Gesundheitspolitik

Medizinalcannabis – der Stand der Dinge

Aller anfänglichen Skepsis zum Trotz – der Markt boomt

rr | Die erste Aufregung über das Gesetz zum Einsatz von Cannabis als Medizin, das im März 2017 in Kraft trat, hat sich mittlerweile gelegt, und es ist so etwas wie Alltag eingekehrt. Ruhig ist es aber deswegen noch lange nicht geworden. Während die Politik regelmäßig neue Ideen auf den Tisch bringt, gibt es mit Blick auf die Therapie an sich wenig Neues zu berichten.

Medizinalhanf ist gefragt. Statistiken des GKV-Spitzenverbands zufolge wurden in der ersten Jahreshälfte 2018 fast 80.000 Cannabis-Verordnungen zulasten der Krankenkassen ausgestellt – der Großteil davon: unverarbeitete Cannabisblüten. Den zunehmenden Bedarf spüren Apotheker vor allem an Lieferengpässen: In einer Online-Umfrage mit 300 zufällig ausgewählten Pharmazeuten gaben 56 Prozent an, damit ein großes Problem zu haben (DAZ 40, S. 12). Schwerer wiegen für die meisten von ihnen (64%) allerdings die bürokratischen Hürden rund um die Herstellung und Abgabe. Ein Drittel monierte, dass die Krankenkassen die Kostenübernahme zu häufig ablehnen.

Nein zu jedem 3. Antrag

Das Bundesversicherungsamt (BVA) sieht das nicht ganz so gravierend: In seinem Jahresbericht 2017 kommt es zu dem Schluss, dass sich die Krankenkassen im Großen und Ganzen bei der Genehmigung einer Cannabis-basierten Therapie an die sozialrechtlichen Vorgaben halten (DAZ 37, S. 12). Schätzungen zufolge kassieren je nach Krankenkasse 30 bis 40 Prozent der Patienten, die einen Antrag auf Kostenübernahme stellen, eine Absage.

Laut eines Urteils des Sozialgerichts Düsseldorf von September 2018 kann ein Patient, der an schmerzhaften chronischen Entzündungen der Gelenke und an Rheuma leidet, von seiner gesetzlichen Krankenkasse nicht verlangen, dass diese ihm die Kosten für die Schmerzbehandlung mit Cannabis erstattet – jedenfalls nicht, solange nicht alle anderen zur Verfügung stehenden Therapiemöglichkeiten aus­geschöpft wurden (AZ 39, S. 7).

Auf dem 22. Eppendorfer Dialog in Hamburg berichtete ein Vertreter der DAK-Gesundheit, dass bei Cannabis-Verordnungen zu 100 Prozent der medizinische Dienst (MDK) in Anspruch genommen wird, sodass die Anträge in der Regel innerhalb von fünf Wochen bearbeitet werden (DAZ 16, S. 16). Die Antragsflut erschwere jedoch die Einhaltung der gesetzlichen Fristen, was fiktive Genehmigungen nach sich zieht. Den Krankenkassen ist das derzeitige Gesetz zu lückenhaft, es fehlen klare Handlungslinien, auf die sie sich berufen können. Immerhin geht es um viel Geld: 2017 gab die DAK etwas mehr als 1 Mio. Euro für Cannabis-Therapien aus. 2019 erwartet man bereits Kosten von 10 Mio. Euro. „Und das ohne Evidenz!“ kritisierte der DAK-Vertreter.

Zum Weiterlesen

Viele Erzeugnisse auf Hanfbasis werden als Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel oder Kosmetika frei verkauft. Einen regelrechten Hype erleben derzeit Produkte mit Cannabidiol (CBD). Der Markt ist unübersichtlich, die rechtliche Einordnung oft intransparent und zweifelhaft. In DAZ 50, S. 52 finden Sie einen Überblick über den komplexen regulatorischen Rahmen für hanfhaltige Produkte, mit einem besonderen Fokus auf CBD.

Kaum neue Wirksamkeitsbelege

Zugegeben: Die Studienlage zum Nutzen von Medizinalcannabis war zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes dünn – und ist es noch. Eine Studie der Universität Sydney aus diesem Jahr fand jedenfalls keine Anhaltspunkte für einen Nutzen bei chronischen, nicht tumorbedingten Schmerzen (DAZ 35, S. 25).

