min] × (1 - Q0)], mit der sich die individuelle renale Ausscheidungskapazität Q des jeweiligen Arzneistoffs ermitteln lässt. Dazu muss die extrarenale Dosisfraktion (Q0) bekannt sein, eine Kennzahl für den nicht durch die Nieren ausgeschiedenen Arzneistoffanteil. Sie lässt sich für viele Arzneistoffe in Tabellenwerken nachschlagen. Ist die individuelle renale Ausscheidungskapazität ermittelt, kann die Dosis durch Reduktion und/oder Verlängerung des Dosierungsintervalls angepasst werden.

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