Aus den Ländern

Gesundheitsversorgung einer alternden Gesellschaft

„Consumer-Health-Care“-Tagung widmete sich den Herausforderungen des Alterns

Die 18. Jahrestagung „Consumer Health Care“ wurde am 9. November in Berlin gemeinsam vom Verein Consumer Health Care e. V. und der Arbeitsgemeinschaft Gesundheit 65+ veranstaltet. Sie widmete sich einem Thema, das früher oder später jeden angeht: Die Medizin hat in den vergangenen Jahren Erfolge zur Verlängerung des Lebens erzielt, dadurch sind neue Herausforderungen für den Einzelnen und die Gesellschaft entstanden. Wie diesen begegnet werden kann, wurde unter der Moderation von Prof. Dr. Marion Schaefer gemeinsam mit Medizinern, Gesundheitspolitikern, Soziologen, IT-Experten und Apothekern diskutiert.

Einleitend beschrieb Privatdozent Dr. Dr. Claus Köppel, langjähriger Chefarzt des Zentrums für Altersmedizin im Vivantes Wenckebach-Klinikum Berlin und Mitglied der AG Gesundheit 65+, gestützt auf seine Erfahrungen beim Aufbau von geriatrischen Abteilungen in mehreren Krankenhäusern, die Komplexität von Erkrankungen im Alter und vor allem den zwingend individuellen Ansatz bei ihrer Behandlung. Auch in Deutschland bestehen noch immer Defizite bei der Erforschung typischer Alterskrankheiten und der Nutzenbewertung ihrer Therapie, wie epidemio­logische Daten widerspiegeln. Eine gezielte Weiterbildung von Ärzten zum Facharzt für Geriatrie ist deshalb ebenso zwingend erforderlich wie die Verbesserung des Informationsstandes bei der Generation 50+. Denn der Alterungsprozess lässt sich nur ver­zögern bzw. bei besserer Gesundheit erleben, wenn rechtzeitig wirksame Gegenstrategien eingeleitet werden.

Integration von Apothekern vorgesehen

Dass die gesundheitlichen Konsequenzen aus der demografischen Entwicklung besonders die strukturschwachen ländlichen Gebiete vor neue ­Aufgaben stellt, erläuterte Dr. med. Hans-Joachim Helming anhand des ­Innovationsfonds-Förderprojektes „Strukturmigration im Mittelbereich Templin“ (IGiB-StimMT). Mithilfe der zusätzlichen finanziellen Mittel von 14,5 Mio. Euro wird versucht, die ambulante und stationäre Versorgung zu einer Funktionseinheit zu verschmelzen, um ärztliche Arbeitszeit und patientennahe gesundheitliche Dienstleistungen bedarfsgerecht und effektiver zum Vorteil der oft hochaltrigen Patienten nutzen zu können. Eine Integration von Apothekern ist in einer weiteren Ausbaustufe ebenso vorgesehen wie die Einbindung der Pflegedienste bereits praktiziert wird. Eine Evaluation des Förderprojektes, die letztlich darüber entscheiden wird, ob und in welcher Form zusätzliche Leistungsangebote in die Regelversorgung überführt werden können, ist vom Gesetzgeber verpflichtend vorgeschrieben.

Dr. Michael de Ridder, Internist, Rettungsmediziner, Gründer eines Hospizes und nicht zuletzt Buchautor, stellte das Thema „Gebrechlichkeit“ in den Mittelpunkt seines Vortrags. Diese ist bisher nur unscharf durch einen Komplex von Symptomen definiert, der mit zunehmendem Alter assoziiert ist, aber nicht allein dadurch erklärt werden kann. Denn nur 25 bis 50% aller über 85-Jährigen sind davon betroffen. Bereits erprobte Interventionsmaßnahmen beziehen sich vor allem auf körperliches Training und Ernährung, aber auch auf die Anwendung von Vitamin D und Calcium. Bislang fehlen dazu aber wirklich überzeugende bzw. eindeutige Belege aus wissenschaft­lichen Studien. Wichtig sei in diesem Zusammenhang, den alten Menschen ganzheitlich zu betrachten. Der Redner erwartet in diesem Zusammenhang auch wichtige Impulse aus der Arzneimittelanwendungsforschung, um den Eintritt einer Gebrechlichkeit zumindest zu verzögern.

Einsatz von Technik wirft ethische Fragen auf

Das Nachmittagsprogramm wurde von Dr. Larissa Pfaller, Institut für Sozio­logie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, eröffnet. Sie stellte das nationale Gesundheitsziel „Gesund älter werden“ aus dem Jahre 2012 sowie die WHO-Initiative „Active Aging“ vor. Noch immer sind Begriffe eines „erfolgreichen“ Alterns – auch in der Gerontologie – nur unscharf definiert: die häufig erwähnte Abwesenheit von Krankheit, die Aufrechterhaltung der physischen und psychischen Funktionsfähigkeit und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sind zwar ein wünschenswertes Ziel, müssten aber weit differenzierter betrachtet werden. Nachdenklich stimme auch der Fakt, dass Lebenserwartung und Chance auf Gesundheit nach wie vor sehr stark vom jeweiligen Sozialstatus bestimmt werden.

