Management

Die Krux mit den Internetplattformen

Warum sie Fluch und Segen zugleich sein können

15 Jahre nach Zulassung des Arzneimittelversandhandels, der mittlerweile bei OTC-Produkten Marktanteile um die 20 Prozent zu Apothekenlistenpreisen erreicht, beginnen wirklich ernsthafte Aktivitäten zur Schaffung berufsständischer Internetplattformen. Die jüngsten Vorstöße der Noweda oder vom Wort & Bild Verlag in Kooperation mit anderen bedeutsamen Teilhabern sind hier besonders hervorzuheben. Wie sollten sich die stationären Offizinapotheken dem Thema Internetplattform nähern?

Die „Plattformökonomie“ ist eine der zentralen Säulen des Internets. Angeführt von der Suchmaschinenplattform Google, welche die bedeutendste „Spinne im Netz“ ist, haben sich in den letzten 20 Jahren Internetwirtschaft Big Player wie Amazon oder Alibaba auf Handelsebene entwickelt. Daneben gibt es eine Reihe durchaus erfolgreicher Spezialportale in entsprechenden Nischen. Auch in unserer Branche mangelt es nicht an Angeboten und diversen „Geh­versuchen“ (Abb. 1). Alles in allem wurde jedoch unser hiesiger Arzneimittelmarkt in den 15 Jahren des Onlinehandels viel zu sehr den bekannten Versendern überlassen. Dort hat eine gewaltige Konzentrationswelle eingesetzt, gemäß der in der Internetwirtschaft gültigen Maxime: „The winner takes it all.“ Damit sind entscheidende Ecksteine für den Kunden gesetzt. Dagegen anzukommen, wird eine große Herausforderung, wenn überhaupt noch möglich.

Abb. 1: Umgeben von mächtigen Plattformen und Preissuchmaschinen ver­suchen branchenspezifische Lösungen diverser Anbieter und Interessenlagen Fuß zu fassen – der Markt ist in Bewegung, doch sind bzw. werden das nur blumige Wolken oder durchschlagende Konzepte? (Auswahl an Anbietern)

Den Weg des Kunden verstehen

Um überhaupt noch ins Geschäft via Internet zu kommen, muss man den virtuellen Weg eines Kunden verstehen, welcher nach einem Produkt sucht. Wo tut er das? Und welche Resultate erhält er? Am einfachsten gibt er seinen Wunsch in die Google-Suchmaschine ein – und wird in der Regel bereits reichlich „belohnt“. Damit sind wir bei dem sehr komplexen Thema: „Wie erscheine ich bei Google auf der ersten Ergebnisseite, am besten ganz oben?“ Das füllt ganze Expertenseminare – und wird wieder nur eine ganz kleine Zahl an Gewinnern hervorbringen.

Manch Kunde wird etwas cleverer vorgehen und erst einmal die Begriffe „Preissuchmaschine Arzneimittel“ in Google und Co. eingeben. Dann erscheinen allerlei Preisvergleichsportale. Damit sind wir bei der entscheidenden Frage: Lohnt es, sich an ein solches noch recht unverbind­liches Vergleichsportal oder im Extremfall an eine Art „Internet-Handelsmakler“ (inklusive umsatzab­hängigen Provisionen etc., bekanntestes Beispiel Amazon) anzuhängen?

Die Krux bei all diesen Konzepten: Der Kunde muss wissen, dass Sie nunmehr auch über diese neuen Kanäle ansprechbar sind. Obige Plattformen können Ihre Apotheke dann in ein besseres „Internet-Licht“ rücken. Damit dies gelingt, muss der Name der Plattform aber breit bekannt gemacht werden – bereits die erste große Herausforderung. Wir hatten den üblichen Kunden-Suchweg ja oben bereits skizziert. Nehmen wir optimistisch an, eine Plattform wie z. B. demnächst diejenige von unseren genossenschaftlichen Großhändlern erreicht tatsächlich einen hohen Bekanntheitsgrad und zusätzlich finden die ent­sprechenden Apps den Weg auf die Rechner und Smartphones (eine weitere Hürde!): Was entscheidet dann darüber, dass der Kunde bevorzugt Ihre Apotheke aufscheinen sieht, wenn er eine Suchanfrage stellt? Die gängigen Optionen:

  • Die räumliche Nähe: wie wird diese ermittelt? Beispielsweise durch Standortdaten des Kunden, sofern verfügbar?
  • Der günstigste Preis für gesuchte Produkte: das ist für die stationäre Offizinapotheke ein sehr kritisches Auswahlkriterium, denn hier stehen Sie in Konkurrenz schlimmstenfalls auch zu den Versendern, wenn diese mit gelistet sein sollten. Es droht ein „race to the bottom“! Diese Konkurrenz zu Versendern ist allerdings ausdrücklich ausgeschlossen bei den oben genannten Plattformen mit großer Affinität zu den Vor-Ort-Apotheken.
  • Schlagworte und besondere Leistungen, z. B. der Spezialist für TCM, Naturheilpräparate, spezielle Erkrankungen etc. im Rahmen des gesetzlich Erlaubten.

