Feuilleton

Warum ist der Mensch so lecker?

Lasterhaftes bei Wilhelm Busch

In vielen seiner populären Bildergeschichten stellte Wilhelm Busch (1832 – 1908) die Tragikomik menschlicher Schwächen dar und zielte bei der Erfindung und Ausmalung ihrer peinlichen Folgen auch auf die Schadenfreude der Leser.

In der Einleitung von „Max und Moritz“ sprach Busch den Leser direkt an: „Bildlich siehst du jetzt die Possen, die in Wirklichkeit verdrossen, mit behaglichem Gekicher, weil du selbst vor ihnen sicher.“

Was Max und Moritz zu ihren Possen oder Streichen veranlasste und schließlich ins Verderben führte, waren nach Ansicht der Opfer vor allem drei Laster, die sie im Schlusswort nannten: „Bosheit“, „dumme Witze“ und die Naschsucht, von denen die Letzte sicher am verzeihlichsten ist, weil niemand davon frei ist. Jedenfalls fragte der Bäcker, der ja auch von diesem Laster lebte: „Warum ist der Mensch so lecker?“ Dabei hatten Max und Moritz nur Lust auf Kuchen und Brezeln gehabt, als sie in die Bäckerei einbrachen. Hätte Busch den heutigen Massenkonsum von Süßigkeiten und Knabberzeug gekannt, wäre seine Kritik sicher schärfer ausgefallen.

Naschsucht und Völlerei

Die bekannteste Süßigkeit zu Buschs Zeiten war Honig. Zwei „kleine Honigdiebe“ (1859), die sich beim Bienenstock des Nachbarn bedienten, reagierten so allergisch auf die ihnen dabei verabreichten Bienenstiche, dass ihre Gesichter fürchterlich anschwollen. Ihr Vater wollte ihnen mit kaltem Brunnenwasser helfen – vergeblich. Besser ging es ihnen erst, nachdem der Schmied mit einer Kneifzange die Stacheln aus ihren Gesichtern herausgezogen hatte und der Bader Dr. Bauxel jeweils ein großes Pflaster darauf geklebt hatte; was im Pflaster drin war, blieb allerdings sein Geheimnis. Zwei, drei Wochen später war „die ­Sache wieder gut“.

Übergewicht und Adipositas wurden damals noch nicht als medizinisches Problem gesehen, sondern allenfalls als Quelle des Unwohlseins. Um abzuspecken, trank „Tobias Knopp“, der sich mit seiner enormen Leibesfülle „gar nicht recht bequem“ fühlte, Karlsbader Wasser und nahm während einer Kur in 14 Tagen 20 Pfund ab – doch nach weiteren 14 Tagen war „alles wieder, wie es war“ („Abenteuer eines Junggesellen“, 1875). Heute nennen wir dies „Jo-Jo-Effekt“.

Nicotin – zwischen Genuss und Sucht

Während das Tabak-Rauchen noch im 18. Jahrhundert verteufelt worden war und nur hier und da – z. B. in exklusiven Tabakskollegien – akzeptiert war, verfiel die Männerwelt im 19. Jahrhundert zusehends der Zigarre und noch häufiger der Pfeife. Rauchen galt als entspannend, als wohlverdiente Belohnung am Feierabend nach des Tages Mühen („Lehrer Lämpel“), und schon gar nicht galt es als gesundheitsschädlich. Ab etwa 1860 bereicherte die Zigarette das Angebot der Tabakwaren. Wen wundert es, dass auch Wilhelm Busch regelmäßig geraucht hat? Leider war er wohl eher kein Genussraucher, sondern schlicht süchtig, besonders in seinen 40er-Jahren: Täglich soll er 40 bis 60 – zeitweise sogar 100 – Zigaretten geraucht haben, die er meistens selbst gedreht hatte. Da Busch keinen Kettenraucher karikiert hat, dürfte er seine Nicotinsucht nicht als Laster erkannt haben. Im Gegenteil: Wenn ihm die Lust am Rauchen verging, hielt er dies für ein schlechtes Zeichen. Diese Einstellung findet sich auch in „Die beiden Enten und der Frosch“ (1862):

„Drei Wochen war der Frosch so krank! Jetzt raucht er wieder, Gott sei Dank.“

Trotzdem ist leicht vorstellbar, dass Busch lieber ein Feierabend-Raucher wie Lehrer Lämpel gewesen wäre, den er so besonders sympathisch dargestellt hat.

Ein Landapotheker – ganz privat

Quelle: Gill, Wilhelm Busch und die Medizin

In Buschs Heimatort Wiedensahl hatte von 1860 bis 1868 ein Apotheker Klügel gewirkt. Die nebenstehende Skizze von Wilhelm Busch zeigt ihn mit an­gezogenen Beinen auf einem Stuhl hocken, wobei er seine Knie mit beiden Armen umschlingt und in seinen gefalteten Händen lässig eine sehr langstielige Pfeife hält, aus deren Mundstück und Pfeifenkopf zarte Rauchwölkchen aufsteigen. Trotz des Anflugs einer Glatze auf dem Hinterkopf wirkt der schlanke und gelenkige Apotheker hier jünger, als er damals gewesen sein muss, nämlich Mitte 40. Klügel hatte sich nämlich im Jahr 1867 (vergeblich) darum beworben, die Rats-Apotheke in Stadthagen zu pachten, und hatte damals sein Alter mit 47 Jahren an­gegeben.

Alkohol – lieber Rotwein als Likör!

