Aus den Ländern

Innovationen und Perspektiven zum 70. Jahrestag

Jahrestagung der Scheele-Gesellschaft

BINZ (tmb)| Mit der Scheele-Tagung vom 9. bis 11. November in Binz beging die Scheele-Gesellschaft (Landesgruppe Mecklenburg-Vorpommern der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft, DPhG) den 70. Jahrestag ihrer Gründung. Dazu war der gesamte Bundesvorstand der DPhG auf die Insel Rügen gereist. Thematisch war die Tagung unter dem Motto „Innovationen und Perspektiven in der Arzneimitteltherapie“ zukunftsorientiert.
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Prof. Dr. Christoph Ritter

Eine Feier anlässlich des Jubiläums fand nicht statt, weil diese für den 75. Jahrestag angedacht ist. So folgte das Fortbildungswochenende dem etablierten Ablauf, zu dem auch der Apothekertag Mecklenburg-Vorpommern am Samstagvormittag gehört (siehe Seite 61). Der Vorsitzende der Scheele-Gesellschaft, Prof. Dr. Christoph Ritter, Greifswald, berichtete, dass erstmals Anmeldungen abgelehnt werden mussten, weil mit 230 Teilnehmern die Raumkapazität in Binz ausgelastet sei. Aus Kreisen der Teilnehmer war zu hören, dass die gerade von der Apothekerkammer Mecklenburg-Vorpommern eingeführte Nachweispflicht für die Fortbildung kurzfristig für zusätzliche Nachfrage gesorgt hat.

Zur Historie: Scheele und Dragendorff

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Prof. Dr. Ekkehard Diemann

Das Fortbildungswochenende begann am Freitagnachmittag mit dem Vorsymposium, das sich wie schon oft historischen Themen widmete. Aus Anlass des Jubiläums ging es in einem Vortrag um den Namensgeber der Gesellschaft. Prof. Dr. Ekkehard Diemann, Bielefeld, beschrieb das „Geheimnis von Carl Wilhelm Scheeles brennbarer Wasserbleyerde“. Dazu präsentierte Diemann Videos, in denen einige Experimente des 1742 in Stralsund geborenen Scheele nachgestellt wurden.


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Dr. Gisela Boeck

Dr. Gisela Boeck, Rostock, erinnerte an einen weiteren bedeutenden Apotheker aus Mecklenburg-Vor­pommern, den 1836 in Rostock ge­borenen Johann Georg Noël Dragendorff. Boeck betonte, dass viele seiner Arbeiten der Hygiene zugeordnet werden können, obwohl Dragendorff selbst diesen Begriff darin nicht erwähnt habe. Beide Apotheker arbeiteten in ihrer Zeit an wichtigen Innovationen.

CRISPR-Cas: vielfältige Chancen

Im Hauptprogramm ging es um die Arzneitherapien und Perspektiven für unsere Zukunft. Prof. Dr. Thomas Winckler, Jena, berichtete über die Prinzipien und die möglichen therapeutischen Anwendungen der CRISPR-Cas-Systeme, die als „zweite gentechnologische Revolution“ gefeiert würden. Damit zeichne sich erstmals eine kausale Therapie für genetisch bedingte Erkrankungen ab. Zusätzlich zum gezielten Schneiden der DNA können homologe DNA-Stränge und damit gezielte Mutationen in das Genom eingefügt werden. Bisher wird die neue Technologie überwiegend zur Wirkstoffcharakterisierung und Targetvalidierung eingesetzt, doch viele sehen großes Potenzial für Therapien. Winckler zeigte sich skeptisch, dass es gelinge werde, beispielsweise das HI-Virus aus allen Zellen zu entfernen. Realistischer sei es, bei infizierten Patienten das Eindringen in wei­tere Zellen zu verhindern. Großes Potenzial sieht Winckler bei genetisch bedingten Erkrankungen.

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Referenten der Scheele-Tagung: Prof. Dr. Peter Ruth, Tübingen, Prof. Dr. Thomas Winckler, Jena, Prof. Dr. Karsten Mäder, Halle, Prof. Dr. Christoph Ritter, Greifswald (v. l.)

Aussichtsreich sei insbesondere die Steuerung der Genexpression. Für die Tumortherapie sieht Winckler so große Möglichkeiten, dass die neuesten nobelpreiswürdigen Therapien mit Checkpoint-Inhibitoren und CAR-T-Zellen schon wieder überholt erschienen. Allerdings sprach Winckler auch die Schattenseiten der Innovation an, denn sie ermögliche Keimbahnmanipulationen und damit die Entwicklung von „Designer-Babys“.

