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Feuilleton

Das Eier-Einmaleins

Kultur, Chemie und Mythen rund ums Ei

Eier begleiten uns das ganze Leben. Wir essen sie – und das in allen erdenklichen Zubereitungen. Wir färben und verstecken sie zu Ostern. Eier gelten ernährungsphysiologisch einmal als wertvoll – und im nächsten Moment dann doch eher als bedenklich. In jedem Fall nehmen sie einen großen Raum in Kunst, Kultur und in der Welt der Mythen ein. | Von Inken Rutz

Das Ei als Symbol des Lebens spielte und spielt in vielen Kulturen eine wichtige Rolle. Es findet sich in religiösen Riten und zahlreichen kulturellen Gebräuchen. Als Symbol für die Auferstehung Christi ist das Ei in die österliche Mystik eingebunden. Das Christentum bedient sich der uralten Symbolkraft, die dem Ei zugewiesen wird. Stand es doch schon in antiken Kulturen für Fruchtbarkeit, Erneuerung und Wiedergeburt. Das Ei ist zudem mit der Auferstehung Christi durch die Vorstellung verbunden, dass Jesus aus dem Felsengrab auferstanden sei wie ein Küken, das die Schale eines unversehrten Eies durchbricht.

Ostereierpracht – alte Kulturtechniken aktueller denn je

Jedes Jahr zu Ostern spielen auch heutzutage Eier in jeder erdenklichen Form eine große Rolle. Sie werden hart gekocht oder ausgeblasen, bunt oder einfarbig bemalt und gefärbt, fantasievoll oder traditionell verziert. Sie werden an Bäume und Sträucher gehängt oder im Garten versteckt. Auch bunte Holzeier und eher wenig schöne Plastikimitate mischen sich unter die Ostereierpracht. Sehr beliebt ist bei Jung und Alt auch allerlei Naschzeug in Eierform – Haupt­sache süß. Eier sollen schon anlässlich von Frühlingsfesten im alten Ägypten, Persien, Griechenland und Rom gefärbt und anschließend verschenkt worden sein.

Durch die Reformation entstand in Deutschland der Brauch, an Ostern gefärbte Eier an seine Patenkinder zu verschenken. Traditionell wurden die Eier damals mit Naturfarben gefärbt. Rot stellt eine altüberlieferte Ostereifarbe dar. Sie steht für Leben, Freude, aber auch für das Blut, das von Christus am Kreuz vergossen wurde.

Besonders kunstvoll sind die sorbischen Ostereier verziert. Die spezielle Technik reicht bis ins 17. Jahrhundert zurück. Die Ornamente, die mittels spezieller mehrfarbiger oder einfarbiger Wachs- oder Kratztechniken auf die Schalen gebracht werden, stehen für den Frühling und das erwachende Leben oder auch symbolisch als Schutz vor dem Bösen. Zudem sollen sie Kraft und Gesundheit verleihen. Nicht ganz einfach ist es, diese kleinen Kunstwerke herzustellen. Für Anfänger empfiehlt sich deshalb vor allem Spaß an der Freud – und ein wenig Geduld.

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Eierlaufen, Eiertitschen, Eierschieben

Mit Eiern – egal ob roh oder hartgekocht – lassen sich allerlei Spiele veranstalten. Eine besondere Version eines Eier-Geschicklichkeitsspiels stellt der Remlinger Eierlauf dar. Der traditionelle Ostermontagsbrauch wird seit Mitte des 18. Jahrhunderts in dem unterfränkischen Ort durchgeführt. Teilnehmen dürfen der Überlieferung nach allerdings nur „junge, unverheiratete, unbescholtene Burschen“. Der Eierwettkampf ersetzte in Remlingen die Pflichtabgabe des Zehnten, also der zehnprozentigen Steuer, die alle Bauern an ihre Grundherren entrichten mussten. Stattdessen wurden die Remlinger verpflichtet, jährlich am Ostermontag während eines Volksfestes ihre Eier an die Jugend abzugeben. Daraus entwickelte sich wiederum der Eierlauf, so wie er auch heutzutage noch in Remlingen durchgeführt wird.