Wein und Bier genießt die Menschheit seit Jahrtausenden, doch zu einem gesellschaftlichen Problem wurden die alkoho­lischen Getränke hierzulande erst im 19. Jahrhundert. Statistiken belegen, dass damals sowohl der Alkoholkonsum als auch die Anzahl der Wirtshäuser in Deutschland stark anstiegen. Wilhelm Busch hat gern Wein und Bier getrunken, dürfte aber davon nicht abhängig gewesen sein, zumal er den Konsum mit zunehmendem Alter zügelte. Dabei korrelierte die quantitative Einschränkung anscheinend nicht mit der Genussfähigkeit. Ohne diese Entwicklung voraussehen zu können, hat Busch schon vorher eines seiner bekanntesten Zitate geschrieben (in „Abenteuer eines Junggesellen“, 1875):

„Rotwein ist für alte Knaben eine von den besten Gaben.“

Was aber sollten die alten Damen tun, die von diesem Genuss ausgeschlossen waren? Die eine oder andere trank heimlich – und mehr, als der Gesundheit guttat. So wurde der „frommen Helene“ (1872) die Trunksucht, die sie trotz schwerster Gewissenspein nicht in den Griff bekam, schließlich zum Verhängnis. Dass am Anfang eines solchen Leidenswegs oft ungelöste seelische Probleme stehen, ist eine Binsenweisheit, die Busch in den bekannten Reim fasste:

„Es ist ein Brauch von alters her: Wer Sorgen hat, hat auch Likör!“

Auch Jugendliche sollten sich nach Buschs Meinung lieber des Alkohols enthalten, wie eine Szene in „Die Haarbeutel“ (1878) zeigt: Der „Ladenjüngling“ Fritze trank während der Arbeit – in Abwesenheit des Chefs – so viel Kümmelschnaps, dass er kopfüber in einen Seifentopf fiel und darin erstickte; kurz vorher hatte er der alten Grete, die mit dem „Kümmel“ ihren Leib kurieren wollte, versehentlich ein Glas Vitriol (Schwefelsäure) gegeben und damit ihren qualvollen Tod verursacht.

Aus: „Abenteuer eines Junggesellen“
Tobias Knopp und Rektor Debisch: „Rotwein ist für alte Knaben eine von den besten Gaben.“ Der Sohnemann (rechts) darf noch nicht mittrinken.

Apotheker Pille

Im Jahr 1873 hat Wilhelm Busch in „Der Geburtstag“ einen Apotheker namens Pille karikiert. Die Geschichte spielt in einer ländlichen Gemeinde der Provinz Hannover, und Pille ist neben dem Bürgermeister und einem Stammtisch von Männern und „Mümmelgreisen“ – dass ältere Menschen zu seiner Zeit meistens zahnlos waren, hat Busch auch mehrmals dokumentiert – einer der Hauptakteure. Die Honoratioren wollen ihrem ehemaligen König, der 1866 vor den Preußen geflohen war und im Exil lebte, zum Geburtstag gratulieren, und Pille erbietet, ihm im Namen (und auf Kosten) der Gemeinde 20 Flaschen seiner Eigenmarke „Busenfreund“ als Präsent zu überreichen. Pille preist die Spezialität als „segensreichen Labetrank“, der „erwärmend … durch Kopf, Herz, Magen und die Glieder“ dringt.

Aus: „Der Geburtstag“
„Allhier im Korbe, eng vereint, sind zwanzig Flaschen Busenfreund.“ Fritze Jost nimmt die hochprozentige Ware von Apotheker Pille, der noch seinen Frack (rechts) anziehen muss, in Empfang. Ihr Ziel, die Poststation, werden beide nicht erreichen.

Der Kräuterlikör ist so hochprozentig, dass Fritze Jost, der das Präsent zum Haltepunkt der Postkutsche bringen soll und unterwegs selbst eine Flasche leert, als „schwankende Gestalt“ stürzt, worauf der Inhalt der zerbrochenen Flaschen in eine Pfütze rinnt. Gänse, Schweine und ein Ziegenbock kommen herbei und berauschen sich daran. Als der Apo­theker an die Unglücksstelle kommt, nimmt ihn ein Schwein rittlings, galoppiert zum Stall und wirft ihn mit seinem glänzenden Frack in den Dreck – trauriges Ende seiner missglückten „Staatsmission“.

Literaturtipp

W. Busch und die Medizin

Als akademisch ausgebildeter Maler besaß Wilhelm Busch Grundkenntnisse der Anatomie, und als guter Beobachter seiner Mitmenschen kannte er auch die Krankheiten, Plagen und Schmerzen, unter denen sie litten. Alles was hier von Belang ist, ist in diesem Buch vereint, das quasi einen Querschnitt durch das malerische, zeichnerische und dichterische Gesamtwerk bildet – ausgewählt und kommentiert von ­einem praktizierenden Arzt.

Hartmut Gill:

Wilhelm Busch und die Medizin

288 S., 149 Abb., Geb. 39,99 Euro

ISBN 978-3-356-02150-9

Hinstorff Verlag, Rostock 2017

Einfach und schnell bestellenDeutscher Apotheker Verlag, StuttgartTel. 0711 – 25 82 341, E-Mail: service@deutscher-apotheker-verlag.de

Sanft entschlafen

Nach einem zeitweise entbehrungs­reichen, letztlich aber doch erfüllten Leben starb der ewige Junggeselle Wilhelm Busch im Alter von 75 Jahren an Altersschwäche. Er schlief friedlich ein, nachdem er die damals übliche palliative Behandlung erhalten hatte: Campher zur Kreislaufstärkung und Morphin zur Beruhigung. |

Dr. Wolfgang Caesar

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.