Arzneimittel und Therapie

PUMAs bald vom Aussterben bedroht?

Kinderarzneimittel erfahren in Deutschland keine Sonderbehandlung

rr | Das Präparat Alkindi® mit dem Wirkstoff Hydrocortison wurde über das Verfahren Paediatric use marketing authorisation (PUMA) und damit gezielt für die pädiatrische Verwendung zugelassen. Neben ihm gibt es nur fünf weitere Arzneimittel seiner Art. Genützt hat ihm sein Raritätenstatus bei der Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss jedoch nicht: Alkindi® wurde kein Zusatznutzen attestiert – ein Signal, das die Industrie abschrecken könnte, weitere PUMAs in die Welt zu setzen.

Mangels Alternativen müssen Pädiater in vielen Indikationen auf Arzneimittel zurückgreifen, die bisher nur zur Anwendung bei Erwachsenen zugelassen sind oder für die es keine kindgerechten Darreichungsformen gibt. Notgedrungen müssen so Tabletten geteilt oder gemörsert und damit die Arzneimitteltherapiesicherheit erheblich aufs Spiel gesetzt werden. Auch individuell hergestellte Rezepturen stellen keine Problemlösung für die breite Anwendung dar (s. Kasten).

Anfang 2007 trat die EG-Richtlinie Nr. 1901/2006 in Kraft, die die pharmazeutische Industrie motivieren sollte, pädiatrische Daten für bestimmte Arzneistoffe zu erheben und kind­gerechte Fertigarzneimittel zu entwickeln. Für neue Arzneimittel werden Kinder­daten per se gefordert. Das eigentliche Problem sind alte Wirkstoffe, die nicht mehr unter Patentschutz stehen und damit für die Industrie wenig interessant sind, im Alltag aber eine große Rolle spielen. Für Letztere hat die europäische Zulassungsbehörde EMA die Möglichkeit der Genehmigung für die pädiatrische Verwendung, kurz PUMA, geschaffen: Hersteller, die pädiatrische Darreichungsformen mit Arzneistoffen entwickeln, die bereits für Erwachsene zugelassen sind, werden mit einem zehnjährigen Patentschutz belohnt. Die Entwicklung muss dem durch den Pädiatrie-Ausschuss der EMA gebilligten Prüfkonzept folgen.

Alkindi®-Werbung durch Rezepturen-Bashing

Stehen keine Fertigarzneimittel (FAM) zur Verfügung, bieten Rezepturarzneimittel einen Ausweg, um patientenindividuell zu dosieren. Doch sosehr in der aktuellen Diskussion das Fertigarzneimittel Alkindi® gelobt wurde, sosehr wurde gegen in Apotheken hergestellte Hydrocortison-Kapseln argumentiert. Ein Artikel im Deutschen Ärzteblatt (vom 8. Februar 2019) nimmt Bezug auf eine Studie aus dem Jahr 2017, in der 1125 individuell in deutschen Apotheken zubereitete Kapseln für 61 Kinder mit Nebenniereninsuffizienz auf ihren Hydrocortison-Gehalt untersucht wurden. In 40 Kapseln konnte keinerlei Wirkstoff nach­gewiesen werden (3,6%), bei weiteren 21,4% waren die pharmazeutischen Anforderungen an Gleichförmigkeit nicht erfüllt. 28% der Kapseln enthielten mehr als 20% zu wenig Wirkstoff. Fazit: Die gängige Praxis der Anfertigung von Kapseln mit individuell niedrigem Wirkstoffgehalt stelle zurzeit „keine sichere Therapie bei Säuglingen und Kleinkindern“ dar. Ein Beitrag mit dem Titel „Kindertabletten“ in der Frank­furter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 13. März 2019 geht sogar noch weiter: „Sind die Eltern auf die Herstellung durch Apotheker angewiesen, können sie nur beten.“ Dass auf diese Weise in Apotheken hergestellten Hydrocortison-Kapseln „in pauschaler Form mangelhafte Qualität unterstellt“ wird, ließ das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL) nicht auf sich sitzen und führte in einer Stellungnahme als Gegenbeweis die positiven Ergebnisse der Ringversuche zur Herstellung von Hydrocortison-Kapseln 1 mg und 2 mg im Jahr 2017 bzw. 2018 ins Feld. So hatten unter Einhaltung qualitätssichernder Maßnahmen wie Verwendung standardisierten Kapselfüllmittels, standardisierter Herstellungsmethode sowie eines Wirkstoffzuschlags 95,5% bzw. 93,4% der teilnehmenden Apotheken die Anforderungen an den Gehalt der Hydrocortison-Kapseln erfüllt. (Die vollständige Stellungnahme ist in DAZ 12/2019 auf S. 96 nachzulesen).

