DAZ aktuell

„Investieren statt alles sofort verteilen“

Dr. Frank Diener zum Honorar für (neue) pharmazeutische Dienstleistungen

eda | Ob Grippeimpfungen oder ­Medikationsanalysen – sehr wahrscheinlich werden pharmazeutische Dienstleistungen mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bald Realität. Aktuell geht es bei den Diskussionen in den Standesorganisationen der Apotheker um zwei elementare Fragen. Erstens: Was für Tätigkeiten sollen demnächst erbracht werden? Zweitens: Wer bezahlt die Dienstleistungen und wie viel sind sie tatsächlich wert?
Foto: Treuhand Hannover
Dr. Frank Diener

Vor zwei Wochen legte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den ersten Entwurf seines „Apotheken-Stärkungsgesetzes“ vor. Damit sorgte er einmal mehr für einige Überraschungen. Nicht nur der Versandhandelskonflikt soll u. a. mit Rx-Boni-Verboten, Transporttemperaturkontrollen und einer Sicherung der freien Apothekenwahl gelöst werden. Gleichzeitig will der Minister mit dem Gesetz auch seinen Beitrag zur Weiterentwicklung des Berufsbildes der Apotheker leisten. Dazu sollen Versicherte künftig u. a. „Anspruch auf zusätz­liche honorierte pharmazeutische Dienstleistungen“ haben. Um welche es sich dabei genau handelt, sollen der Deutsche Apothekerverband (DAV) und der GKV-Spitzenverband „im Benehmen“ mit dem Verband der privaten Kassen innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes vereinbaren.

150 Mio. Euro für einen Fonds

Die Bundesapothekerkammer (BAK) arbeitet derzeit an ersten Vorschlägen für solche Dienstleistungen. Die Vergütung soll über einen Fonds laufen: Künftig soll es einen neuen Festzuschlag in Höhe von 20 Cent pro Rx-­Packung geben. Insgesamt sollen so rund 150 Millionen Euro pro Jahr zusammenkommen. Die Verteilung dieser Mittel erfolgt durch den DAV.

Bei Fragen zur Apothekenökonomie ist man beim Volkswirtschaftler Dr. Frank Diener schon seit vielen Jahren an der richtigen Adresse. Zwischen 1989 und 2007 war er bei der ABDA tätig, von 1999 an verantwortete er als Geschäftsführer die Bereiche Wirtschaft und Soziales. Seit mehr als einem Jahrzehnt ist er nun General­bevollmächtigter der Steuerberatungsgesellschaft Treuhand Hannover. Als 2004 das Kombimodell entwickelt und umgesetzt wurde, war er maßgeblich für die Apothekerschaft in den Verhandlungen mit dem Ministerium und den Kassen involviert. Heute – 15 Jahre später – steht der Berufsstand womöglich wieder vor einer grundlegenden Honorarreform: Die Vergütung soll noch unabhängiger vom Arzneimittelumsatz und -absatz werden und die pharmazeutisch-kognitiven Leistungen der Apotheker abbilden.

Doch „ganz weg von der Packung“ wird das Honorarmodell der Zukunft nicht sein, prophezeit Diener: „Ich glaube nicht, dass es möglich sein wird, durch ein reines Dienstleistungshonorar das abzubilden, was heute und seit vielen Jahrzehnten in den Apotheken geleistet wird. Das Extrem wäre ja, der Staat würde Apotheker verbeamten, gleichzeitig das Team, die Räumlichkeiten und die Ware stellen. Eine Apotheke, die wie eine Behörde organisiert ist, kann keine Gesundheitsversorgung auf diesem Niveau leisten. Wenn es also um neue honorierte Dienstleistungen geht, dann muss es tatsächlich auch um neue gehen und nicht um Tätigkeiten, die jetzt schon eingepreist sind.“

„Traditionelle, pharmazeu­tische ­Beratung ist auch ­weiterhin ­gesellschaftlich hochrelevant ­und kann nicht durch neue, ­vermeintlich edle, Dienst­leistungen ersetzt ­werden.“

Dr. Frank Diener

Dienstleistungen – nur die „Sahne on top“?

Was genau lässt sich mit 150 Millionen Euro pro Jahr jedoch tatsächlich anfangen? Welche Dienstleistungen können die Apotheker auf dieser finanziellen Grundlage der Solidargemeinschaft bieten? Diener betont, dass es um eine Erweiterung gehen müsse, die nicht den Status quo ausradieren dürfe: „Es gibt keine Notwendigkeit, mit Einführung der neuen honorierten pharmazeutischen Dienstleistung alles andere, was es heute schon gibt, auf null zu setzen.“ Mehr als eine Milliarde Mal im Jahr würde im Zusammenhang mit der Arzneimittelabgabe etwas stattfinden, was gesellschaftlich gewollt und medizinisch wichtig ist. Die 150 Millionen Euro bezeichnet er als „homöopathische Dosis“. Als Beispiel nennt er die saisonale Grippeschutzimpfung. Würde man diese ­allen Einwohnern im Rahmen neuer pharmazeutischer Dienstleistungen anbieten, würde dafür ein Betrag von etwa 1,80 Euro pro Jahr herauskommen. „Für das Geld kann man höchstens Postkarten produzieren, frankieren und alle verschicken: Bitte denken Sie an Ihre Grippeimpfung!“

