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Feuilleton

Wenn uns das Wetter nicht kalt lässt

Klimawandel und Gesundheitsrisiken

Warum nicht mal im Winter über die globale Erwärmung reden: Der Klimawandel stellt nicht nur aus ökologischer Perspektive, sondern auch aus Sicht der Umweltmedizin ein Problem dar. Diese Zusammenhänge werden im öffentlichen Diskurs aktuell noch zu wenig betont, machen aber deutlich, dass eine nachhaltigere Klimapolitik dringend notwendig ist. Doch der Reihe nach ... | Clemens G. Arvay

Als Wetter wird der sensorisch wahrnehmbare Zustand der Atmosphäre zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort bezeichnet. Viele Menschen berichten über einen Zusammenhang zwischen dem Wetter und ihrer Stimmungslage beziehungsweise ihrem körperlichen Befinden. Eine in Zagreb mit 782 Probanden durchgeführte Fragebogenerhebung legte bei 57,7 Prozent eine moderate und bei 18,3 Prozent eine starke Wetterfühligkeit offen [1]. Als belastende Wetterlagen wurden vor allem feuchtes Wetter, Luftdruckschwankungen sowie niedrige und hohe Lufttemperaturen angegeben. Antriebslosigkeit und Apathie wurden am häufigsten als wetterbedingte Beeinträchtigungen beschrieben, gefolgt von Konzen­trationsschwierigkeiten, Gereiztheit und Schlafstörungen. Die Hälfte der Probanden sah einen Zusammenhang zwischen Regenwetter und depressiven Verstimmungen. Im Vergleich zu derartigen psychischen Symptomen wurden körperliche Symptome der Wetterfühligkeit wie Kopfschmerzen, Migräne und rheumatische Beschwerden seltener genannt (16 Prozent).

Zwei voneinander unabhängige Erhebungen unter chronischen Schmerzpatienten in den USA ergaben, dass die Befragten vor allem bei hoher Luftfeuchtigkeit und niedrigen Temperaturen über eine Verstärkung ihres Schmerzzustandes klagten, insbesondere über Gelenk- und Muskelschmerzen [2].

Problem Hitzewellen und -perioden

Doch gerade hohe Temperaturen können das Leben der Menschen beeinträchtigen. Es liegen Hinweise darauf vor, dass die Kriminalitätsrate statistisch gesehen während Hitzewellen ansteigt, insbesondere für Gewaltverbrechen [3]. Eine Hypothese, die diesen Zusammenhang zu erklären versucht, besagt, dass Hitze durch Verminderung der Schlafqualität das Aggres­sionsniveau hebt [4]. Diese Annahme wird dadurch gestützt, dass auch rund um den Vollmond die Kriminalitätsrate statistisch ansteigt [5]. Möglich wäre aber auch, dass Hitze zu physiologischem Stress führt, der eine verminderte Affektkontrolle und ein erhöhtes Aggressionspotenzial nach sich zieht. Dieses Erklärungsmodell ist als „Hitze-Hypothese“ (heat hypothesis) bekannt [6]. Es wird unter anderem durch eine Studie gestützt, die einen Zusammenhang zwischen Hitze und steigenden Gewaltvorfällen während NFL-Football-Penalties nachweisen konnte [7].

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Die Hitze-Hypothese geht davon aus, dass hohe Temperaturen das Aggressions­niveau des Menschen steigern. So wurde bei Football-Spielen während Hitzewellen ein deutlich erhöhtes Gewaltpotenzial beobachtet.

Epidemiologen registrieren immer wieder eine signifikant gehäufte Sterblichkeit während Hitzewellen, die vor allem ältere Menschen sowie Patienten mit Herz-Kreislauf- oder Lungenerkrankungen trifft. Hohe Temperaturen können Herzinfarkt, Kreislaufversagen, Störungen der Atmungsorgane sowie der Gehirndurchblutung auslösen [8].