Galenische Optionen

Neue Chancen ergeben sich auch mit etablierten Wirkstoffen. Prof. Dr. Karsten Mäder, Halle, beschrieb das Potenzial galenischer Strategien. Bei paren­teralen Depotsystemen sieht Mäder dringenden Verbesserungsbedarf. Denn anstelle der angeblich gleichmäßig kontrollierten Freisetzung entstehe bei einigen Zubereitungen zunächst eine sehr hohe Konzentrationsspitze. Um Tumortherapeutika an den Wirkort zu bringen, seien Drug-Delivery-Systeme im Nano-Maßstab (Nano-DDS) aussichtsreich, die neben der Pharmakokinetik jedoch auch Parameter wie das Verteilungsvolumen und die Clearance beeinflussen. Allerdings sei eine kontrollierte Freisetzung aus Nano-DDS schwierig zu erreichen.

Vielfalt der Indikationen

Prof. Dr. Peter Ruth, Tübingen, gab einen Überblick über die wichtigsten Arzneimittelinnovationen der vorigen Jahre. Als Indikationen mit veränderten Therapieempfehlungen nannte er insbesondere immunologische Erkrankungen, Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus, rheumatoide Arthritis, Hepatitis C und einige Tumorerkrankungen.

Da die jüngsten therapeutischen Innovationen besonders die Tumortherapie betreffen, ging es in den weiteren Vorträgen um dieses Einsatzgebiet. Der Vorsitzende der Scheele-Gesellschaft, Prof. Dr. Christoph Ritter, führte zunächst in die Mechanismen der Tumorentstehung und -progression ein. Demnach können sich Tumorzellen über negative Regulationsmechanismen der Kontrolle durch das Immunsystem entziehen. Für die Bildung von Metastasen sind außerdem Gefäßneubildungen, Migration, Invasion und klonales Wachstum erforderlich. Genomische Instabilität führt zu heterogenen Tumoren, die wiederum die Resistenzentwicklung erleichtern.

Checkpoint-Inhibitoren gegen Lungenkrebs

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Prof. Dr. Stefan Laufer

Beispiele für therapeutische Innovationen präsentierte der DPhG-Vorsitzende, Prof. Dr. Stefan Laufer, Tübingen, mit den Checkpoint-Inhibitoren gegen Lungenkrebs. Die sehr ungünstige Prognose des weit verbreiteten nicht kleinzelligen Lungenkrebses wurde mit Proteinkinase-Inhibitoren und monoklonalen Antikörpern gegen einzelne Rezeptortyrosinkinasen bereits signifikant verbessert. Doch die erstmals 2015 zur Behandlung des metastasierten Lungenkarzinoms zugelassenen Checkpoint-Inhibitoren bieten weitere Chancen. Dazu betrachtete Laufer das System PD-1/PD-L1. Der PD-1-Checkpoint-Inhibitor Nivolumab habe bei Tumoren mit plattenepithelialer Histologie eine durchschnittliche Lebensverlängerung um 3,2 Monate und damit ein um 40 Prozent geringeres Sterberisiko im Vergleich zur konventionellen Chemotherapie erbracht. Außerdem wird Pembrolizumab eingesetzt, das gegen PD-L1 gerichtet ist. Weitere Checkpoint-Inhibitoren befinden sich in späten Phasen der klinischen Prüfung. Bei anderen Tumorentitäten spreche jedoch nur eine kleine Sub­population mit einem Defekt in DNA-Mismatch-Reparaturgenen auf Checkpoint-Inhibitoren an. Diese Patienten hätten eine erhöhte Mutationslast des Tumors, die wiederum der wichtigste prädiktive Marker für den erfolgreichen Einsatz von Checkpoint-Inhibi­toren sei. Angesichts der hohen Therapiekosten eröffne dies einen guten Ansatz zur Vorauswahl möglicher Responder.

Weiteres Programm

Weitere Anwendungsmöglichkeiten zielgerichteter Tumortherapien beschrieben Prof. Dr. Steffen Emmert, Rostock, für den Hautkrebs und Prof. Dr. Bernd Gerber, Rostock, zum Brustkrebs. Außer den fachlichen Inhalten bot die Scheele-Tagung wieder einen Begrüßungsabend und ein festliches Abendessen. |

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