Entscheidend ist hier die entsprechende Suchmaske für den Kunden mit weiteren Filteroptionen. Manche Portale bieten eine Vielzahl von Suchfiltern an, bisweilen so viele, dass es unübersichtlich wird und sich der Benutzer rasch „totfiltert“, sprich keine verwertbaren Suchresultate mehr erhält.

Sie sollten an dieser Stelle bereits erkennen, dass es sich bei der Plattformökonomie um einen vielstufigen, jeweils stark einschränkenden Prozess handelt, bevor ein Interessent überhaupt Ihre Apotheke angezeigt bekommt (Abb. 2).

Abb. 2: Vom Kunden am Bildschirm bis zu Ihrer Apotheke ist es zeitlich ein ganz kurzer, prozesstechnisch jedoch ein vielstufiger Vorgang mit oftmals erschreckend geringer „Trefferwahrscheinlichkeit“.

Operative Voraussetzungen

Internetplattformen erhöhen Ihre Reichweite ungemein, und das kann Fluch und Segen zugleich sein. Wenn Bestellungen über Ihr übliches Einzugs- und Liefergebiet hinaus eintrudeln, sind Sie mittendrin im Versandhandelsthema. Können Sie das operativ überhaupt bewältigen? Was bedeuten erhebliche zusätzliche Auslieferungen (in welchem Radius?), was heißt für Sie womöglich Päckchen packen (Versandhandelserlaubnis vorausgesetzt)? Regelhaft ist der Versand (bzw. eine Auslieferung) erheblich teurer, als wenn der Kunde zu Ihnen in die Apotheke kommt. Erst recht unangenehm wird es, wenn Sie Ihre Sonderangebote verschicken müssen. Warum machen die Versender wohl immer noch Verluste? Überlegen Sie sich also sehr genau, was Sie durch die Teilnahme an einer Plattform überhaupt erreichen wollen und was möglicherweise auf Sie zukommt. Der Idealfall „Click & Collect“ (Vorbestellsystem = im Netz bestellen, im Laden abholen) kann als Option funktionieren, befriedigt aber mitnichten alle Kundenwünsche im Netz.

Bedenken Sie bitte auch: Das Netz ist schnell, und der Kunde ist ruckzuck bei einem anderen Anbieter. Sie müssen also alle Bestellungen und Anfragen sehr zeitnah bearbeiten. Nicht jede Apotheke ist auf eine solche neue Taktung eingestellt. Da ist manch einer froh, wenn es gar nicht so erfolgreich läuft und bestenfalls ein Nebenbei-Geschäft bleibt …

Verlieren Sie nicht Ihre eigentlichen Zielgruppen aus dem Auge. Wenn Sie in Entenhausen sitzen, würden Sie sicher gerne Ihre Kunden in diesem Entenhausen noch besser binden und vom Gang in den Versandhandel abhalten. Gerne würden Sie vielleicht noch das benachbarte Schwanheim besser erschließen, wenn es in Ihrem Einzugs und Liefergebiet liegt. Der Kunde aus dem entfernten Hamburg oder Stuttgart, via Internet auf Ihre Angebote gelotst, dürfte jedoch nicht im Fokus stehen aus den erwähnten Gründen.

Fazit

Erwarten Sie von neuen Internetplattformen abseits der Big Player vorerst nicht zu viel! Im Regelfall wird es absehbar ein Add-on sein und insoweit unter das Kapitel Marketing und zusätzliche Kundenbindung fallen, vor allem hinsichtlich der Etablierung von Vorbestell- bzw. „Click & Collect“-Systemen. Die größten Chancen der Apotheke liegen nach wie vor im persönlichen Netzwerk vor Ort und dem „Face-to-face“-Geschäft. Plattformen werden für die meisten eine interessante, vielleicht sogar notwendige Ergänzung sein, sozusagen ein unverzichtbares zusätzliches Tool im Kunden­bindungs-Werkzeugkasten. In näherer Zukunft wird dabei das elektronische Rezept auf dem Weg in die Digitalisierung der Kunden­beziehungen eine weitere Zäsur bedeuten. Hier besteht die herausragende – die letzte? – Chance, entscheidende Dinge in der digitalen Apotheke-Kunden-Interaktion nochmals neu aufzusetzen, gerne mit gesetzlichem Rückenwind. Die bisher erkennbaren Plattform­konzepte allein werden jedoch die Apotheke als solches und erst recht schwache Standorte nicht retten. |

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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