Positives gibt es ausgerechnet aus dem Haus des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zu berichten: Während es bei der ersten Bewertung im Jahr 2012 noch keinen Zusatznutzen im Fertigarzneimittel Sativex®gesehen hatte, vertritt es heute die Meinung, dass Patienten, die infolge einer Multiplen Sklerose an Spastiken leiden und auf die Standardtherapie nicht angesprochen haben, durchaus von einer Zusatzbehandlung mit dem Cannabis-Extrakt profitieren können.

Die Pläne der Parteien

Den Grünen stößt die derzeitige Praxis sauer auf: Sie wollen das Gesetz wieder ändern – zugunsten der Patienten. Der im § 31 SGB V Absatz 6 stehende Genehmigungsvorbehalt, nach dem für die Erstverordnung eine Genehmigung der Krankenkasse erforderlich ist, soll ersatzlos gestrichen werden. Dieser habe sich nicht bewährt, heißt in der Begründung (AZ 48, S. 3).

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) mit Minister Jens Spahn (CDU) hat indes Pläne, die wiederum Apothekern nicht gefallen dürften: Die Kosten für Cannabis-Rezepturen sollen halbiert und dadurch 25 Millionen Euro eingespart werden. Der Apotheken­zuschlag wäre dahin. Derzeit werden nach der Arzneimittelpreisverordnung das Abfassen von Cannabisblüten mit einem Zuschlag von 100 Prozent und die Weiterverarbeitung mit einem Zuschlag von 90 Prozent berechnet. Dem GKV-Spitzenverband ist dies zu teuer. Mit dem Deutschen Apothekerverband (DAV) führt er seit Monaten erbitterte Verhandlungen. Spahn möchte diese beschleunigen. Im November legte er seinen ersten Referentenentwurf für das „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung“ (GSAV) vor, das DAV und GKV-Spitzenverband verpflichten soll, sich zu einigen.

Die Arbeitsgruppe Gesundheit der SPD-Bundestagsfraktion möchte sich dagegen für ein Ende der Verbotspolitik stark machen. So seien Modellprojekte in Apotheken mit Abgabe von Cannabis zum Freizeitkonsum vorstellbar (AZ 46, S. 8). In diesem Zusammenhang wird auf Kanada verwiesen: Hier ist Cannabis zur Freizeitanwendung seit dem 17. Oktober 2018 legal, zu medizinischen Zwecken bereits seit 2001. Die kanadischen Apotheker spielen beim Medizinalhanf keine aktive Rolle – ursprünglich auf eigenen Wunsch, mittlerweile bereuen sie die Entscheidung.

Deutsches Cannabis nicht vor 2020

Aus Kanada und den Niederlanden bezieht Deutschland derzeit den Löwenanteil an Medizinalhanf. Da die Nachfrage in Zukunft weiter steigen wird, lässt sich der Bedarf langfristig kaum allein über Importe decken. Seit März 2017 bis einschließlich Juni 2018 haben sechs Firmen ihre maximalen Importmengen auf insgesamt etwa 10,4 Tonnen pro Jahr erhöht. Das ergab eine kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion an das BMG. Die Liberalen bohrten auch gleich noch einmal nach, wie es um den Anbau von Cannabis in Deutschland steht. Ursprünglich sollte die erste Ernte im Jahr 2019 eingefahren werden. Dazu startete das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein Ausschreibungsverfahren zum Anbau, zur Weiterverarbeitung, Lagerung, Verpackung und Lieferung von Cannabis zu medizinischen Zwecken. Mehr als 100 Bewerber beteiligten sich an dem Verfahren – einige wurden daraufhin zur Angebotsabgabe aufgefordert. Vier Unternehmen bzw. Bietergemeinschaften, die nicht zum Zuge kamen, reichten Beschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf ein, dass das BfArM wegen Wettbewerbsverzerrung und Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes rügte und das laufende Vergabeverfahren stoppte (DAZ 14, S. 17). Im zweiten Anlauf wurde die Produktionsmenge von 6,6 Tonnen für vier Jahre auf 10,4 Tonnen korrigiert. Neues Ziel ist das Jahr 2020. |

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