Pränataldiagnostik

„Der Dammbruch ist das Denken, nicht das Testen“

Eine ethische Einschätzung von Giovanni Maio

Foto: Silke Wernet
Prof. Dr. med. Giovanni Maio, M. A. phil., Lehrstuhl für Medizinethik, Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Universität Freiburg

Die öffentliche Debatte um den Bluttest auf Trisomie 21 hat etwas Scheinheiliges. Da hat man jahrzehntelang zugesehen, wie sich eine Praxis der Pränataldiagnostik etabliert hat, in der es geradezu als unvernünftig erschien, nicht alles testen zu lassen und erst recht als verantwortungslos erschien, ein Kind mit Behinderungen anzunehmen. Dann ging es allein um die Übernahme der Kosten für den nichtinvasiven Test, und es entbrannte, befeuert durch eine sensationsheischende Medienwelt, eine Grundsatzdebatte, in der so getan wurde, als würde mit der Über­nahme der Kosten für den Praenatest erstmals ein Damm gebrochen. Man tat so als sei bisher alles in Ordnung gewesen, und mit diesem Test würde man auf eine schiefe Ebene geraten, die unablässig in eine Praxis der Verwerflichkeit führte. Es schien geradezu, als wolle man bei der Frage der Übernahme der Kosten für den nichtinvasiven Test endlich ein Exempel statuieren, um sich als Gesellschaft ein gutes Gewissen zu erkaufen. Aber die Frage, um die es ging, eignet sich einfach nicht für ein Exempel, weil die Frage der Übernahme der Kosten nicht anders beantwortet werden kann als mit ja. Und dies aus mehreren Gründen.

Erstens ist der nichtinvasive Test ein Fortschritt zu den invasiven Methoden, weil man hier keine Gefahr für das Kind eingeht. Wer diesen Fortschritt negiert, würde Schwangere bewusst einem Risiko aussetzen, das man problemlos verhindern kann. Dass im positiven Fall eine Fruchtwasseruntersuchung dennoch stattfinden muss, steht auf einem anderen Blatt. Aber mit dem Bluttest wird man sehr frühzeitig viele negative Befunde kreieren, die den Frauen eine invasive Testmethode ersparen werden. Hier gibt es kein stichhaltiges Argument dagegen.

Zweitens ist der nichtinvasive Test ohnehin schon längst zugelassen, und es geht lediglich um die Übernahme der Kosten. Hier gegen eine solche Übernahme zu votieren, hat etwas Irrationales, denn längst zahlt die Krankenkasse die invasive Methode, sofern eine Indikation dazu gestellt werden kann. Man kann es schlichtweg gerechtigkeitsethisch nicht begründen, die gefährliche Methode zu bezahlen und die fortschrittlichere weil risikofreie Methode nicht zu übernehmen. Geht man davon aus, dass die Untersuchung auf Trisomie 21 hilfreich ist, so würde eine solche Erstattungspraxis die Kassenpatienten in ungerechtfertigter Weise benachteiligen.

Drittens ist das oft verwendete Argument, die Kosten nicht zu übernehmen, damit eine Zunahme der Abtreibungen von Kindern mit Trisomie 21 verhindert werden kann, wenig überzeugend. Wenn man die Schwangerschaftsabbruchrate reduzieren möchte, so ist die Verweigerung der Kostenübernahme für einen hilfreichen Test einfach die falsche Methode. Dafür müsste man vielmehr investieren in eine gute Beratung der Schwangeren, in ein behindertenfreundliches Klima, in eine moralische und finanzielle Unterstützung von Familien mit Kindern mit Behinderungen. Das wäre der probate Weg zur Senkung der Schwangerschaftsabbruchraten. Die Verweigerung der Kostenübernahme ist einfach das falsche Mittel für ein gutes Ziel.

Und doch hat der Test eine Schattenseite. Es könnte nur allzu leicht ein Automatismus entstehen: Wenn der Test schon so einfach ist, wäre es da nicht vernünftig, ihn routinemäßig vorzunehmen? Damit würde er zur Standardleistung, zu einem systematischen Testverfahren im Sinne einer „Rasterung“ nach Kindern mit Trisomie 21. Und genau davor ist zu warnen. Je leichter die Testmöglichkeiten sind, desto mehr muss man das Recht der Frauen auf Nicht-Wissen neu verteidigen. Frauen müssen für sich die Freiheit reklamieren, ob sie etwas wissen oder nicht wissen möchten. Eine Testung darf ihnen nicht aufgenötigt werden, auch nicht implizit. Aber genau diese Gefahr besteht, denn je leichter die Testmöglichkeiten sind, desto eher entsteht eine soziale Erwartung, ein gesellschaftlicher Druck. Der medial inszenierte Dammbruch entsteht aber nicht durch die Kostenübernahme, sondern er entsteht dort, wo so getan wird, als wäre es unvernünftig, nicht zu testen. Der Dammbruch ist das Denken, nicht die Möglichkeit des Testens. Je leichter eine medizinische Maßnahme verfügbar ist, desto mehr geraten Frauen in Rechtfertigungsnot, wenn sie ihn nicht wollen. Daher muss der Bluttest unbedingt eine Ausnahmediagnostik bleiben, aber für diese Ausnahme muss die Kasse zahlen.

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