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Arzneimittelsicherheit

Noch mehr Nitrosamine

NDMA, NDEA, NDIPA – wie kommen die Verunreinigungen in die Sartane?

Die Sommerpause des vergangenen Jahres wurde durch den Valsartan-Skandal gefüllt. Durch Zufall wurde in Spanien in Valsartan-Tabletten unerwartet Nitrosodimethylamin, NDMA abgekürzt, gefunden. Doch dann wurden mit NDEA (N-Nitrosodiethylamin) und zuletzt NDIPA (N-Nitrosodiisopro­pylamin) weitere Nitrosamine in anderen Sartanen gefunden, und das bei verschiedenen Herstellern. Grund genug, noch einmal auf Spuren­suche zu gehen. | Von Helmut Buschmann und Ulrike Holzgrabe

NDMA war zunächst in Valsartan entdeckt worden, das in China von der Firma Zhejiang Huahai Pharmaceuticals (ZHP) hergestellt worden war. Obgleich die Firma über eine „Certificate of Suitability to the Monographs of the European Pharmacopoeia (CEP) for Industry and the Competent Authorities“ verfügte, war der Wirkstoff mit der toxischen Verunreinigung kontaminiert. Ein solches Zertifikat soll prinzipiell sicherstellen, dass die Qualität des hergestellten Wirkstoffs dem Europäischen Arzneibuch entspricht und entsprechend den Vorgaben auch kontrolliert wird. Dennoch ist bei der Freigabe die Verunreinigung nicht erkannt worden. Inzwischen haben wir von der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) gelernt [1], dass auch in Produkten anderer Firmen NDMA enthalten ist, allerdings weniger als bei ZHP gefunden wurde. Die Firma ZHP hat die verdächtigen Peaks im Chromatogramm , die wahrscheinlich dem NDMA zuzuordnen waren, offensichtlich nur als „Rauschen“ betrachtet, statt hier mit weiteren analytischen Methoden näher hinzuschauen. Diese Mängel in der Qualitätsanalytik von ZHP ziehen sich übrigens durch die gesamte Auditbeschreibung der FDA (Audit im Juli/August 2018). Es versteht sich, dass ZHP (und anderen Firmen) das CEP entzogen worden ist und es eine Vielzahl von Arzneimittelrückrufen gegeben hat.

Vernachlässigtes Lösungsmittel

Ein Blick in das Patent, in dem der geänderte Syntheseweg zum Tetrazolylring beschrieben ist, zeigte, dass die Verwendung des Lösungsmittels Dimethylformamid in Gegenwart von Natriumnitrit offensichtlich zu dem Nitrosamin geführt hatte (Abb. 1 und Abb. 2). Wir haben dies in DAZ 2018, Nr. 29, S. 72 beschrieben. Eine solche Verunreinigung aus einem Lösungsmittel ist ungewöhnlich, denn die sogenannten verwandten Substanzen, auf die in jeder Arzneibuchmonographie geprüft wird, sind fast immer dem Wirkstoff strukturverwandt, d. h. Syntheseausgangsprodukte, -nebenprodukte oder Zersetzungsprodukte. Insofern wundert es nicht, dass die Bildung von NDMA über Jahre nicht aufgefallen war. Reaktionen mit Verunreinigungen von verwendeten Synthesereagenzien und auch Lösungsmitteln, die zu möglichen Verunreinigungen führen, werden oftmals bei der Betrachtung des möglichen Verunreinigungsprofils eines Wirkstoffs nicht ausreichend bei der Bewertung von möglichen Verunreinigungen berücksichtigt und sind auch häufig von der Qualität des Lieferanten und Herstellers abhängig.

Abb. 1: Die Transformation der aromatischen Cyanogruppe zum Tetrazol-Intermediat unter Verwendung von verschiedenen Reaktionsbedingungen und Reagenzien [DAZ 2018, Nr. 29, S. 72].
Abb. 2: Nitrosamin-Bildung. Die mögliche Bildung der sekundären Amine aus den Zersetzungsprodukten des Lösungsmittels DMF sowie aus Verunreinigungen oder Zersetzungsprodukten von Triethylamin oder Diisopropylethylamin und deren Weiterreaktion mit Nitrit-Ionen zu den NItrosaminen NDMA, NDEA und NDIPA.