Beispielsweise verursachte im August 2003 eine Hochdruck-Zelle, die sich unbeweglich über Europa befand und Luftbewegungen, Wind sowie Regen verhinderte, eine Hitzewelle, während der 15.000 Personen mehr verstarben als der Durchschnitt für den Monat August es europaweit erwarten ließ. Alleine in Italien kostete diese Hitzewelle 4000 Menschen das Leben [9]. Deutschland betrauerte 3500 Hitze­tote [10].

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2003 befand sich eine Hochdruck-Zelle unbeweglich über Europa und führte zu einer Hitzewelle, an deren Folgen rund 15.000 Menschen verstarben.

Die Schweiz hatte in 250 Jahren davor keinen heißeren Sommer zu verzeichnen und erlebte einen bisher nicht überbotenen Hitzerekord: Am 11. August 2003 wurden in Grono 41,4 °C gemessen [11]. In Deutschland wurden am 8. August 2003 in Perl-Nenning 40,3 °C und am 13. August 2003 in Karlsruhe 40,2 °C gemessen [12]. Diese Temperaturen gehören zu den höchsten in der gesamten deutschen Wetteraufzeichnung.

Die genannten Beispiele machen deutlich, dass es offensichtlich einen Zusammenhang zwischen klimatischen Einflüssen und menschlichen Gesundheitsrisiken gibt, der für eine klimamedizinische Einschätzung der globalen Erwärmung wichtig ist.

Klimawandel beeinflusstunsere Gesundheit

Unter dem Klima versteht man zyklisch wiederkehrende Wetterzustände an einem bestimmten Ort über mindestens drei Jahrzehnte. Eine wichtige Fragestellung der Klimamedizin muss lauten: Wie könnte sich die globale Erwärmung in Zukunft auf die Entwicklung von Krankheiten und die Sterblichkeit der Bevölkerung auswirken? Dank fortgeschrittener klimatologischer Modelle wird immer deutlicher sichtbar, dass der Klimawandel die Häufigkeit von extremen Wettereignissen wie Hitze- und Kältewellen weiter erhöhen wird [13]. Eine aktuelle klimamedizinische Studie mit Daten aus neun Weltregionen kam zu dem Ergebnis, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen anthropogen bedingten Hitzewellen und erhöhter Sterblichkeit besteht. Dieser Trend wird sich laut den Autoren weiter fortsetzen und vor allem in südlichen Ländern zum gesundheitspolitischen Problem der Zukunft werden (Südeuropa, Südstaaten der USA, Zentral- und Südamerika, Afrika und vor allem Südostasien) [14].

Diesem Modell lag eine aus Sicht der Autoren realistische Prognose für die Emissionsentwicklung klimaschäd­licher Gase zugrunde.

Demgegenüber kam eine andere Studie zu dem Ergebnis, dass die (derzeit nicht realistische) Einhaltung des Pariser Klimaabkommens die drastische Zunahme temperaturbedingter Sterberaten in den meisten Regionen der Erde noch verhindern könnte [15]. Das Abkommen sieht eine Eindämmung des durch den Menschen verursachten globalen Temperaturanstiegs auf weniger als 2 °C im Vergleich zu vorindustriellen Ausgangswerten vor.

Die globale Erwärmung würde ungebremst die Zahl der Tage mit gesundheitsschädlichen Ozonkonzentrationen in der Atemluft erhöhen. Bodennahes Ozon schädigt das Lungengewebe, führt zu Entzündungen der Schleimhäute sowie zu Asthma und wirkt bei regelmäßiger Exposition lebenszeitverkürzend [16]. Sogenannte „superallergene“ Pollen sind bei feuchtwarmem Wetter vermehrt in der Luft zu finden. Sie stammen zum Beispiel vom Ragweed, Ambrosia artemisiifolia, das nach dem ersten Weltkrieg aus Nordamerika nach Europa eigeschleppt wurde und sich insbesondere seit den 1980er-Jahren rasant in Mitteleuropa ausbreitet. Die globale Erwärmung verlängert außerdem die Pollensaison, während ein Anstieg der Kohlendioxidkonzentration in der Luft zur Verfrühung der Blüte und Verstärkung der Pollenproduktion führt [17]. Der anthropogene Klimawandel verschärft also die Situation für Pollenallergiker.