In Frankreich werfen die Kinder an Ostern ihre Eier in die Luft. Verloren hat derjenige, dessen Ei als erstes auf dem Boden aufschlägt. Die Schweizer wiederum üben sich im Eiertitschen – oder Eiertütscha. Dabei werden zwei Eier mit der Spitze aneinandergestoßen. Gewonnen hat der Spieler, dessen Ei intakt bleibt. Was steckt hinter dem Knacken der Schale? Ganz einfach, kein Ei gleicht dem anderen. Besonders Eier von jungen Hühnern haben eine dickere Schale und so auch eine größere Chance, den Zusammenstoß zu überstehen. Auch in Österreich und Deutschland ist das Spiel bekannt. In Bulgarien kann es an Ostern richtig „gefährlich“ werden. Die Ostereierschlacht ersetzt dort das Eierverstecken. Sieger ist, wessen Ei am Ende nicht zerbrochen ist. Das Eierschieben wird in unterschiedlichen Varianten und unter unterschiedlichen Bezeichnungen zum Beispiel in Ostfriesland, Brandenburg oder auch der Schweiz an Ostersonntag gespielt. Kinder lassen dabei ihre Eier um die Wette einen Hügel hinunterrollen.

Das Ei – raue Schale, weicher Kern

Um das Produkt Hühnerei besser zu verstehen, empfiehlt sich zunächst ein Blick hinter die raue Schale. Das Ei-Innere ist durch eine Kalk­schale geschützt, die von Tausenden Poren durchsetzt ist. Die Schale ist von außen von einer Schalenmembran, die Cuticula, umgeben, die sich aus Proteinen, Kohlenhydraten und Lipiden zusammensetzt. Die innere Schalenmembran, die Eimembran, ist als dünnes Häutchen sichtbar. Die eigentliche Schale, die Kristallitschicht, besteht zu ungefähr 94 Prozent aus Mineralien, vor allem Calciumcarbonat. Die unterschiedlichen Schalenfärbungen werden durch die Konzentrationsunterschiede verschiedener organischer Farbstoffe bewirkt, die genetisch bedingt von Hühnerrasse zu Hühnerrasse differieren.

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Das Innere des Eies beinhaltet deutlich sichtbar die Dotterkugel umgeben von der Vitellinmembran, die das Gelbe vom Ei vom Eiklar trennt. Diese Membran, auch Dotterhaut genannt, ist eine dünne, elastische Proteinmembran, die unter anderem das Auseinanderlaufen der Dotterkugel verhindert. Von besonderer Zusammensetzung ist das Eiklar mit seinen Schichten unterschiedlicher Viskosität. Es handelt sich insgesamt um eine wässrige Lösung von verschiedenen Prote­inen, den Ovomucinfasern. Die zähflüssige Eiklarschicht enthält viermal so viel Ovomucin wie die dünnflüssigen Schichten. Während des Alterungsprozesses verändert sich die Viskosität. Frische Eier enthalten ein insgesamt zähflüssigeres Eiklar. Der Eidotter wird durch die zähviskose Schicht des Eiklars und die Hagelschnüre in der Mitte des Eies gehalten.

Eidotter und Eiklar unterscheiden sich deutlich in ihrer Zusammensetzung. So ist das Klare vom Ei wasserhaltiger als der Dotter, der wiederum einen höheren Proteingehalt aufweist. Besonders deutlich ist der Unterschied im Fettgehalt. Das Eiklar enthält mit 0,03 Prozent nur einen Bruchteil des Fettgehaltes des Dotters mit über 30 Prozent. Dessen Fette bestehen zu 65 Prozent aus Triglyceriden und zu 30 Prozent aus Phospholipiden wie den Lecithinen. Im Eigelb ist deutlich mehr Cholesterin enthalten als im Eiklar. Die gelbe Farbe des Dotters wird in erster Linie durch die Carotinoidfarbstoffe Lutein und Zeaxanthin hervorgerufen. Ferner ent­halten Hühnereier bis auf Vitamin C alle Vitamine, außerdem Mineralstoffe und Aminosäuren – insgesamt ein ernährungsphysiologisch wertvolles Lebensmittel.