Weitere Sartane im Visier

Da die Bildung von NDMA theoretisch bei jedem Sartan mit Tetrazolylring auftreten kann, d. h. auch bei Candesartan, Irbesartan, Lorsartan und Olmesartan, sofern der gleiche Syntheseweg beschritten wird, wurde in den letzten Monaten überall nach NDMA gefahndet. In der Tat konnte NDMA nicht nur in Valsartan (3,7 bis 22 µg pro Tablette) nachge­wiesen werden, sondern auch in Irbesartan und Lor­sartan. Es versteht sich, dass nicht jedes Screening auch einen „NDMA-Treffer“ ergeben hat, wie kürzlich aus dem ZL berichtet worden war [3]. Das ist für die Patienten sehr beruhigend. Bemerkenswert ist allerdings, dass neben anderen, bisher noch nicht identifizierten Verunreinigungen auch Nitrosodiethylamin (NDEA) gefunden worden ist, wenn auch in viel kleineren Mengen als NDMA. NDEA ist das Reaktionsprodukt von Diethylamin mit Nitriten. Es fragt sich, woher das NDEA stammt bzw. woher eine mögliche Diethylamin-Kontamination kommt. Diethylamin kann als Abbauprodukt vom tertiären Triethylamin stammen, was bei der Produktion von bestimmten Wirkstoffen als Reagens und Base eingesetzt wird. Es kann zudem auch als Verunreinigung in verwendeten Lösungsmitteln wie ­Dimethylformamid enthalten sein. Zwar sind die Gehalte sehr niedrig, aber durch die Verwendung von größeren Lösungsmittelmengen könnten diese geringen Spuren für die Bildung des NDEAs auch ausreichend sein. ­Daher ist es nicht verwunderlich, dass in mit NDMA verunreinigten Wirkstoffen auch NDEA – wenn auch in geringeren Mengen – nachzuweisen war.

Im Allgemeinen kommt es zur Nitros­amin-Bildung, wenn Amine mit Nitriten vorzugsweise bei höheren Reaktionstemperaturen reagieren. Daher sind diese Nitrosamine oftmals auch als Nebenprodukte bei Desinfektionsprozessen in prozessierten Nahrungsmitteln sowie im Trinkwasser zu finden.

Voraussetzungen für ­die Nitrosamin-Bildung

Bei der Herstellung von Wirkstoffen müssen im Wesentlichen drei Faktoren gleichzeitig vorliegen, bei der die Bildung von Nitrosaminen möglich ist:

  • 1. Die Anwesenheit von Nitriten im Herstellprozess. Nitrite werden immer dann eingesetzt, wenn überschüssige Azide in Form von Azid­anionen oder Organoaziden oder auch Cyanide wie z.B. Natriumcyanid vom Reaktionsprodukt abzufangen sind. Cyanide werden oftmals zum Aufbau von Tetrazolylringen wie bei den Sartanen eingesetzt, oder dienen zur Einführung der Nitrilgruppe in Wirk­stoffen. Damit ist die potenzielle Klasse nicht nur auf die Sartane beschränkt, sondern umfasst theoretisch alle Wirkstoffklassen mit Tetrazolylringen bzw. Nitrilgruppen.
  • 2. Anwesenheit von sekundären Aminen im Herstellungsprozess. Sekundäre Amine werden entweder direkt als Synthesereagenzien eingesetzt oder sie bilden sich als Zersetzungsprodukte unter den Herstellbedingungen aus den verwendeten Reagenzien oder Lösungsmitteln. Dimethylamin kann zum Beispiel aus dem Lösungsmittel Dimethylformamid entstehen (siehe Wikipedia [2]). Außer­dem kann auch Diethylamin als Verunreinigung im selben Lösungsmittel enthalten sein, wie Analysenzertifikate von Herstellern des Lösungsmittels belegen.
  • 3. Sekundäre Amine und Nitrite müssen gemeinsam vorliegen. Eine Nitros­amin-Kontamination kann nur erfolgen, wenn während der Wirkstoffsynthese sowohl sekundäre Amine als auch Nitrite anwesend sind. Dies muss nicht notwendigerweise bei der finalen Synthesestufe erfolgen, sondern bestimmte Verunreinigungen können sich aus früheren Synthesestufen anreichern und in die nachfolgenden Schritte übertragen werden.

Somit ergeben sich sehr viele Möglichkeiten einer Nitros­amin-Bildung, die von sehr vielen Faktoren und individuellen Gegebenheiten wie Reagenzien und Lösungsmittel­qualität abhängen. Daher ist eine umfassende Analyse aller möglichen und denkbaren ­Verunreinigungen während der Herstellung eines Wirkstoffs auch in Zukunft sehr wichtig.

Sartan-Rückrufe zum Jahreswechsel

Ende 2018 erfolgten wegen erhöhter NDEA-Werte weitere Chargenrückrufe von Losartan-Präparaten der Firmen Hexal und 1A Pharma sowie von Irbesartan-Präparaten der Firma Puren Pharma (s. Wichtige Mitteilungen am Ende dieser Ausgabe auf S. 108).

