Wirtschaft

Einsparinstrumente wirken, aber ...

Die Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reports finden die Entwicklungen im Arzneimittelmarkt weiterhin gefährlich

BERLIN (ks) | Die GKV-Arzneimittelausgaben sind 2018 zwar nur moderat gestiegen – das hält die Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reports (AVR) aber auch im 35. Erscheinungsjahr nicht davon ab, ungenutzte Einspar­potenziale und alarmierende Entwicklungen zu beschwören.

Seit Jahren kommt der vom Wissenschaftlichen Institut der AOK mitherausgegebene Report zu dem Schluss, dass man sich vor allem bei den patentgeschützten Arzneimitteln Sorgen machen muss. Das sieht AVR-Herausgeber Prof. em. Dr. Ulrich Schwabe auch in diesem Jahr nicht anders. Dabei wirkt die Entwicklung auf den ersten Blick gar nicht so erschreckend: 2018 wuchsen die GKV-Arzneimittelausgaben um 3,2% auf 41,2 Milliarden Euro. Weil auch die Zahl der Versicherten stieg, ist das Plus noch geringer (2,3%), wenn man es je Versicherten berechnet. Schwabe räumte bei der AVR-Vorstellung am 24. September in Berlin ein: „Das ist nicht viel mehr als die Inflationsrate.“

Wirken die vielfältigen Kostendämpfungsmaßnahmen im Arzneimittelsektor also? Offensichtlich ja. Vor allem die Festbeträge entlasten die Kassen zuverlässig – um 8,2 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. An zweiter Stelle stehen die Rabattverträge zwischen Krankenkassen und pharmazeutischen Unternehmen, die rund 4,5 Milliarden sparten. Beide Maßnahmen betreffen vor allem den Generikamarkt. Im Bereich der patentgeschützten Arzneimittel wirkt das AMNOG-Verfahren, also die frühe Nutzenbewertung mitsamt Erstattungsbeträgen. Das brachte laut Schwabe 2018 Einsparungen von 2,65 Milliarden Euro – das sind 900 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. „Das war auch dringend nötig“, betonte Schwabe. Denn Deutschland leiste sich nach wie vor den Luxus der freien Preisbildung von neuen Patent­arzneimitteln im ersten Jahr nach der Marktzulassung.

Kostenanteil patentgeschützter Arzneien fast 50%

In den vergangenen 20 Jahren hat sich laut Schwabe der Kostenanteil patentgeschützter Präparate an den GKV-Gesamtarzneimittelausgaben von 33 auf nunmehr 47% erhöht. Von 30 Arzneimitteln, die 2018 die Nutzenbewertung durchliefen, kosten nur zwei weniger als 2500 Euro pro Jahr (zum Vergleich: Ein Generikum schlägt im Schnitt mit 128 Euro im Jahr zu Buche).

Zudem ärgert sich Schwabe, dass vermeintliche Innovationen eingesetzt werden, obwohl ältere Arzneimittel noch immer der Goldstandard sind. So appellierte er dringend an die Ärzte, die Finger von dem Opioidanalgetikum Oxycodon zu lassen – das Arzneimittel, das wegen seines Suchtpotenzials seit geraumer Zeit für erschreckende Schlagzeilen in den USA sorgt. „Kehren Sie zurück zu Morphin, das ist evidenzbasierte Medizin!“ In der aktuellen Europäischen Leitlinie für Krebsbehandlungen werde Morphin weiterhin als Opioid der ersten Wahl bei schweren Tumorschmerzen empfohlen. Noch schlimmer sieht es laut Schwabe aber bei den Nicht­opioidanalgetika aus: Hierzulande werde fast nur noch Metamizol verordnet. Dabei sei Metamizol in vielen Ländern wegen tödlicher Agranulozytosen verboten oder nie zugelassen.

Kritische Orphan Drugs

Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Onkologe, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) und ebenfalls AVR-Herausgeber, kritisierte überdies die seit einiger Zeit zu beobachtende Entwicklung bei Orphan Drugs. Herstellern werden Anreize gesetzt, Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen zu entwickeln: Zehn Jahre Marktexklusivität etwa. Als die Regelung eingeführt wurde, war dies sicher ein wichtiger Anschub – aber heute müsse man sich fragen, ob die Anreize noch stimmen. Denn die Umsätze wachsen enorm, 2018 lag der Anteil der Orphan Drugs am GKV-Arzneimittelmarkt bei 8,9% – dabei, so Ludwig, liege ihr Verordnungsanteil nur bei 0,05%.

Besonders kritisch ist aus Sicht des Mediziners, dass Orphan-Zulassungen oft auf einer wackeligen Studienlage beruhen: „Patienten sind hier mitunter erheblichen Unsicherheiten ausgesetzt.“ Das findet Ludwig auch mit Blick auf die beschleunigten Zulassungen für Arzneimittel. Hier müsse es dringend unabhängige Post-Marketing-Studien geben, fordert Ludwig. |

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