Eier – gesund oder nicht gesund?

Immer wieder stellt sich die Frage nach dem Gesundheitswert von Eiern. Zweifelsfrei liefern sie wichtiges und gut verdauliches Eiweiß sowie wichtige Vitamine und Mineralstoffe. Der Cholesteringehalt ist im Eigelb am höchsten – und insgesamt mit etwa 250 – 280 mg Cholesterin pro Ei nicht gerade niedrig. Dennoch wird gesunden Erwachsenen nach aktuellen Erkenntnissen die Angst vor einem „Zuviel“ an Eiern genommen, da der Konsum wenig Einfluss auf das gefäßschädliche LDL-Cholesterin haben soll.

Der Eierfreund – und ganz allgemein der Verbraucher – sollte sich sicherheitshalber gut auskennen mit dem Produkt Ei, also das kleine Eier-Einmaleins beherrschen. Einmal eingekauft, stellt sich die Frage, wie umgehen mit den Eiern? Bei alten Eiern führen allerlei chemische Umbauprozesse zu einer deutlich wahrnehmbaren Geschmacks- und Geruchsveränderung. Osmotische Prozesse führen hierbei zu einem Austausch der Inhaltsstoffe des Dotters und Eiklars und zu enzymatisch gesteuerten Abbauprozessen. Letztlich kann so das Ei zu einer ungenießbaren und nach Schwefel riechenden „Stinkbombe“ werden.

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Gesund oder schädlich? Über den Cholesteringehalt in ­Eiern streiten sich die Gelehrten schon seit Langem.

Eier erreichen 28 Tage nach dem Legedatum ihre Mindesthaltbarkeit. In den ersten 18 Tagen können sie auch ungekühlt gelagert werden. Optimalerweise werden Eier im Kühlschrank bei maximal sieben Grad aufbewahrt. Ferner sollten Eier möglichst das Mindesthaltbarkeitsdatum nicht überschreiten oder dann nur noch für Speisen verwendet werden, die bei mindestens 70 Grad Celsius gut durcherhitzt werden. Ob ein Ei noch frisch ist, kann unter anderem durch den Schwimmtest überprüft werden. Sinkt das rohe Ei, ist es noch frisch genug und für den Verzehr geeignet. Schwimmt es an der Oberfläche des Wassers, ist das Ei verdorben. „Schuld“ daran ist eine während des Alterungsprozesses des Eies durch Wasserverdunstung sich vergrößernde Luftkammer, die das Ei letztlich im Wasser schwimmen lässt. Dann heißt es: Finger weg von diesem Ei!

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Eier im Schwimmtest – Sinkende Eier sind frisch. Eier, die an der Oberfläche schwimmen, können bereits verdorben sein.

Wer einer möglichen Salmonellengefahr durch Waschen der Eier entgegentreten möchte, kann die Schale der Eier – oder genauer gesagt die der Kristallitschicht aufliegende Cuticula – beschädigen und dadurch den Eintritt von Keimen ins Innere begünstigen. Bei der Verarbeitung von Eiern ist zudem ein bisschen „Fingerspitzengefühl“ gefragt – zumindest sollten sie nicht so verarbeitet werden, dass Rohei mit anderen Speisen in Berührung kommt und diese versehentlich mit Salmonellen kontaminiert. Arbeitsflächen, Gerätschaften und Hände müssen dementsprechend gereinigt werden. Geht doch – mit ein bisschen Vorsicht.

