Aus den Ländern

Apothekenreform: faires Angebot oder „second best“?

Standesvertretung und Basis waren sich beim Verbandstreffen in Mecklenburg-Vorpommern nicht einig

ROSTOCK (rr) | Mehrfach hatte man versucht, die ABDA-Wirtschafts­expertin Claudia Korf als Gast bei der Mitgliederversammlung des Apothekerverbands Mecklenburg-Vorpommern zu gewinnen. Am 10. April 2019 ist es endlich geglückt – ausgerechnet in turbulenten Zeiten. Der tags zuvor veröffentlichte erste Entwurf des „Apotheken-Stärkungsgesetzes“ sorgte für akuten Rede­bedarf unter den Teilnehmern. Schwarzmalerei ist Korf zufolge nicht angebracht, ebenso wenig die unrealistische Forderung nach einem Rx-Versandverbot. Doch noch möchten die Apotheker Farbe bekennen.

Der amtierende Vorsitzende des Apothekerverbands Mecklenburg-Vor­pommern, Axel Pudimat, begrüßte die 130 angereisten Apothekenleiter und nutzte den aktuellen Anlass („Wir haben etwas erschrocken festgestellt, dass wieder Wahlen anstehen“), um Werbung für die Verbandsarbeit zu machen. Auch für Ehrenämter sucht man händeringend nach Nachwuchs. Das Thema Personalmangel beschäftige die Apotheken des Landes momentan mehr als die Wirtschaftszahlen – die seien nach Ansicht Pudimats nämlich gar nicht so schlecht. Als eine extreme Entwicklung beobachtet man die Zunahme von Verordnungen hoch­preisiger Arzneimittel, die vor allem Apotheken mit Fachärzten in der Nachbarschaft betrifft. Im Gegensatz dazu sind Standardarzneimittel in Deutschland (Festbeträgen und Rabattverträgen sei Dank) ziemlich günstig – so günstig, dass sie lukra­tiver ins Ausland verkauft werden. Sogenannte Kontingentarzneimittel erschweren den Apothekenalltag ungemein und erinnern Pudimat an eine „Mangelversorgung wie in der DDR“.

Foto: DAZ/rr
Axel Pudimat vom Apothekerverband MV und Claudia Korf von der ABDA

Wenn es rot aufleuchtet

Für Ärger sorgte auch der Start von Securpharm am 9. Februar 2019. „Vieles funktioniert, aber längst nicht alles, und schon gar nicht perfekt“, weiß der Inhaber einer Rostocker Apotheke aus eigener Erfahrung zu berichten. Aber immerhin: Alle Apotheken sind angeschlossen und die Software funktioniert. Im europäischen Vergleich gilt das deutsche Apothekenwesen dahingehend als vorbildlich. Und wenn doch einmal eine Packung rot aufleuchtet und der Ablauf (unnötig) stockt? „Ärgern Sie sich nicht, sondern lösen Sie auftretende Probleme mit dem Ziel, dass die Probleme irgendwann nicht mehr auftreten.“ Häufig kommt die Frage nach der „ominösen 7-Tages-Frist“: Die besagt, dass der Unter­nehmer nach Meldung eines Fehlers im individuellen Erkennungsmerkmal sieben Tage Zeit hat, um zu klären, ob wirklich ein Fälschungsfall vorliegt. Allerdings funktioniere dieses System derzeit noch nicht, so Pudimat. Was wirklich neu ist: Versehentlich gebuchte Packungen können nicht mehr ohne Weiteres an den Großhandel zurückgegeben werden. Daran, was zu tun ist, wenn eine Packung wirklich gefälscht ist, hat sich indes nichts geändert. Spätestens, wenn täuschend echt aussehende Arzneimittelpackungen aus dem 3D-Drucker stammen, „werden wir uns freuen, dass wir Securpharm haben.“