NDIPA – das dritte Nitrosamin

Nach aktuellen Meldungen wurde nun auch eine weitere Nitrosamin-Verunreinigung in Sartanen nachgewiesen: N-Nitrosodiisopropylamin (NDIPA) [12], das ebenfalls als krebserzeugend eingestuft ist [13]. Da­raufhin wurde dem mexikanischen Hersteller Signa de C.V. das CEP-Zertifikat (CEP R0-CEP 2011-Rev 00/Valsartan) für die Valsartan-Herstellung entzogen. Auch hier kann die Bildung durch die Anwesenheit des entsprechenden sekundären Amins Diisopropylamin erklärt werden, das schon als Verunreinigung in einem der verwendeten Lösungsmittel vorliegen oder sich während des Herstellprozesses gebildet haben kann. Zwar sind keine Verfahrenspatente der Firma Signa de C.V. zur Valsartan-Herstellung bekannt, doch sind in der Patentliteratur Valsartan-Herstellverfahren beschrieben, bei denen Diisopropyl­ethylamin für die Abspaltung der Tritylschutzgruppe nach Bildung des Tetrazolylringes verwendet wird. Diese Base wird unter Rückflussbedingungen gemeinsam mit Acetonitril als Lösungsmittel eingesetzt. Unter höheren Temperaturen und bei langen Reaktionszeiten kann die Bildung von Diiso­propylamin möglich sein (Abb. 3) [15].

Abb. 3: Abspaltung der Tritylschutzgruppe mit Hilfe von Diisopropylethylamin im Rahmen der Valsartan-Herstellung.

Herausforderung Analytik

Zur Überprüfung von Nitrosamin-Verunreinigungen müssen aber auch sehr empfindliche analytische Verfahren entwickelt werden.

Zur Quantifizierung von NDMA-Spuren sind in der Literatur eine ganze Reihe von Methoden beschrieben [4]. Die „Official Medicines Control Laboratories” (OMCLs) des „General European OMCL Network” (GEON) [5] haben sich schnell organisiert, um verschiedene Methoden zur Bestimmung von NDMA- und NDEA-Spuren in Valsartan und anderen Sartanen zu entwickeln. Daran beteiligt waren das irische „Public Analyst’s Laboratory“ in Galway (PALG), das französische OMCL an der ANSM (Agence national de sécurité du médicament et de produits de santé) in Montpellier und das Chemische und Veterinär-Untersuchungsamt (CVUA) in Karlsruhe [5]. Es stehen nun folgende Methoden zur Verfügung:

  • Die PALG-Methode ist eine Head-Space-GC-MS (mit einem single-quad), die man als eine Weiterentwicklung der Nachweismethode von NDMA in Wasser betrachten kann. Sie setzt auf die leichte Verdampfbarkeit der Nitrosamine. Mit ihr kann das Nitrosamin sowohl im Wirkstoff als auch im Tablettenpulver nachgewiesen werden [7].
  • Im Gegensatz dazu ist die ANSM-Methode eine HPLC-Methode, die NDMA bei einer Wellenlänge von 228 nm im Sub-ppm-Bereich detektieren kann [8]. Auch mit dieser Methode kann NDMA im Wirkstoff und in der Tablette bestimmt werden.
  • Die CVUA-Methode bedient sich der UPLC mit APCI-MS/MS-Detektion. Mit ihr können simultan NDMA und NDEA in Valsartan-haltigen Arzneimitteln im Sub-ppm-Bereich quantifiziert werden [9].
  • Auf der Webseite der FDA finden sich zwei weitere GC/MS-Methoden, und zwar eine Head-Space-GC/MS [10] und eine GC/MS/MS-Methode mit direkter Injektion der Probe und Triple-Quad-Detektion [11]. Mit der letzteren Methode, die vielleicht die empfindlichste von allen ist, können NDEA und NDMA in Tabletten simultan quantifiziert werden.
  • Kürzlich wurde vom Swissmedic-OMCL noch ein Grenzwerttest mittels einer GC/MS-Methode beschrieben, die sich einer Flüssigkeitsdirektinjektion bedient. Mit ihr können NDMA und NDEA aus Tabletten analysiert werden [16].
Tab.: FDA-Übergangsgrenzwerte für NDMA und NDEA in Sartanen [14].
Sartan
maximale Sartan-Tagesdosis [mg/d]
tolerierte NDMA-Tagesdosis [ng/d]*
tolerierte NDMA-­Tagesdosis [ppm]**
tolerierte NDEA-Tagesdosis [ng/d]*
tolerierte NDEA-Tagesdosis [ppm]**
Valsartan
320
96
0,3
26,5
0,083
Losartan
100
96
0,96
26,5
0,27
Irbesartan
300
96
0,32
26,5
0,088
Azilsartan
80
96
1,2
26,5
0,33
Olmesartan
40
96
2,4
26,5
0,66
Eprosartan
800
96
0,12
26,5
0,033
Candesartan
32
96
3,0
26,5
0,83
Telmisartan
80
96
1,2
26,5
0,33