Alleskönner Ei – in Esskultur und Küche

Eier gehören zu unserer Esskultur. Zum Frühstück kommen sie als weich- oder hartgekochte Versionen auf den Tisch. Beliebt ist auch das Rührei mit oder ohne Speck oder auch das Spiegelei. Bei Letzterem stellt sich nun die Frage, von beiden Seiten angebraten oder nicht? Um einer möglichen Salmonellengefahr zu begegnen, heißt die Antwort sicherheitshalber: Bitte von beiden Seiten anbraten! Beliebt sind auch Omeletts. Spielen Kalorien keine wesentliche Rolle, kann das Omelett mit Schmelzkäse in eine verführerische Kalorienbombe verwandelt werden, deren Gesundheitswert durch Zugabe von Paprika, Tomaten und Co. aufpoliert ­werden kann. In den USA kann diese – zugegebenermaßen superleckere – Variante auch in Mega-Size-Versionen zum Frühstück bestellt werden. Wie wäre es also bei der nächsten USA-Reise mal mit einem „Denver Omelett Cowboy-­Style“?

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Nicht nur etwas für Cowboys: Wer sich für ein „Denver Omelett“ entscheidet, sollte nicht auf die Kalorien achten.

Bei der Eier-Verarbeitung ist auch allerlei Chemie am Werk. So dient das Lecithin des Eigelbs in der Lebensmittelherstellung unter anderem als Emulgator. Das zu den Phosphoglyceriden gehörende amphiphile Molekül besitzt hydrophile und hydrophobe Eigenschaften und kann somit als Tensid eingesetzt werden. Diese Besonderheit wird zum Beispiel bei der Herstellung von Mayonnaisen oder Sauce hollandaise eingesetzt. Frisch hergestellt sind diese Produkte wegen der potenziellen Salmonellengefahr nur 24 Stunden haltbar – ausreichende Kühlung vorausgesetzt. Nur das Eigelb frischer Eier darf verwendet werden. Mit richtiger Küchenhygiene und dem Blick auf die Haltbarkeit der Eier sollte auch der Herstellung solcher leicht verderblicher Speisen nichts im Weg stehen. In der Küche wird der Alleskönner Ei als Lockerungs- und Triebmittel für Kuchen und Gebäck gebraucht. Des Weiteren dienen Eier in der Küche als Binde-, Kleb- oder Klärmittel. Bei der Herstellung von Backwaren ist ebenfalls das Lecithin des Eigelbs ein wichtiger Hilfsstoff. Fetthaltige Teige lassen sich so leichter aufschlagen. Lecithin führt ferner zu einer höheren Volumenausbeute der eingesetzten Teigmassen. Die Backprodukte wie Brot und Brötchen sind durch den Einsatz von Lecithin außerdem feinporiger und haben eine knusprigere Kruste. Das Eiklar oder Eiweiß des Hühnereies kann, säuberlich von Eigelb getrennt, zu Eischnee aufgeschlagen werden. Mechanisch wird dabei Luft in die Eiweißmasse eingeschlagen, die sich je nach Dauer des Aufschlagens von flüssig bis klebrig-schaumig verändert. Es kommt bei diesem Prozess zu einer Denaturierung der unterschiedlichen Proteine des Eiklars, die im Eischnee als Schaumbildner und -stabilisatoren fungieren.

Zum Weiterlesen

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Eierköpfe und andere Weisheiten rund ums Ei

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„Du Eierkopf!“ – damit ist im englischen Sprachraum ein Wissenschaftler gemeint.

Bei so viel Ei-Wissen und Ei-Kultur dürfen auch die Eier-Weisheiten nicht fehlen. So ist ein Eierkopf – oder „Egghead“ – die ironische Bezeichnung eines Wissenschaftlers. Vorbild für diesen Vergleich sei die Anspielung auf die Halbglatzen, die angeblich häufig bei Akademikern anzutreffen seien. Ob da nicht den Wissenschaftlern Unrecht getan wird? Eierkopf trifft vielleicht gar nicht so recht das Gelbe vom Ei? Die Frage nach einer überproportionalen Glatzenbildungsneigung von Akademikerköpfen ist nicht einfach zu beantworten. Es fehlt an empirischen Studien oder an einer Lösung in der Art des „Ei des Kolumbus“ – einfach und verblüffend. Wer weiß? |

Autorin

Inken Rutz ist Apothekerin und Autorin u. a. bei DAZ und DAZ.online

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