Wirtschaft

Bayer kommt nicht aus der Krise

1,8 Mrd. Euro Schadensersatz wegen Glyphosat / Geheime Listen mit Kritikern von Monsanto

cha/dpa | Bayer muss in den USA erneut eine juristische Nieder­lage einstecken. Nach dem Urteil eines kalifornischen Gerichts soll der Leverkusener Konzern 1,8 Milliarden Euro Schadensersatz wegen seines Unkraut­vernichters Glyphosat bezahlen. Zudem wurde nun bekannt, dass Monsanto vor der Über­nahme durch Bayer kritische Politiker, Wissenschaftler und Journalisten systematisch überwachen und bewerten ließ.

Nach bereits zwei verlorenen Prozessen um Krebsrisiken des Unkrautvernichters Glyphosat der Bayer-Tochter Monsanto hatten Beobachter zwar auch im dritten Prozess mit einer Niederlage gerechnet. Nicht jedoch mit dem Ausmaß des Denkzettels: Die Geschworenen-Jury des zuständigen Gerichts im kalifornischen Oakland verurteilte Bayer am vergangenen Montag, Schadensersatz in Höhe von insgesamt über zwei Milliarden US-Dollar (1,78 Mrd. Euro) an das klagende Rentnerehepaar zu zahlen.

Der größte Teil der Zahlung entfällt auf den sogenannten Strafschadensersatz, wofür es im deutschen Recht keine Entsprechung gibt. Diese im amerikanischen Recht oft zum Einsatz kommenden „Punitive Damages“ sind eine Strafzahlung, die einem Kläger über den erlittenen tatsächlichen Schaden hinaus zuerkannt wird. Der eigentliche Schadensersatz liegt bei 55 Millionen Dollar. Die Geschworenen wollten offenbar damit ein deutliches Signal senden, auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass der Strafschadensersatz in dieser Höhe Bestand haben wird. Der Klägeranwalt hatte bei seiner Forderung auf die mit Glyphosat erzielten Gewinne verwiesen. Bayer beharrt auf der Sicherheit von Glyphosat und will in Berufung gehen.

Im ersten Prozess hatte eine Jury Bayer vergangenen August zunächst zu 289 Millionen Dollar an Schmerzensgeld und Entschädigung verdonnert, diese Summe wurde von der Richterin später auf rund 78 Millionen Dollar reduziert. Im Ende März verlorenen zweiten Prozess steht eine ähnlich hohe Summe im Raum.

Damals wie heute betonte Bayer, die Urteile stünden in direktem Widerspruch zu vielen Studien zur Sicherheit von Glyphosat. Und in der Tat hatte die US-Umweltbehörde EPA den Unkrautvernichter Glyphosat erst Anfang Mai weiterhin als nicht krebs­erregend eingestuft.

Ob der glyphosatbasierte Verkaufsschlager Roundup Krebs verursacht, bleibt indes umstritten. So fußt die Klagewelle in den USA im Grunde auf einer Einschätzung der Internationalen Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die den Unkrautvernichter 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ für Menschen einstufte.

Insgesamt sind in den USA noch mehr als 13.000 Prozesse gegen Bayer wegen Glyphosat anhängig. Dabei hofft man in Leverkusen, dass die in den nächsten Instanzen zuständigen Berufsrichter größeres Augenmerk auf die immer wieder zitierten Studien zur Sicherheit von Glyphosat richten. Die Berufungsverfahren können sich aber sehr lange hinziehen, im laufenden Jahr wird voraussichtlich keine Entscheidung mehr fallen.

Unternehmenswert ist dramatisch gesunken

Die Klagewelle hat dramatische Auswirkungen auf den Kurs der Bayer-Aktie: An der Börse bringt es der Konzern auf gerade einmal noch rund 50 Milliarden Euro Unternehmenswert. Zum Vergleich: Für Monsanto legten die Leverkusener 63 Milliarden Dollar oder zum aktuellen Wechselkurs rund 56 Milliarden Euro auf den Tisch. Der Hauptvorwurf richtet sich dabei gegen den Vorstandsvorsitzenden Werner Baumann: Er habe die Klagerisiken unterschätzt. So äußerte Klägeranwalt Michael Miller laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Bayer hat die Katze im Sack gekauft.“ Je näher der Vollzug der Akquisition gerückt sei, umso klarer sei geworden, wie bedrohlich die Rechtsstreitigkeiten werden könnten.

Foto: Bayer AG
Werner Baumann: Hat er die Risiken der Monsanto-Übernahme unterschätzt?

Die Aktionäre sehen das wohl genauso: Auf der Hauptversammlung Ende April verweigerten sie Baumann sogar die Entlastung – ein einmaliges Ereignis für einen amtierenden Chef eines Dax-Konzerns. Zumindest vorerst hält der Aufsichtsrat dennoch an Baumann fest, aber der Druck wächst.

Doch außer den Schadensersatzprozessen macht der teure Neu­erwerb auch an anderer Stelle Probleme: Bayer teilte am vergangenen Montag mit, dass Monsanto wahrscheinlich seit Mitte des Jahrzehnts europaweit Listen mit Namen von Unterstützern und Kritikern habe erstellen lassen.

In Frankreich laufen deshalb bereits Vorermittlungen wegen der illegalen Erfassung privater Daten. Auf den geheimen Listen sollen rund 200 Namen von Wissenschaftlern, Journalisten und Politikern zu finden sein, darunter beispielsweise der von Ségolène Royal, Ex-Umweltministerin und Gegnerin des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat.

Kritiker-Listen wahrscheinlich auch in Deutschland

Doch ist der Fall in Frankreich wohl nur die Spitze des Eisbergs. Am Montag teilte der Leiter der Abteilung Public Affairs und Nachhaltigkeit bei Bayer, der ehemalige Grünen-Politiker Matthias Berninger, mit, es sei sehr wahrscheinlich, dass auch in Deutschland und in anderen europäischen Staaten derartige Listen erstellt worden seien. Denn der Vertrag mit der beteiligten Kommunikationsagentur FleishmanHillard habe sich auf ganz Europa erstreckt.

Berninger betonte, nach allem, was er bisher gehört habe, halte er das Vorgehen von Monsanto für komplett unangemessen. Der Konzern habe 2015 und in den Jahren danach versucht, seine Geschäftsinteressen in Europa mit Praktiken durchzusetzen, die eher in den USA üblich seien als auf dem alten Kontinent. Es gebe eine ganze Reihe von Beispielen, „wo – um in der Fußballsprache zu sprechen – man nicht den Ball gespielt hat, sondern eher auf den Mann ge­gangen ist oder auf die Frau“, ­sagte Berninger. Ein solcher ­Umgang mit Journalisten, mit ­Politikern und Aktivisten sei nicht in Ordnung. Bayer entschuldigte sich deshalb.

Um den Fall aufzuklären, will der Leverkusener Konzern eine externe Anwaltskanzlei mit der Aufarbeitung und Bewertung der Vorwürfe beauftragen. Es gebe derzeit keine Hinweise, dass gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen worden sei, doch seien viele Fragen derzeit noch offen, betonte Berninger. Es könne sich bei der Angelegenheit auch um einen „Sturm im Wasserglas“ handeln. „Aber wir wollen nicht ausschließen, dass es das nicht war.“ |

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