Zudem ist zu befürchten, dass wärmeres und feuchteres Wetter die biologische Aktivität von krankheitsübertragenden Milben und Insekten verlängert. Auch Zecken, die zu den Milben gehören, werden sich laut Prognosen in Europa weiter nach Norden ausbreiten – und mit ihnen die Borreliose [18]. Umweltmedizinisch besonders relevant ist die steigende Belastung von Gewässern mit pathogenen Mikroorganismen, die eine globale Erwärmung zwangsläufig mit sich bringt. Auch die „Algenblüte“, ein starkes und ökologisch nicht tragfähiges Wachstum von Grünalgen und Cyanobakterien, stellt ein Gesundheitsrisiko für den Menschen dar, da dadurch auch die von Algen produzierten Toxine zunehmen [19].

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Ambrosia artemisiifolia, das Ragweed, produziert hochallergene Pollen. Die globale Erwärmung trägt zu einer rasanten Ausbreitung der Pflanze in Mitteleuropa bei und erhöht ihre Pollenproduktion.

Für einen aktuellen Bericht über die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Gesundheit, der vor kurzer Zeit im renommierten Medizinjournal The Lancet erschien, trugen Wissenschaftler aus weltweit 27 Forschungseinrichtungen ihre Daten zusammen und kamen zu dem Ergebnis, dass ältere Menschen gesundheitlich besonders stark von der Erderwärmung betroffen sind [20]. So waren im letzten Jahr rund 157 Millionen Menschen mehr Hitzewellen ausgesetzt als noch Anfang der 2000er-Jahre. Hilary Graham und ihre Mitarbeiter an der britischen Universität von York sehen darin in erster Linie für Europa und den östlichen Mittelmeerraum ein gesundheitspolitisches Problem, denn in diesen Weltregionen ist der Anteil an Senioren am höchsten, wobei Personen ab 65 Jahren als Senioren gerechnet werden. Wie schon andere Studien zuvor kommt auch der aktuelle Lancet-Bericht zu der Erkenntnis, dass die negativen medizinischen Konsequenzen aufgrund des urbanen Wärmeinseleffekts in Städten am stärksten sein werden. Auch die Produktivität leidet unter dem Klimawandel: 2017 gingen laut den Forschern 153 Milliarden Arbeitsstunden durch die Folgen der Hitze verloren. Außerdem bestätigt das Kollektiv die bereits bekannte Befürchtung, dass die globale Erwärmung, die vermehrt zu Ernteausfällen, Dürre und Hitze führt, eine der zentralen Fluchtursachen der Zukunft sein wird und bereits heute für viele Menschen aus südlichen Ländern die alleinige Ursache für eine Migration darstellt.

Aus psychosomatischer Perspektive birgt die globale Erwärmung auch für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen eine erhöhte Gefahr. Studien belegten, dass für Patienten mit vorbestehender psychischer Erkrankung das Risiko, während einer Hitzewelle zu versterben, verdreifacht ist. Dies trifft insbesondere auf Patienten unter psychopharmakologischer Therapie zu, und dürfte damit zu erklären sein, dass die Einnahme mancher Psychopharmaka die physiologische Regulation der Körpertemperatur stören kann [21]. |

Literatur

[1] Aleksandar Momirovic et al, Mood Effects of Weather Conditions of the Zagreb Population, Croatia, in: Collegium Antropologicum, Vol. 29 (2), 2005, S. 515-518.

[2] M. S. Shutty Jr. et al, Pain Complaint and the Weather: Weather Sensitivity and Symptom Complaints in Chronic Pain Patients, in: Pain, Vol. 49 (2), 1992, S. 199-204 und R. N. Jamison et al, Weather Changes and Pain: Perceived Influence of Local Climate on Pain Complaint in Chronic Pain Patients, in: Pain, Vol 61 (2), 1995, S. 309-315.

[3] L. H. Schinasi und G. B. Hamra, A Time Series Analysis of Associations between Daily Temperature and Crime Events in Philadelphia, Pennsylvania, in: Journal of Urban Health, Vol. 94 (6), 2017, S. 892-900.