Doch so plakativ will Diener das Thema natürlich nicht abhandeln. In den letzten Jahren hat sich die Treuhand Hannover intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie sich die betriebswirtschaftlichen Merkmale von Apotheken in Deutschland verändern, wenn das Thema Dienstleistungen plötzlich relevant wird. Mit welchem personellen Mehraufwand ist zu rechnen? Gewinnen Apotheken Neukunden durch das Anbieten von Dienstleistungen? Verlieren Apotheken etablierte Rezeptkunden, wenn sie gewisse Dienstleistungen nicht mehr durchführen (können)? Ökonomisch gesehen geht es also um mehr als die Frage, ob das Eis mit oder ohne Sahne serviert werden soll. Eine Apotheke, die zukünftig gar keine oder nur wenige Dienstleistungen durchführt, wird nicht nur auf die „Sahne“, sondern auch auf den Rx-Umsatz dieser Kunden verzichten müssen und damit an ökonomischer Grund­lage empfindlich einbüßen.

Abb.: Das „betriebswirtschaftliche Grundproblem“ der pharmazeutischen Dienstleistungen am Beispiel der Medikationsanalyse aus Sicht der Treuhand Hannover.

60.000 Approbierte mehr nötig

Die Treuhand Hannover sieht im Anbieten der neuen zusätzlichen Dienstleistungen ein „betriebswirtschaftliches Grundproblem“ auf die Apotheker zukommen. Je nach Tätigkeit und Patient würde es zu unterschiedlichen Kontaktdauern und -häufigkeiten kommen (s. Abb.). Bei einer konkreten Dienstleistung wären beispielsweise zwei Minuten eine kurze Dauer und 20 Minuten eine lange Dauer; der Kontakt mit dem Patienten einmal pro Quartal selten und einmal pro Woche oft. „Das zeigt das Risiko: Im günstigen Fall kommen die Patienten selten und bleiben kurz, im aufwendigen Fall ist es das andere Extrem“, stellt Diener klar. Eine Apotheke, die sich mit der durchzuführenden Dienstleistung im rechten unteren Quadranten bewegt, bräuchte drei zusätzliche Vollzeit-Approbierte. Bundesweit wären das rund 60.000 Apotheker mehr in den öffentlichen Apotheken. Dieses zusätzliche Personal könnte nicht vorhanden sein.

Dienstleistungen effizienter machen

Naturgemäß wird es Dienstleistungen geben, die mehr und die weniger Zeit und Patientenkontakte in Anspruch nehmen. Diener rät dazu, dass die Apotheker sich vermehrt darum bemühen müssten, die in Zukunft angebotenen neuen pharmazeutischen Dienstleistungen flächendeckend effizient anbieten zu können. Gelingt es, die Patientenkontakte rahmenvertraglich so zu steuern, dass der zeitliche Aufwand im Versorgungsalltag von den Apotheken personell und von den Kostenträgern finanziell geschultert werden kann? Dazu sei beispielsweise ein IT-Tool für die Offizinen nötig, das Rechercheaufwand einspart, um die jeweilige Dienstleistung so schnell und dennoch leitliniengesichert, also qualitativ angemessen, erbringen zu können. Das Problem: Diese IT ist bislang nicht vorhanden, sie müsste erst noch entwickelt werden. Man müsse also in der nächsten Zeit zunächst Systeme entwickeln und etablieren, bevor man die Dienstleistungen selbst adäquat zu Preisen anbieten könne., die für die Kostenträger akzeptabel und für die Apotheken mit dem vorhandenen Personal erbringbar seien.

