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Alternativmedizin – was steckt oft dahinter?

Christen in der Pharmazie

Alternativmedizin boomt, das An­gebot an Verfahren ist fast unüberschaubar, die Umsätze homöopathischer Arzneimittel steigen von Jahr zu Jahr. Wo liegen die Ursachen der Konjunktur alternativer Heilverfahren und Mittel? Und welche dieser Ansätze gilt es, kritisch zu hinterfragen?

Dies thematisierte die 27. Jahres­tagung der Fachgruppe „Christen in der Pharmazie“ vom 15. bis 17. März 2019 in Brotterode.

Wunsch nach sanfter Therapie versus harte Realität

Der Mensch unserer Zeit wünscht sich eine zugewandte, ganzheitliche und gut wirksame Therapie, möglichst ohne Nebenwirkungen.

In der Realität wird in der Patientenrolle jedoch vielfach eine unpersönliche und durchorganisierte Schulmedizin in ihren Auswüchsen erlebt:

  • konzentriert nur auf erkrankte Organe statt auf den ganzen Menschen und die zum Teil vorhandenen psychosomatischen Ursachen,
  • mit Ärzten, die kaum noch Zeit zum Zuhören haben in den durchgetakteten Sprechzeiten, Zuwendung ist Mangelware,
  • oft sind leitliniengerechte Labor­parameter wichtiger als das Wohl­befinden der Patienten
  • und erlebt wird eine technisierte und ökonomisch optimierte Medizin, erkennbar z. B. an vorzeitigen Krankenhausentlassungen wegen der abgelaufenen Fallpauschalen oder durch die Abrechnung nicht notwendiger IGEL-Leistungen.

Faszination der Alternativmedizin

Erst diese enttäuschenden Erfahrungen mit der Schulmedizin wecken meist das Interesse an Alternativen. Die Versprechen der Ganzheitlichkeit, des „Berührt-Werdens“ der Seele, magischer Momente oder der Wunsch, sich verwöhnen zu lassen, machen diese Therapien anziehend. Insbesondere in der Prävention nutzen viele die angebotenen Entgiftungsprogramme, Entspannungsmethoden, Fitnessan­gebote oder meditative Verfahren.

Andererseits sind es gerade „austherapierte“ Patienten, die ihre letzte Hoffnung auf alternativmedizinische Angebote setzen.

Die Hintergründe oder weltanschau­lichen Konzepte der Verfahren werden dabei kaum hinterfragt. Hauptsache es hilft. Wer heilt, hat recht.

Gesellschaftliche Ursachen

In der westlichen Gesellschaft hat sich nach der Aufklärung ein modern-wissenschaftliches Weltbild entwickelt. Darauf verwies Dr. med. Hanna-Maria Schmalenbach, Ärztin und Missiologin, aus Tübingen. Religion wurde zur Privatsache degradiert. Bestimmend ist ein materiell-basiertes, technisiertes und wissenschaftsbasiertes Weltbild.

Damit lassen sich aber weder die grundlegenden Seinsfragen noch die Sehnsucht des Menschen nach Transzendenz befriedigen. Paul Hiebert (1932 – 2007) erkannte im westlichen Weltbild ein resultierendes Vakuum, das vor allem durch spirituell-esoterische Ansätze und metaphysische Methoden ausgefüllt wird. Diese „Alternativen“ bieten häufig nicht nur Gesundheit, sondern auch Wege zur Selbstverwirklichung oder gar Selbsterlösung mit an.

Foto: Claudia Gehrhardt
Hanna-Maria Schmalenbach

Magische und esoterische Hintergründe

Bei der gründlicheren Recherche stellt man fest, dass sich viele alternative Verfahren ähneln oder scheinbar nur Begriffe ausgetauscht sind (z. B. wechselnde Energiebezeichnungen Chi, Prana, Qi oder Chakren als Energiezentren, Aura als Energiefeld).