Nicht vergessen werden sollte bei der Diskussion, dass auch Alkindi® nicht frei von Risiken ist: Die Kapseln dürfen nicht geschluckt, sondern müssen vorsichtig geöffnet werden, um das Granulat zu entnehmen!

PUMA – eine seltene Spezies

In mehr als zehn Jahren haben es gerade einmal sechs Arzneimittel zur PUMA-Zulassung geschafft: 2011 Buccolam® (Midazolam) zur Unter­brechung von Krampfanfällen, 2014 Hemangiol® (Propranolol) zur Therapie des infantilen Hämangioms, 2016 Sialanar® (Glycopyrroniumbromid) zur Hemmung übermäßigen Speichelflusses bei Kindern mit neurologischer Grunderkrankung, 2018 Alkindi®(Hydrocortison) zur Therapie der Nebenniereninsuffizienz und frisch auf dem Markt Slenyto® (Melatonin) für Kinder mit Entwicklungsstörungen und Schlafstörungen. Das Antiepileptikum Kigabeq® (Vigabatrin) zur Behandlung des West-Syndroms hat ebenfalls 2018 die Zulassung erhalten und wird in Deutschland am 1. Juli 2019 auf den Markt kommen.

Gründe für die Zurückhaltung der Pharmaindustrie sind auf der einen Seite die Schwierigkeiten, die sich bei Studien mit Kindern ergeben, auf der anderen Seite fehlende monetäre Anreize. Obwohl PUMA-Arzneimittel einen etablierten Wirkstoff enthalten, unterliegen sie nach Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) den Regelungen für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen und müssen sich der frühen Nutzenbewertung stellen – anders als Orphan Drugs (Arzneimittel zur Behandlung seltener Erkrankungen), denen mit ihrer Zulassung automatisch ein Zusatznutzen attestiert wird, über dessen Ausmaß der G-BA entscheidet. Am Beispiel Alkindi® flammte erneut die Diskussion auf, ob diese Praxis nicht auch bei PUMAs sinnvoll wäre.

Hydrocortison vs. Hydrocortison

Eine Insuffizienz der Nebennieren kann angeboren sein und erfordert sofort eine Hormonersatztherapie. Zum Einsatz kommt der altbekannte Arzneistoff Hydrocortison, der zwar zur Anwendung im Kindesalter zugelassen ist, allerdings bisher nur als Ausgangsstoff für die Rezeptur und als Tabletten mit 10 mg Wirkstoff bezogen werden konnte. Die empfohlenen Dosierungen von Hydrocortison betragen 8 bis 10 mg/m2/Tag bei Patienten mit reiner Nebenniereninsuffizienz und 10 bis 15 mg/m2/Tag bei Patienten, die zusätzlich am adrenogenitalen Syndrom (AGS) leiden. Die enge therapeutische Breite erfordert vor allem bei Kindern Fingerspitzengefühl: Unterdosierungen können zu einer lebensgefährlichen Addisonkrise führen, Überdosierungen zu Wachstumsstörungen, Osteoporose und metabolischem Syndrom.

Das Fertigarzneimittel Alkindi® könnte die Therapiesicherheit deutlich erhöhen. Das Granulat enthält Hydrocortison in den niedrigen Wirkstärken von 0,5 mg, 1 mg, 2 mg und 5 mg und ist zugelassen zur Ersatztherapie bei Nebenniereninsuffizienz bei Neugeborenen, Kindern und Jugendlichen (ab der Geburt bis unter 18 Jahre). Das i-Tüpfelchen: Der bittere Geschmack des Wirkstoffs wurde maskiert, was die Akzeptanz verbessern soll.

Im Rahmen der frühen Nutzenbewertung musste sich das lang ersehnte Kinderarzneimittel gegen Hydrocortison in Form von Tabletten und Rezepturen als zweckmäßige Vergleichs­therapie behaupten. Die Arzneimittel unterschieden sich somit nicht im Wirkstoff, sondern lediglich in Dosierung und Formulierung. Der pharmazeutische Unternehmer Diurnal betonte in seinem Dossier den Benefit für die kleinsten Patienten (ab Geburt bis acht Jahre), da diese besonders geringe Tagesdosen benötigen. Sobald die Kinder groß genug sind, könnten sie auf herkömmliche Präparate umgestellt werden, so die Überlegung.

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Arzneimitteln, die speziell zur Verwendung bei Kindern zugelassen werden, sogenannten PUMAs (Paediatric use marketing authorisation), könnte dasselbe Schicksal wie den Dinosauriern drohen.