Von Robinson Crusoe lernen

Diener plädiert dafür, die Mittel des neuen Dienstleistungsfonds auf einen „investiven Umweg“ zu schicken und verdeutlicht diesen „investiven Umweg“ am Beispiel des Schiffbrüchigen Robinson Crusoe. Mit bloßen Händen könnte dieser jeden Tag einen Fisch fangen, essen, satt werden und überleben. Perspektivreicher wäre es für Robinson jedoch, jeden Tag nur einen halben Fisch zu essen und einen halben Fisch zu räuchern und zur Seite zu legen, um sich dann mehrere Tage von den Vorräten zu ernähren und Zeit zu haben, eine Fischreuse zu bauen. Dann wäre es ihm möglich, mehrere Fische an einem Tag zu fangen und auf ein anderes Level zu kommen. „Genau so müssten die Apotheker mit dem Dienstleistungshonorar vorgehen“, sagt Diener. 100 Millionen Euro sollten nicht mit der Gießkanne auf einmal verteilt und verbraucht werden, sondern investiert werden. So könnten neue Dienstleistungen zukünftig mit den vorhandenen Personalressourcen erbracht und zu Preisen angeboten werden, die für die Kostenträger akzeptabel seien. Der Idealfall für Diener wäre, den Dienstleistungsfonds in den nächsten zwei Jahren zum Aufbau von solchen IT- Hilfsmitteln zu verwenden. Damit hätte der Berufsstand dann eine Basis, mit der alle Apotheken arbeiten könnten. Konkret denkt er dabei an die Implementierung von Künstlicher Intelligenz bei Medikationsanalysen: „KI könnte den Apotheker am HV-Tisch in die Lage versetzen, komplexe Patientenfälle nicht in mehreren Stunden, sondern wenigen Minuten zu klären.“ Um solche System zu entwickeln und zu etablieren, müsse das Geld des Dienstleistungs-Fonds ein­gesammelt werden und der DAV die Summe, als beliehener Unternehmer, verwalten.

Auch bei anderen Dienstleistungen müsse man im Vorhinein dafür sorgen, dass möglichst viele Apotheken in der Fläche in die Lage versetzt werden, diese Tätigkeiten zu erbringen. Nach dieser ersten Investitionsphase könnte dann die reguläre Vergütung der Apotheken durch den Fonds stattfinden.

Dienstleistungshonorare: kostendeckend oder gewinnbringend?

Doch wie genau sollen sich die Honorare für pharmazeutische Dienstleistungen in der Betriebswirtschaft der Apotheke niederschlagen? Geht es darum, eine – politisch gewollte – wirtschaftliche Einbuße im Bereich der packungsabhängigen Vergütung zu kompensieren, oder sollen Dienstleistungshonorare „on top“ zum Gewinn eines jeden Betriebes maßgeblich beitragen? Diener rechnet damit, dass sich die neuen Dienst­leistungen selbst eher schleichend und allmählich im Apothekenalltag etablieren werden. So werden sich auch die Honorare nicht schlagartig auf die Ökonomie auswirken. Maßgeblich ist dabei, wie die neuen Dienstleistungen von den Krankenkassen und ihren Versicherten angenommen werden und welche Tätig­keiten genau honoriert werden sollen. Da es sich bei pharmazeutischen Dienstleistungen um sowohl kognitiv als auch heilberuflich anspruchsvolle Tätigkeiten handeln wird, geht Diener davon aus, dass der grundlegende Versorgungsauftrag auch weiterhin personell und wirtschaftlich von den meisten Apotheken garantiert werden kann. „Traditionelle, pharmazeutische Beratung ist auch weiterhin gesellschaftlich hochrelevant und kann nicht durch neue, vermeintlich edle Dienstleistungen ersetzt werden“, bringt er es auf den Punkt. Der Berufsstand sollte seiner Meinung nach nicht beginnen, nun jegliche Leistung infrage zu stellen und auf die Goldwaage zu legen: „Auch vor 50 Jahren wurde qualitativ Hochwertiges in den Apotheken geleistet, das nach wie vor relevant ist.“

Beim Symposium „Sichere Arznei­mittel für die Generation 70Plus – Probleme und Lösungen“ der Bundesapothekerkammer (BAK) im März 2019 hatte sich BAK-Präsident Dr. Andreas Kiefer nicht konkret dazu geäußert, wie viel beispielsweise eine Medikationsanalyse pro Patient kosten sollte. „Im Zweifel ist es immer zu wenig. Es ist wichtig, die PS erst einmal auf die Straße zu bringen. Wenn die Nachfrage seitens der Patienten besteht, folgt das Geld der Leistung“, so Kiefer wörtlich. Funktioniert das in der sozialen Marktwirtschaft, Preisregulierung durch Angebot und Nachfrage? Als Kunde, so Diener dazu, sei es natürlich immer hilfreich zu erfahren, was der Preis ist für bestimmte Produkte oder Dienstleistungen. „Pay what you want“ könne unter bestimmten Umständen funktionieren, aber je nach Zahlungsmoral werde dadurch oftmals nicht der korrekte Aufwand abgebildet. Im Gegensatz zum freien Markt müsse es im Gesundheitsmarkt eine Fairness-Regel geben. Diener weist in dem Zusammenhang auf die REFA-Methode hin, die anhand von Leitlinien den ungefähren Arbeitsaufwand im Vorhinein ermitteln könne. „Gewinnbringend kalkuliert sollten Dienstleistungen im Endeffekt immer sein, ansonsten ist eine Praxis oder Apotheke betriebswirtschaftlich nicht zukunftsfähig“, fasst Diener zusammen. |

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