Es lassen sich zwei Konzepte bei Methoden mit spirituell-esoterischem Hintergrund ausmachen. Einerseits gibt es das animistische Weltbild mit Geistwesen und magischen Kräften.

Andererseits ist da die eher fernöstlich geprägte Esoterik, wo es gilt, im Einklag mit der kosmischen Energie zu leben. Und sowohl diagnostisch als auch therapeutisch werden die Entsprechungen von Mikrokosmos und Makrokosmos als ein Analogieprinzip postuliert.

Fehlende Prüfungen

Obwohl als sanfte Verfahren präsentiert, gibt es durchaus kritische Gesichtspunkte zu beachten. Da ist zuerst die grundsätzliche Problematik, dass homöopathische und anthroposophische Arzneimittel ohne Überprüfung der Wirksamkeit und Verträglichkeit als alternative Therapierichtungen angeboten werden können, obwohl diese Mittel manchmal z. B. Quecksilber, Blei und andere Schwermetalle als bedenkliche Inhaltsstoffe enthalten können.

Besonders krass wird diese Proble­matik bei den vielfach beworbenen Mistelpräparaten. Mistellektine haben eine sehr geringe therapeutische Breite (im Nanogrammbereich!) und sollten daher nur standardisiert angewendet werden (z. B. Lektinol®).

Diese Standardisierung wird von den Herstellern anthroposophischer Mistelpräparate aber grundsätzlich abgelehnt, weil für diese ausschließlich die Lehre Rudolf Steiners maßgeblich ist.

Prof. Dr. H.-J. Gabius (München) zeigte in Untersuchungen, dass Mistelextrakte sowohl tumorhemmende als auch tumorwachstumsfördernde Wirkungen haben können. Laut Krebsinformationsdienst Heidelberg ist die Misteltherapie trotz neuer Forschungsarbeiten immer noch umstritten.

Nebenwirkungen

Darüber hinaus kann die Anwendung alternativer Verfahren dazu führen, dass lebenswichtige Medikamente abgesetzt werden oder rechtzeitige kurative Therapien unterbleiben. Hinzu kommen mögliche psychische Nebenwirkungen und seelische Belastungen durch magisch-animistische Beeinflussung. Darauf verwies Apothekerin Heidrun Böhm aus Eisenach.

Nicht verschwiegen werden sollte, dass aktuell insbesondere durch die PharmaSGP GmbH mittels ganzseitiger Printanzeigen für homöopathische Arzneimittel geworben wird (Deseo®, Restaxil®, Rubaxx®). Die vollmundigen Wirkversprechen basieren lediglich auf dem homöopathischen Arzneimittelbild (laut Gebrauchsinformation), haben jedoch deutlich höhere Preise als gleichwertige „normale“ Homöo­pathika. Dafür gibt es dann Auszeichnungen für erfolgreiche Werbung des Unternehmens (Inspiratio Pharma Marketing Award).

Foto: Claudia Gehrhardt
Heidrun Böhm

Kriterien zur Bewertung

Einerseits ermutigte H.-M. Schmalenbach ihre Zuhörer zu einer ganzheit­lichen Sichtweise nach dem Menschenbild der Bibel. Sie empfahl jedoch, sowohl Hintergründe als auch die Wirkweise von Alternativverfahren zu hinterfragen. Sind die versprochenen Ergebnisse auch verifizierbar und reproduzierbar? Oder werden Methoden mit esoterischen Praktiken und Ritualen vermischt?

Die 27. Jahrestagung, an der fast 50 aktive und angehende Pharma­zeutinnen und Pharmazeuten teil­nahmen, wurde bei der LAK Thüringen mit sechs Fortbildungspunkten akkreditiert.

Die nächste Tagung der Fachgruppe Christen in der Pharmazie findet vom 20. – 22. März 2020 in Marburg statt.

Das Thema wird sein: „Arzneimitteltherapie im Alter – worauf kommt es (wirklich) an?“

Weitere Informationen siehe www.pharmazie.smd.org |

Jens Kreisel, Plauen

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