„Holland offen“

Zweieinhalb Jahre sind seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vergangen, das EU-ausländischen Versendern erlaubt, Boni auf verschreibungspflichtige Arzneimittel zu gewähren, während sich deutsche Apotheken an die Arzneimittelpreisverordnung halten müssen. Plötzlich drängt die Zeit nach einer schnellen Lösung, denn die EU setzte Deutschland ein Ultimatum. Bei Überschreitung der Zwei-Monats-Frist drohen Strafen von 860.000 Euro pro Tag, weiß Claudia Korf, Geschäftsführerin Ökonomie der ABDA, aus erster Hand.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn legte am 9. April 2019 den ersten Entwurf einer Apothekenreform vor. Dem Drängen der EU nach Deregulierung möchte man mit einem Verbot von Rx-Boni im Sozialgesetzbuch (SGB) begegnen, auf der anderen Seite aber die Preisbindung für EU-Versand­apotheken aus dem Arzneimittelgesetz (AMG) streichen. Damit bröckelt die Rechtssicherheit, dass das Rx-Boni-Verbot auch für Privat-Versicherte gilt. Auch dürfte Apothekern nicht gefallen, dass das Honorierungsvolumen im Vergleich zu vorherigen Versionen deutlich magerer ausfällt.

Chancen suchen!

ABDA-Wirtschaftsexpertin Korf war um Optimismus bemüht und ermunterte die Mitglieder zu einem Perspektivwechsel: „Aus Sicht der Krankenkassen haben wir einen Riesen-Lobbyerfolg erzielt.“ Primäres Ziel ist und bleibt die Wiederherstellung der Gleichpreisigkeit, stellte sie klar. Der Referentenentwurf sei erst einmal eine Arbeitsgrundlage. Für ein offizielles Statement der ABDA war es am Mittwoch noch zu früh, doch Korf ließ die Anwesenden an ihrer persönlichen Meinung teilhaben. Besonders positiv sieht sie, dass Spahn die Diskussion über zusätzlich honorierte pharma­zeutische Dienstleistungen eröffnet. Die Vergütung soll über einen Fonds erfolgen (20 Cent pro Rx-Packung), der durch den Deutschen Apothekerverband (DAV) verteilt wird. Korf appellierte an die Apotheker, diesen Prozess zu begleiten: „Der Supergau wäre, wir kriegen einen Fonds und fordern ihn nicht ein, dann war es das mit pharmazeutischen Dienstleistungen.“ Bei den Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband „im Benehmen“ mit dem PKV-Verband werde sich der DAV bemühen, apothekenexklusive Dienstleistungen zu definieren.

Korf zählte weitere Chancen und vielversprechende Signale auf, die das „Apotheken-Paket“ bereithält: Das Verbot, E-Rezepte zu „makeln“, die klare Abgrenzung von Botendienst und Versandhandel, die Belieferung von Dauerrezepten von gut eingestellten Chronikern, Modellvorhaben zur Durchführung von Grippeschutzimpfungen in Apotheken und und und. An den genauen Formulierungen müsse man zwar noch arbeiten, aber Korf sieht den Gesetzentwurf als ein Angebot des Gesundheitsministers, den Apotheken dabei zu helfen, sich der Zukunft mit all ihren Herausforderungen zu stellen. „Ich hätte mir auch mehr vorstellen können. Aber wenn wir einen Weg beschreiten wollen, dann ist jetzt die Gelegenheit dazu.“

Der Preis: Kein Rx-Versandverbot

Unter den Zuhörern regte sich Widerstand: Man fühle sich von der Politik betrogen. Korf verstehe den Frust der Apotheker, aber man müsse auch realistisch sein: In der derzeitigen Regierung wird sich keine Mehrheit für ein Rx-Versandverbot finden lassen, der Druck seitens der EU wächst und es läuft die Zeit davon. Man möchte nicht riskieren, ohne Einigung in die Sommerpause zu gehen. Im Herbst stehen Landtagswahlen an und es könne wieder alles anders werden, warnt Korf.