* Die tolerierte Tagesdosis (acceptable intake) gibt die Tagesexposition gegenüber eines Bestandteils wie NDMA oder NDEA wieder, nach der nach 70 Jahren Exposition mit einem Krebsrisiko von 1:100.000 zu rechnen ist.

** Diese Werte basieren auf der jeweiligen maximalen Sartan-Tagesdosis entsprechend der Fachinformationen.

Die ausgezeichnete und empfindliche Analytik gibt den Patienten in der Zukunft die Sicherheit, dass sie reine Sartane zu sich nehmen. Es wird spannend sein, welche Methode den Weg in das Europäische (PhEur) und welche in das Amerikanische Arzneibuch (USP) finden wird, um die Abwesenheit der Nitrosamine zu garantieren. Die FDA hat inzwischen Übergangsgrenzwerte für NDMA und NDEA in den Sartanen festgelegt (Tab.) [14]. |

Literatur

[1] https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2018/12/13/nitrosamin-verunreinigungen-fda-befuerchet-noch-groesseres-ausmass-am-standort-chuannan/chapter:3 (12.12.2018 abgerufen)

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Dimethylformamid (12.12.2018 abgerufen)

[3] Abdel-Tawab M, Gröner R, Wübert J. ZL gibt Entwarnung. Pharm. Ztg. 163: 3270-3273 (2018)

[4] Parr MK, Joseph JF. NDMA impurity in valsartan and other pharmaceutical products: Analytical methods for the determination of N-nitrosamines. J Pharm Biomed Anal. 164:536-549 (2018).

[5] https://www.edqm.eu/en/ad-hoc-projects-omcl-network (abgerufen am 16.12.2018)

[6] https://www.edqm.eu/en/news/update-detection-nitrosamines-valsartan-and-validated-testing-method (abgerufen am 16.12.2018)

[7] https://www.edqm.eu/sites/default/files/factsheet_-_determination_of_ndma_hs_gc_mc_method_3_30_issie_no_1_1_-_october_2018.pdf (abgerufen am 16.12.2018)

[8] https://www.edqm.eu/sites/default/files/omcl-method-determina­tion-ndma-valsartan-ansm-september2018.pdf (abgerufen am 16.12.2018)

[9] https://www.edqm.eu/sites/default/files/omcl-method-determina­tion-ndma-valsartan-cvua-september2018.pdf (abgerufen am 16.12.2018)

[10] https://www.fda.gov/downloads/Drugs/DrugSafety/UCM618053.pdf (abgerufen am 16.12.2018)

[11] https://www.fda.gov/downloads/Drugs/DrugSafety/UCM623578.pdf (abgerufen am 16.12.2018)

[12] Update on the review of CEP applications for sartans: https://www.edqm.eu/en/news/update-review-cep-applications-sartans-0

[13] TRGS 552 (Fassung vom 31.10.2018), Bundesamt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (www.baua.de); http://gaa.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/16495/5_552.pdf

[14] FDA proposes limits on ‘sartan’ nitrosamine impurities; https://www.pharmacompass.com/radio-compass-blog/fda-proposes-limits-on-sartan-nitrosamine-impurities-text-messages-add-new-twist-to-us-generic-price-fixing-litigation

[15] CZ 29847, N-[(2‘-(1H-tetrazol-5-yl)biphenyl-4-yl)methyl]-(L)-valine benzyl ester salts and their use for preparing valsartan (10.10.2007)

[16] https://www.edqm.eu/sites/default/files/31_pv_163_nitrosamine_in_sartans_en_draft_swissmedic_v2.pdf

Autoren

Dr. Helmut Buschmann hat in Aachen Chemie studiert. Nach Stationen bei Grünenthal und Esteve ist er Leiter der Chemie und Pharmazeutischen Entwicklung bei AiCuris in Wuppertal und Mitinhaber der Research, Development & Consultancy GmbH in Wien.

Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe hat Chemie und Pharmazie studiert und ist seit 1999 Lehrstuhlinhaberin für Pharmazeutische und Medizinische Chemie in Würzburg.

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