Wirtschaft

Immer trübere Aussichten

Apothekenklima-Index 2019 – Lieferengpässe nur ein Stressfaktor von vielen

DÜSSELDORF (eda) | Über zwei auffällige Merkmale verfügt der von der ABDA seit 2016 ermittelte Apothekenklima-Index in jedem Jahr: Die Bürokratie steht immer auf Platz eins der größten Ärgernisse im Berufsalltag der Offizinapotheker und die Stimmung wird insgesamt immer schlechter. Doch 2019 hat sich die Lage angesichts der Lieferengpässe und des Kabinettsentwurfs für ein „Apothekenstärkungsgesetz“ zugespitzt. Was den Selbstständigen nach wie vor fehlt, sind Planungs­sicherheit und Personal bzw. Nachfolger für die Apothekenübergabe.

500 Apothekeninhaber wurden im vergangenen Juli von Marpinion im Auftrag der ABDA repräsentativ befragt. Es geht um die Beschäftigung, Nachwuchsgewinnung, wirtschaftliche Erwartungen, Motivatoren und Ärgernisse. In diesem Jahr neu hinzugekommen und evaluiert: Lieferengpässe, pharmazeutische Dienstleistungen und E-Rezept. Oberste Priorität beim Apothekenklima-Index hat die Vergleichbarkeit mit den Vorjahren 2016, 2017 und 2018. Bei der Pressekonferenz am Dienstag vor der Eröffnung des Deutschen Apothekertages werden die Umfrageergebnisse immer vorgestellt. In diesem Jahr war es ABDA-Vizepräsident Mathias Arnold, der die wirtschaftlichen Erwartungen der Branche für die nächsten zwei bis drei Jahre mit den Worten zusammenfasste: „Das ist ein relativ hartes Bild.“ Mit Blick auf die eigene Apotheke hätten die teilnehmenden Inhaber nicht viel anders abgestimmt. 79,8 Prozent der Inhaber sehen die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung bei den Apotheken „etwas“ bis „deutlich“ schlecht. Für nur weniger als fünf Prozent geht der Trend in die andere Richtung. Mit Blick auf den eigenen Betrieb erwartete dagegen immerhin jeder fünfte Inhaber (18,8%) eine bessere Lage. Doch auch hier befürchtet fast jeder zweite Selbstständige eine Verschlechterung seiner Betriebssituation.

Foto: AZ/A. Schelbert

Dr. Mathias Arnold stellte den Apothekenklima-Index 2019 vor.

Investitionen und Personalsituation

Diese Stimmung wirkt sich auch auf die Investitionen aus. Mehr als 40 Prozent planen für die nächsten Jahre keine Investitionen mehr, rund ein Drittel führt immerhin noch notwendige Verbesserungen und Erweiterungen in der EDV durch. Arnold weist in diesem Zusammenhang auf die sich verändernden politischen Rahmenbedingungen hin. E-Rezept und Medikationsplan erfordern existenziell notwendige Investitionen. Doch grundlegende unternehmerische Entscheidungen, wie die Übernahme oder Eröffnung einer Filialapotheke, kommt nur für 6,4 Prozent der Inhaber derzeit infrage.

Die Apotheken in Deutschland bieten Arbeitsplätze für 159.141 Menschen (Stand 2018), der Frauenanteil beträgt 89,2 Prozent. Mehr als die Hälfte der Apothekeninhaber ist auf der Suche nach neuem Personal und würde dies auch direkt einstellen. Seit 2018 hat sich dieser Trend um 10,5 Prozentpunkte auf 53,2 Prozent gesteigert. Die ABDA schließt aus den Zahlen, dass sich der unerfüllte Personalbedarf aus den Vorjahren akkumuliert hat. Stellen bleiben durchschnittlich 143 Tage offen. Dementsprechend sind geplante Entlassungen in den nächsten Jahren eher selten. Für neun von zehn Inhabern kommt dies nicht infrage. Damit sind Jobs in Apotheken recht sicher. Auch bei der Umwandlung von Vollzeit- bzw. Teilzeitstellen hat sich keine dramatische Veränderung ergeben. Nur 16,6 Prozent der Apothekeninhaber planen, mindestens eine Stellenumwandlung vorzunehmen.

Die Ausbildungs- und Bewerber­situation wird in den Apotheken insgesamt pessimistisch gesehen. Jede zweite Apotheke bildet derzeit aus und während bei den Pharmazeuten im Praktikum, den PTA und den weiteren Ausbildungen (z. B. Schülerpraktikanten) der Trend nach oben geht, werden im Vergleich zu 2018 deutlich weniger PKA ausgebildet (2018: 21,5%, 2019: 15,4%). Bei den Bewerbungen rechnen fast drei Viertel der Apotheken mit höchstens einem Bewerber. Nur knapp 25 Prozent rechnet mit zwei oder mehr approbierten Bewerbern. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den PTA und PKA: Die Hälfte der Inhaber erwartet maximal einen PTA-Bewerber. 41,6 Prozent erwarten einen PKA-Bewerber. Mehr als fünf Bewerber bei den PTA bzw. PKA erwarten nur 6 bzw. 8,4 Prozent der Selbstständigen.

Mit wie vielen ernsthaften Interessenten für eine Nachfolge rechnen Apothekeninhaber in den nächsten zwei bis drei Jahren? Auch die Antwort auf diese Frage zeigt im Vergleich zum Vorjahr, dass die Erwartungshaltung pessimistischer ausfällt. Weniger als die Hälfte der Inhaber rechnet mit maximal einem potenziellen Nachfolger. Immerhin 55,2 Prozent gehen von mehr als zwei Interessenten aus, 2018 waren es noch 62,8 Prozent.