Ein Teilnehmer kritisierte die Standesvertretung dafür, medial zu wenig präsent zu sein. Mit dem Protestmarsch in Berlin haben die Apotheker wenigstens einmal für Aufsehen gesorgt. Ein Rx-Versandverbot sei aber derzeit nicht durchsetzbar, daran ändere auch eine Demonstration nichts, beharrte Korf. „Subsidiarität ist ein Feigenblatt, das uns nicht mehr ausreichend schützt.“ Der Brexit zeige aktuell, dass man sich dem Einfluss Europas nicht mehr so einfach entziehen kann.

Die Strategie der ABDA war es, das Gespräch zu suchen, um für das Gros der Apotheken eine Lösung herbeizuführen. Dass nicht alle Apotheken vor der Schließung bewahrt werden können, ist Korf bewusst: „Mit diesem Gesetz ist Ihre Zukunft nicht gesichert, aber es wird ein Kurswechsel eingeschlagen.“ Unterstützung gab es an dieser Stelle vom Verbandschef Axel Pudimat: „Den eingeschlagenen Kurs der ABDA finden wir vernünftig und unterstützenswert.“ Die Gesetze mache am Ende die Politik, gewählt durch die Bevölkerung. Der Versandhandel werde aber die Welt verändern, daran besteht für Pudimat kein Zweifel.

E-Rezept und passende App dazu

In dieser „schönen neuen globalisierten Welt“, wie Korf titelte, darf das E-Rezept selbstverständlich nicht fehlen. Derzeit herrsche eine Goldgräberstimmung und es entwickelt sich schnell ein kaum regulierbarer „zweiter Gesundheitsmarkt“. Die Standesvertretung hat rechtzeitig versucht, einen Fuß in die Tür zu kriegen: In ihrem Beschluss vom 14. Juni 2018 kündigte die ABDA an, ein marktoffenes Modell zu entwickeln, um allen Apothekenpartnern über standardisierte Übertragungswege und Schnittstellen die Nutzung einer Systemlösung zu ermöglichen. Damit lässt man zwar auch Konkurrenten in den Markt, behält aber die Kontrolle. Man stelle sich das so vor: Es gibt kein Rezept aus Papier mehr, sondern einen signierten Datensatz, den der Patient einer Apotheke inklusive E-Rezept-Schlüssel zusendet. An Fahrt gewinnt das E-Rezept durch das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV), das schon im Sommer kommen soll. Danach haben die Apotheker maximal elf Monate Zeit, um sich mit KBV und GKV-Spitzenverband zur technischen Umsetzung zu einigen.

Foto: DAZ/rr

Auch ohne E-Rezept läuft auch heute schon vieles digital. Via App können Patienten ihr Rezept als Foto an eine Apotheke senden, die die Arzneimittel für sie bereithält oder an sie ausliefert. Doch die Anforderungen an eine solche App sind hoch, da es sich um sensible Gesundheitsdaten handelt. Mehrere Apothekerverbände haben sich mit dem Norddeutschen Apothekenrechenzentrum (NARZ) zusammengetan, um ihren Mitgliedern und deren Kunden eine sichere Lösung anzubieten. Michael Irmer und Louis Rogall vom NARZ stellten die Vorteile der App mit Namen „RezeptDirekt“ vor: Die App verarbeitet nur die für den Bestellvorgang zwingend notwendigen Daten, die spätestens vier Wochen nach der Bestellung automatisch gelöscht werden, sie ist frei von Interessen Dritter und kostet die Apotheken nichts. Unter www.narz-avn.de/de/dienstleistungen/rezeptdirekt/ finden sich weitere Informationen sowie Werbematerial.

Vorstand wiedergewählt

Die Wahl am Ende des Nachmittags war einstimmig: Der alte Vorstand ist auch der neue Vorstand, bestehend aus Petra Kokel, Andrea Nowotny, Birka Zander, Kristian Frankenstein, Thomas Müller, Axel Pudimat und Matthias Ratke. Der Vorsitzende und seine Stellvertreter werden bei der ersten Sitzung bestimmt. |

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