Alkindi® unter Selektionsdruck

Die beiden pädiatrischen monozentrischen Open-Label-Studien Infacort 003 und Infacort 004, die einarmig durchgeführt wurden und somit kein Vergleichspräparat prüften, konnten zwar die EMA von einer PUMA-Zulassung überzeugen, nicht aber den G-BA von einem Zusatznutzen. Die Untersuchungen laufen unter „Fallserien und andere nicht vergleichbare Studien“. Dem Ausschuss fehlen Beweise, dass Alkindi® einen Vorteil gegenüber der Vergleichstherapie hat. Die Entscheidung stieß auf Unverständnis in der Ärzteschaft und Industrie. Der Kinder-Gastroenterologe Priv.-Doz. Dr. Burkhard Rodeck, Osnabrück, kritisierte stellvertretend für die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ): „Problematisch bei diesem Prüfprozess war, dass hier nur der Wirkstoff auf seinen Zusatznutzen geprüft wurde. Hydrocortison ist Hydrocortison. Da gibt es keinen Zusatznutzen. Der enorme Vorteil für Kinder wäre hier aber aus der Form entstanden, den das neue Granulat gegenüber einer Fertigtablette bietet, durch eine sehr präzise Dosierung für jede Altersstufe und durch das leichtere Einnehmen.“

Ohne Zusatznutzen hat es ein Arzneimittel schwer in Deutschland: Es drohen Festbeträge und Rabatt­verträge – wenig attraktive Zukunftsaussichten für Alkindi®.

Unter Artenschutz stellen?

Die Initiative Arzneimittel für Kinder e. V. (IKAM) setzt sich seit Jahren für die Entwicklung von Kinderarznei­mitteln ein. „Wenn das Beispiel Alkindi® bei den Entscheidungen des G-BA Schule macht, könnte die Bundes­republik Deutschland bei innovativen Kinderarzneimitteln mit PUMA-Charakter in Zukunft leer ausgehen“, befürchtet Geschäftsführer Dr. Andreas Franken. Der Verein wurde vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) im Jahr 2013 ins Leben gerufen und setzt sich unter anderem dafür ein, dass der medizinische Zusatznutzen bereits durch die Zulassung als Kinderarzneimittel als belegt gilt.

Für das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) kommt das derzeit jedoch nicht infrage. Erst 2017 wurde im Rahmen des GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetzes eine Regelung zum sogenannten Evidenztransfer eingeführt, um den Besonderheiten von Arzneimitteln mit Genehmigung für die pädiatrische Verwendung Rechnung zu tragen. Für Alkindi® läge jedoch keine anderweitige Evidenz vor, die auf die pädiatrische Patientengruppe hätte übertragen werden können, rechtfertigt das BMG das Vorgehen des G-BA. Geeignete Daten liefern beispielsweise Untersuchungen an erwachsenen Patienten. Dass es durchaus möglich ist, als PUMA einen Zusatznutzen attestiert zu bekommen, beweist das Beispiel Hemangiol®, denn dem Kinderarzneimittel wurde die höchste Zusatznutzen-Kategorie zugesprochen. Das BMG verspricht, die Entwicklungen bei Arzneimitteln mit einer Genehmigung für die pädiatrische Verwendung in Zukunft weiterhin intensiv zu beobachten.

Hersteller Diurnal spielt im Übrigen nicht mit dem Gedanken, Alkindi® hierzulande vom Markt zu nehmen. Man wolle sich den deutschen Gesetzen stellen, hieß es auf Nachfrage. |

Quelle

PUMA (Paediatric use marketing authorisation) – Genehmigung für die pädiatrische Verwendung. www.bfarm.de; Abruf am 04. April 2019

Fachinformation Alkindi®. Stand 02/2019

Dossier zur Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V. Hydrocortison (Alkindi®). Diurnal Ltd. www.g-ba.de; Abruf am 04. April 2019

Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V. (DGKJ). Presseinformation zum Tag der Seltenen Erkrankungen am 28. Februar 2019. www.dgkj.de; Abruf am 04. April 2019

Kinderarzneimittel. Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e. V. www.bah-bonn.de; Abruf am 04. April 2019

Kamrath C. Sicherheit sollte Maßstab der Nutzenbewertung sein. Dtsch Ärztebl 2019;116(6)

Neumann U et al. Quality of compounded hydrocortisone capsules used in the treatment of children. Eur J Endocrinol 2017;177(2):239–242

Kindertabletten. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13. März 2019

Stellungnahme des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker e. V. (ZL) zu Aussagen zur Qualität von Rezepturarzneimitteln. DAZ 12/2019

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