Motivatoren und Stressfaktoren

Der größte Motivator im Berufsalltag der öffentlichen Apotheken ist nach wie vor der persönliche Kontakt zu den Patienten (2019: 83,4%, 2018: 77,7%), auf Platz zwei und drei liegen die Selbstständigkeit (70,2%) und das Teamwork (63,6%).

Spitzenreiter unter den Stress­faktoren ist unangefochten die Bürokratie (92,6%), 2019 erstmalig gefolgt von den Lieferengpässen (91,2%). Eine Ursache für das Ärgernis ist der Mehraufwand bei der Arbeitszeit. 62,2 Prozent der Inhaber beziffern diesen auf 10 Prozent und mehr.

Bei den Stressfaktoren fallen auch zwei weitere Aspekte auf: Mit Einführung des neuen Rahmenvertrags im vergangenen Juli haben die Rabattverträge und die Importquote immens an Bedeutung gewonnen. Deren Ranking bei den Stressfaktoren hat daher enorm zugenommen. Die Umsetzung der Rabattverträge liegt aktuell bei 59,0 Prozent (2018: 34,8%) und die Erfüllung der Importquote bei 41,0 Prozent (2018: 8,0%).

Wie schätzen die Apothekenin­haber die aktuelle standespolitische Lage ein (siehe Tabelle 1)? Für am wichtigsten halten die ­Befragten Planungssicherheit (90,0%), gefolgt von besseren Rahmenbedingungen (79,4%) und ­weniger Bürokratie (72,2%). Nicht explizit abgefragt wurde das Rx-Versandverbot als ordnungspolitische Maßnahme.

Tab. 1: Welche gesundheitspolitischen Themen halten Apotheken­inhaber in den kommenden Jahren für wichtig?
Total 2016
Total 2017
Total 2018
Total 2019
Basis (100%)
500
500
500
500
Planungssicherheit (d. h. ­stabile rechtliche Rahmenbedingungen wie z. B. den Erhalt der Arzneimittelpreisverordnung)
368
73,6
418
83,7%
432
86,4%
450
90,0%
stabile bzw. bessere ­wirtschaftliche Rahmenbedingungen
378
75,6%
361
72,1%
370
74,0%
397
79,4%
Bürokratieabbau
335
67,1%
339
67,8%
354
70,7%
361
72,2%
Nachwuchsgewinnung
202
40,5%
190
38,0%
236
47,3%
179
35,8%
Einführung des Medikationsmanagements und anderer honorierter pharmazeutischer Dienstleistungen
142
28,3%
146
29,2%
121
24,3%
178
35,6%
bessere Zusammenarbeit mit Krankenkassen
135
27,0%
118
23,7%
89
17,8%
174
34,8%
bessere Zusammenarbeit mit Ärzten
112
22,3%
120
24,0%
89
17,9%
133
26,6%
mehr Freiräume in der ­Patientenversorgung
124
24,7%
116
23,2%
97
19,5%
128
25,6%
andere als die genannten Themen
8
1,8%
7
1,3%
14
2,8%
25
5,0%
Summe
Summe %
1804
360,8%
1815
363,0%
1803
360,7%
2025
405,0%

Planungssicherheit wichtiger als Dienstleistungen

Zugleich wird deutlich, dass sich die Meinung der Befragten nur bedingt mit den standespolitischen Zielen der ABDA deckt: Nur ein Drittel sieht die gesundheitspolitische Zukunft in honorierten, pharmazeutischen Dienstleistungen (zum Beispiel Medikationsmanagement). Damit weist der Apothekenklima-Index darauf hin, dass die Mehrheit der Apotheker kein Vertrauen in das aktuelle Gesetzgebungsverfahren zum Apothekenstärkungsgesetz hat und sich von der ABDA-Strategie – der konstruktiven Begleitung – absetzt. Mathias Arnold erklärt die Diskrepanz damit, dass Planungssicherheit immer das Ziel und der Wunsch wäre. Als ein Weg dorthin könnten die pharmazeutischen Dienstleistungen angesehen werden.

Wenn es denn zu einer geregelten Vergütung pharmazeutischer Dienstleistungen käme – so eine Detailfrage –, würden 81,6 Prozent der Inhaber eine Medikationsanalyse beziehungsweise ein Medikationsmanagement anbieten wollen, gefolgt von Bluthochdruck- und Diabetes-Screening. Nur ein Drittel votiert für die Grippeschutzimpfung.

Durch die Einführung des E-Rezeptes befürchten vier von fünf Inhabern (81,8%) mehr Versandhandel, 49,4 Prozent weniger Stammkunden und 46,8 Prozent mehr Wettbewerb (siehe dazu auch Tabelle 2).

Tab. 2: Welche Erwartungen ­haben Apothekeninhaber in ­Bezug auf die Einführung des ­E-Rezeptes?
Total 2019
Basis (100%)
500
mehr Versand­handel bei Arzneimitteln
409
81,8%
weniger Stammkundenbindung
247
49,4%
härterer Wett­bewerb unter ­Offizinapotheken
234
46,8%
schnellerer und komfortablerer Arzneimittelbezug für Patienten
134
26,8%
weniger Rezept­fälschungen
116
23,2%
weniger Arzt­rücksprachen
92
18,4%
weniger Retaxationen von den Krankenkassen
75
15,0%
keine der genannten Erwartungen
25
5,0%
Summe
Summe %
1332
266,4%

Als Handlungsbedarf schließt die ABDA aus der Umfrage, dass das Reformpaket zwar korrekturbedürftig, aber unter keinen Umständen zu Fall gebracht werden dürfe. Es müsse vielmehr modifiziert und zügig verabschiedet werden. |

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