Ihr Kollege, PD Dr. Mark Schweda von der Abteilung Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen, ging anschließend auf die technisch-assistierte Gesundheitsversorgung im Alter ein. Alarmsysteme oder Monitoringfunktionen, aber auch die sogenannte Pflegerobotik zur Erleichterung körperlich schwerer Pflegetätigkeiten durch Assistenzsysteme, sollen auch bei altersbedingten Behinderungen ein Weiterleben in der häuslichen Umgebung ermöglichen. Trotz des erkennbaren Nutzens stellen sich hier ethische Fragen u. a. nach der informierten Zustimmung, dem Eingriff in die Privatsphäre und der zugrunde liegenden Algorithmen bzw. einer möglichen sekundären Datenverwertung. Medizinethische Grundsätze der Autonomie, Fürsorge und Gerechtigkeit dürften auch durch digitale oder technische Lösungen nicht verletzt werden.

Dass auch das Design Thinking einen wichtigen Beitrag für eine optimale Patientenbetreuung leisten und gleichzeitig bessere Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter schaffen kann, illustrierte Christoph Thetard aus Jena. Er analysierte mit seinem kürzlich gegründeten Unternehmen die geriatrische Rehabilitation in einer Klinik, um Arbeitsabläufe sicherer und effektiver zu gestalten und für die Patienten eine Umgebung zu schaffen, die den Heilungsprozess wirkungsvoll unterstützen kann. Dadurch wird in den Kliniken eine echte Patientenfokussierung umgesetzt, die letztlich allen Beteiligten zugute kommt.

Noch einen Schritt weiter ging Dr. ­Michael John vom Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS in Berlin, der mehrere tele­medizinische Assistenzsysteme bzw. Projekte vorstellte, die das Patientenselbstmanagement zum Beispiel nach einer Krankenhausentlassung unterstützen sollen. Neben der Nachsorge können sie auch, sofern dies ärztlich angezeigt ist, für ein Patientenmonitoring genutzt werden und damit auch der Prävention dienen. Kern der technischen Lösungen ist in der Regel die Telemedizin-Plattform MeineReha®, die einen schnellen und transparenten Informationsfluss zwischen Leistungserbringern und Patienten ermöglicht.

Jens-Peter Claußen von der Mediplus TUR GmbH Berlin und ebenfalls Mitglied der AG Gesundheit 65+ wies in seinem Vortrag auf die besondere Funktion von z. B. Physiotherapeuten, Logopäden und Podologen hin. Diese können durch ihr in der Regel sehr enges Verhältnis zu den Pflegebedürftigen Informationen aufnehmen und weiterleiten, die für das differenzierte Eingehen auf den Einzelnen von Bedeutung sind.

Foto: CHC
Einige Absolventen des Masterstudiengangs Consumer Health Care konnten ihre Zertifikate persönlich entgegennehmen (v. l.): Plamena Dikarlo, Dr. Sven Hagen, Dr. Heike Heverhagen, Uta Heidenblut, Sinome Foebus, Claudia Krek, Kristine Stephan-Gamsakhurdia, Simon-Moritz Lampert, Marius Schaut und Gerhard Wilts.

Masterarbeit: Alternativen für Psychopharmaka-Einsatz

Den Abschluss des abwechslungsreichen und informativen Programms bildete traditionsgemäß eine Absolventin des 2017 eingestellten Studiengangs Consumer Health Care. Apo­thekerin Renate Wittig hatte in ihrer Masterarbeit untersucht, inwieweit alternative Therapieverfahren die noch immer beträchtliche Psychopharmaka-Anwendung in Senioreneinrichtungen zumindest teilweise ersetzen können. Dazu führte sie eine systematische ­Literaturrecherche durch und identi­fizierte entsprechende Studien. Trainingsprogramme mit kombiniertem körperlichem und kognitivem Training zeigten dabei die größte Effek­tivität, um die Entwicklung einer Demenz zu verzögern und die Selbst­ständigkeit von Senioren in Pflege­einrichtungen zu erhalten.

Am Rande der Veranstaltung konnten insgesamt 17 Absolventen des Masterstudiengangs Consumer Health Care, für den sich im Jahr 2016 letztmalig Studenten immatrikulieren konnten, die Zertifikate für eine ­erfolgreiche Teilnahme bzw. die Masterurkunden überreicht werden (s. Foto). |

Dr. Editha Räuscher, Eh. Masterstudiengang Consumer Health Care

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