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Eine schwierige Gemengelage

Foto: DAZ/Kahrmann
Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin der DAZ

Keine Wirkung ohne Nebenwirkung. Davon ist auszugehen, wenn hoch wirksame Arzneistoffe zur Anwendung kommen. Dabei muss immer bedacht werden, dass zum Zeitpunkt der Zulassung zwar aufgrund von klinischen Studien schon ein Nebenwirkungsspektrum beschrieben, aber dieses keinesfalls vollständig ist. Häufig kristallisieren sich erst weitere unerwünschte Wirkungen heraus, wenn entsprechende Arzneimittel schon im Markt sind. Besonders tragisch wird es, wenn Patienten unter solchen Therapien Schäden erleiden, die irreversibel sind oder gar zum Tod führen. Keimt ein solcher Verdacht auf, beginnt die Ursachensuche. Betroffene und Angehörige, die davon überzeugt sind, dass ein bestimmtes Arzneimittel für ihr Leid verantwortlich ist und deshalb den Rechtsweg beschreiten, müssen sich auf einen mühsamen kräfte­raubenden Weg durch die Instanzen einstellen. Prominente aktuelle Beispiele gibt es zu Genüge: junge Männer, die gehofft haben, mit Finasterid der drohenden Glatzenbildung entgegenzuwirken und nun u. a. unter Depressionen und Erektionsstörungen leiden, Patienten, die wegen Infekten mit Chinolonen behandelt wurden und nun arbeitsunfähig sind, junge Frauen, die nach Einnahme von hormonellen Kontrazeptiva Thromboembolien mit zum Teil tödlichem Ausgang erlitten haben, junge Frauen die durch die hormonelle Verhütung depressiv geworden sind, möglicherweise bis hin zum Suizid.

Darüber hinaus sorgt mit Duogynon wieder ein Fall aus vergangenen Zeiten für Diskussionen (s. S. 14). Zur Erinnerung: die in Duogynon enthaltene Kombination aus Ethinylestra­diol und Norethisteron wurde von 1950 bis Anfang der 1970er-Jahre als Schwangerschaftstest eingesetzt. Viele Menschen, die in dieser Zeit mit Missbildungen geboren wurden, sind überzeugt davon, dass dieser Test dafür verantwortlich ist. Sie kämpfen seit Jahren um Bestätigung, sehen Parallelen zum Fall Contergan und verlangen Schmerzensgeld. Und das nicht nur hier in Deutschland, sondern mit großem Engagement auch in Großbritannien.

Während das BfArM und auch eine britische Expertenkommission zu dem Schluss gekommen sind, dass ein kausaler Zusammenhang als unwahrscheinlich einzustufen ist, lässt nun eine neue umfassende Metaanalyse Betroffene wieder hoffen (s. S. 38). Die Autoren dieser Analyse sehen signifikante Assoziationen bei einigen Missbildungen, so zum Beispiel bei Blasen­ekstrophien. Dass allerdings eine signifikante Assoziation nicht gleichzusetzen ist mit dem Nachweis einer Kausalität, ist den Betroffenen kaum zu vermitteln. Fakt ist am Ende des Tages, dass die einen zu dem Schluss kommen, dass ein kausaler Zusammenhang zwar nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich ist, die anderen signifikante Assoziationen sehen und deshalb betonen, dass ein kausaler Zusammenhang nicht widerlegt ist.

Eine äußerst schwierige Gemengelage. Es stellt sich die Frage, wie in solchen Situationen verfahren werden soll, die wissenschaftlich nicht eindeutig zu klären sind und die Kläger deshalb auf dem Rechtsweg scheitern lassen. Wie gelingt es, den sowieso schon unter ihren Behinderungen und schweren Erkrankungen leidenden Menschen ihren inneren Frieden zurückzugeben? Darüber sollten wir uns als Gesellschaft dringend Gedanken machen. Antworten auf diese Fragen ­werden wir vor dem Hintergrund weiterer aktueller „Arzneimittelskandale“, bei denen der Kausalitätsnachweis zwischen Arzneimittelanwendung und schweren Folgen ebenfalls nur schwer bis nicht zu erbringen sein wird, dringend benötigen. Dazu gehören neben den eingangs er­wähnten Beispielen auch die vielen mit ­potenziellen Kanzerogenen verunreinigten (Val)sartan-haltigen Arzneimittel. Viele Patienten, die mit NDMA und NDEA kontaminierten Sartanen behandelt wurden und schon an Krebs erkrankt sind oder erkranken werden, werden davon überzeugt sein, dass diese Arzneimittel dafür verantwortlich sind. Nachweisen können werden sie das vermutlich aber nie.

Doris Uhl

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