Gesundheitspolitik

Mehr Liefersicherheit bei Rabattverträgen

BERLIN (ks) | Die Industrie ist sicher: Rabattverträge in ihrer jetzigen Form begünstigen Engpässe. Sie fordert daher Anpassungen. Die Kassenseite hält davon wenig.

Lieferengpässe bei Arzneimitteln können unterschiedliche Ursachen haben. Das macht eine einfache Lösung für dieses Problem so schwierig. Die Hersteller sehen jedoch bei den Rabattverträgen einen griffigen Ansatzpunkt. So auch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI), der am 20. März ein juristisches Gutachten zur zehnjährigen Geschichte der Arzneimittel-Rabattverträge vorgestellt hat. Zur Bestandsaufnahme der Gutachter gehört die Feststellung, dass es im rabattvertrags­geregelten Markt immer wieder zu Liefer- wenn nicht sogar zu Versorgungsengpässen komme. Der Preisdruck zwinge die Hersteller zur Produktion in Niedriglohn­ländern, zugleich schwinde die Anbietervielfalt, während die Abhängigkeit von wenigen (Wirkstoff-)Herstellern steige. Die Folge: Fällt ein Hersteller aus, wird es schwierig mit der Kompensation durch andere Unternehmen.

Um dem entgegenzusteuern, setzt das BPI-Gutachten auf drei Lösungsansätze: Unter den Bezuschlagten müsse sich mindestens ein Anbieter mit europäischer Produktionsstätte befinden, für versorgungsrelevante Wirkstoffe, die von weniger als vier Herstellern angeboten werden, dürfe es gar keine Rabattverträge geben und grundsätzlich müsse eine Mehrfachvergabe erfolgen (mindestens drei Zuschlagsempfänger).

BPI: Krankenkassen in der Verantwortung

„Die Krankenkassen stehen in der Verantwortung“, sagt der BPI-Vorsitzende Dr. Martin Zentgraf. Sie hätten nach dem Sozialgesetzbuch V schließlich eine „ausreichende“ und damit auch eine zeitgerechte Versorgung sicherzustellen. Eine Kostenexplosion fürchtet Zentgraf durch eine solche Umstellung nicht. Laut Gutachten stehen auf der BfArM-Liste der versorgungsrelevanten Wirkstoffe derzeit lediglich 55, die von drei oder weniger Unternehmen angeboten werden. Nach Rechnung der Gutachter ginge den Kassen bei der Umsetzung eines Rabattvertragsverbots für diese Wirkstoffe eine Rabattsumme von rund 156 Millionen Euro verloren. „Das ist ein relativ geringer Preis für mehr Versorgungssicherheit“, sagt Zentgraf.

Ungehört bleiben die Forderungen in der Politik nicht. Erst kürzlich hat der Bundesrat in seinen Empfehlungen zum Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung eine Nachjustierung bei den Rabattverträgen gefordert. In diesen Verträgen seien „europäische Produktionsstandorte und die Vielfalt der Anbieter durch Mehrfachvergabe zu berücksich­tigen, um die bedarfsgerechte Versorgung der Versicherten zu gewährleisten“.

AOK-BaWü widerspricht

Dr. Christopher Hermann, Vorstandschef der AOK Baden-Württemberg, trat der Kritik entgegen: Schon 2017 habe man gezeigt, dass Apotheker bei lediglich 0,6 Prozent aller zulasten der GKV abgerechneten Arzneimittel ein Lieferversagen der Pharmaindustrie dokumentieren und ein austauschbares Arzneimittel abgeben mussten. Aus Hermanns Sicht helfen Rabattverträge sogar, weil nur hier Lieferengpässe ausgewiesen werden müssten. Bei den in dieser Saison aufgetretenen Lieferproblemen bei Grippeimpfstoffen zeige sich, was passiere, wenn Rabattverträge abgeschafft werden, sagt der Kassenschef: Niemand habe mit Sicherheit sagen können, welche Mengen an Impfstoffen vorrätig sind. Für vorgeschoben hält Hermann auch die Forderung nach EU-Produktionsstätten. Die Pharmaindustrie denke nämlich nur daran, den letzten Fertigungsschritt nach Europa zu verlagern – keinesfalls aber den ganzen Herstellungsprozess. |

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