[4] Michael Emch et al, Health and Medical Geography, Fourth Edition, The Guilford Press, New York / London, 2017, S. 414.

[5] C. P. Thakur und D. Sharma, Full Moon and Crime, in: British Medical Journal (Clinical Research Edition), Vol. 289 (6460), 1984, S. 292-296.

[6] Craig Anderson, Heat and Violence, in: Current Directions in Psychological Science, Vol. 10 (1), 2001, S. 33-38.

[7] Curtis Craig et al, A Relationship between Temperature and Aggression in NFL Football Penalties, in: Journal of Sport and Health Science, Vol. 5 (2), 2016, S. 205-210.

[8] United States Environmental Protection Agency (EPA), Climate Impacts on Human Health, 19.01.2017, online: https://19january2017snapshot.epa.gov/climate-impacts/climate-impacts-human-health_.html, abgerufen am 19.11.2018.

[9] Michael Emch et al, Health and Medical Geography, Fourth Edition, The Guilford Press, New York / London, 2017, S. 414.

[10] Michael Engel, Tablette gegen Treibhauseffekt, Deutschlandfunk Online, 23.03.2010, online: https://www.deutschlandfunk.de/tablette-gegen-treibhauseffekt.676.de.html?dram:article_id=27286, abgerufen am 19.11.2018.

[11] Swissinfo.ch, Hitzerekord in der Schweiz, 8.07.2015, online: https://www.swissinfo.ch/ger/wirtschaft/klima-erwaermung-_hitzerekord-in-der-schweiz/41536758, abgerufen am 19.11.2018.

[12] Wetterdienst.de, online: https://www.wetterdienst.de/Klima/Wetterrekorde/Deutschland/Temperatur/, abgerufen am 19.11.2018.

[13] Nature, Pinning extreme weather on climate change is now routine and reliable science – research has finally generated the tools to attribute heat waves and downpours to global warming, in: Nature, Vol. 560 (5), 2018, online: https://www.nature.com/articles/d41586-018-05839-x, zuletzt abgerufen am 19.11.2018.

[14] A. Gasparrini et al, Projections of temperature-related excess mortality under climate change scenarios, in: The Lancet Planetary Health, Dez. 2017, Vol 1. (9), S. 360-367.

[15] A. M. Vicedo-Cabrera, Temperature-related mortality impacts under and beyond Paris Agreement climate change scenarios, in: Climate Change, Okt. 2018, Vol. 150 (3-4), S. 391-402.

[16] A. Crimmins et al, Impacts of Climate Change on Human Health in the United States – a Scientific Assessment, in: USGCRP (Hrsg.), U.S. Global Change Research Program, 2016, S. 312ff.

[17] K. L. Ebi et al, Analysis of the Effects of Global Change on Human Health and Welfare and Human Systems, in: CCSP (Hrsg.), Report by the Climate Change Program and the Subcommittee on Global Change Research, U.S. Environmental Protection Agency, 2008.

[18] Elisabet Lindgren und Thomas Jaenson, Lyme Borreliosis in Europe – Influences of Climate and Climate Change, Epidemiology, Ecology and Adaptation Measures, World Health Organization (WHO), Copenhagen, 2016

[19] United States Environmental Protection Agency (EPA), Climate Change and Harmful Algal Blooms, online: https://www.epa.gov/nutrientpollution/climate-change-and-harmful-algal-blooms, abgerufen am 19.11.2018

[20] A. Crimmins et al, Impacts of Climate Change on Human Health in the United States – a Scientific Assessment, in: USGCRP (Hrsg.), U.S. Global Change Research Program, 2016, S. 312ff.

Autor

Clemens G. Arvay, Diplom-Biologe und Buchautor. Studium der Landschaftsökologie und Pflanzenwissenschaften in Wien und Graz. Forschungsschwerpunkt: Beziehung zwischen Mensch und Natur, gesundheitsfördernde Effekte des Kontakts mit Pflanzen, Tieren und Landschaften. Arvay hat zahlreiche Bücher verfasst, darunter der Bestseller „Der Biophilia-Effekt“ oder „Biophilia in der Stadt“

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