Arzneimittel und Therapie

Aortenaneurysmen durch Fluorchinolone

Keine Verordnung von Ciprofloxacin und Co. bei Risikopatienten

Von Ralf Stahlmann | Ein aktueller Rote-Hand-Brief vom 26. Oktober warnt vor Aortenaneurysmen und -dissektionen unter Fluorchino­lonen. Eine kausale Beteiligung der Antiinfektiva an der Entstehung dieser lebensbedrohlichen Komplikationen wird angenommen.

Erst am 5. Oktober hat der Pharmakovigilanzausschuss (PRAC) der euro­päischen Zulassungsbehörde (EMA) empfohlen, den Einsatz der Topoiso­merase-Hemmer einzuschränken (s. DAZ 2018, Nr. 41, S. 33). Grund dafür waren Berichte über schwerwiegende Schäden an Muskeln, Sehnen, Knochen und dem Nervensystem. Nun mehren sich die Hinweise für eine mögliche kausale Beteiligung der Fluorchinolone an der Entstehung von Aortenaneurysmen. Wenn ein erhöhtes Risiko bei einem Patienten bekannt ist, sollten Fluorchinolone nicht verordnet werden. Dies ist zum Beispiel bei entsprechender Familienanamnese der Fall. Wahrscheinlich können diese antibakteriellen Wirkstoffe alleine nicht zu Aneurysmen oder Dissektionen führen, aber zusammen mit anderen disponierenden Faktoren könnten sie Schäden mit schwerwiegenden Folgen verursachen.

Foto: Science Photo Library/GCA
Als Aortenaneurysma wird eine Aussackung der Hauptschlagader bezeichnet.

In der Regel tödlich

Aortenaneurysmen und -dissektionen sind seltene, lebensbedrohliche Ereignisse, die mit einer Inzidenz von ca. drei bis 30 Fällen pro 100.000 Personen pro Jahr auftreten. In einigen Untersuchungen wird berichtet, dass Todesfälle aufgrund solcher Aortenschäden in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen haben. In den USA sollen schätzungsweise pro Jahr 15.000 Todesfälle dadurch verursacht werden. Das Risiko kann bei einigen angeborenen Erkrankungen, wie zum Beispiel dem Marfan-Syndrom oder dem Ehlers-Danlos-Syndrom erhöht sein. Aber auch bei Hypertonie oder Atherosklerose sind Aneurysmen und Dissektionen der größten Arterie unseres Körpers relativ häufig. Bei Dissektionen lösen sich die Schichten innerhalb der Gefäßwand voneinander, bei einem Aneurysma liegt eine Aussackung der Aorta vor. Eine Ruptur als Folge dieser Veränderungen endet in der Regel tödlich. Da bei den zuvor erwähnten kongenitalen Erkrankungen Veränderungen des Kollagenstoffwechsels als Ursache erkannt wurden, vermutete man, dass auch Fluorchinolone die Aorta schädigen könnten. Die toxischen Wirkungen dieser antibakteriellen Wirkstoffe auf den juvenilen Gelenkknorpel sowie Sehnen und andere Bindegewebsstrukturen sind bereits seit Langem bekannt.

Aufklärung gefordert

In dem aktuellen Rote-Hand-Brief werden Empfehlungen für den Umgang mit den Risiken für Aortenaneurysmen und -dissektionen gegeben. „Patienten sollten über das Risiko für solche Gefäßschäden informiert werden“, und bei bereits bestehendem Risiko – etwa bei einer Aneurysma-Erkrankung in der Familienanamnese – „sollten Fluorchinolone nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung und Berücksichtigung anderer Therapiemöglichkeiten an­gewendet werden“ [1]. Drei epidemiologische Studien und eine tierexperimentelle Untersuchung stellen die Grundlage für diese Warnungen dar.

Epidemiologische Studien ...

Bereits vor drei Jahren publizierten Wissenschaftler aus Taiwan und aus Kanada ihre Ergebnisse, in denen Assoziationen zwischen der systemischen Therapie mit Fluorchinolonen und einem erhöhten Risiko für Aortenschäden (Dissektion, Aneurysma) beschrieben wurden. In Taiwan wurde ein Ratenverhältnis (rate ratio, RR) von 2,4 (95%-Konfidenzintervall 1,83 bis 3,22) berechnet, wenn das Medikament innerhalb von 60 Tagen vor dem Ereignis eingenommen worden war. Lag die Einnahme länger zurück, war das Risiko etwas geringer [2].

Ähnliche Hinweise kamen aus der kanadischen Studie [3]. Insgesamt wurden dort die Daten von gut 2,2 Millionen Fluorchinolon-Verordnungen bei Patienten über 65 Jahren ausgewertet. Sehnenschäden, Netzhautablösungen und Aortenaneurysmen waren bei Patienten, die ein Fluorchinolon eingenommen hatten, häufiger als bei Patienten ohne solch eine Antibiotika-Therapie. Das Risiko für Sehnenrupturen lag innerhalb des Studienzeitraums von 15 Jahren bei 3,5% vs. 1,3%. Netzhautablösungen waren deutlich seltener (0,26% vs. 0,14%), und für Aorten­aneurysmen wurde ein Risiko von 1,7% vs. 0,7% berechnet. Es vergingen im Median etwa jeweils drei Wochen vom Beginn der Therapie bis zum Auftreten des Ereignisses.

Eine genauere statistische Auswertung zeigte innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen nach Beginn der Behandlung eine Zunahme an Sehnenrupturen und Aortenaneurysmen – sowohl nach einer Therapie mit Fluorchinolonen als auch nach einer Therapie mit Amoxicillin. Nach einer Fluorchinolon-Behandlung war das Risiko jedoch höher (s. Tabelle). In Bezug auf Netzhautablösungen bestand dagegen kein Unterschied zwischen den Gruppen. Die Befunde aus diesen epidemiologischen Studien wurden überwiegend als nicht eindeutig angesehen. So teilte die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) in 2017 mit, dass die bisherigen Informationen nicht ausreichen, um einen Kausalzusammenhang anzunehmen [4].

Tab.: Risikoerhöhung für unerwünschte Ereignisse (in einem Zeitraum bis 30 Tage nach Behandlungsbeginn)
adjustierte Hazard-Ratio
Fluorchinolon
Amoxicillin
Sehnenruptur
2,40
1,41
Netzhautablösung
1,47
1,47
Aortenaneurysma
2,24
1,50

Anfang 2018 wurde jedoch auch in einer schwedischen Studie ein höheres Risiko für Aortenschäden im Zusammenhang mit einer Fluorchinolon-Therapie im Vergleich zur Behandlung mit Amoxicillin ermittelt (s. DAZ 2018, Nr. 16, S. 23). Bei einer landesweiten Datenauswertung wurden bei gut 360.000 Behandlungen insgesamt 64 Patienten mit Aortenaneurysma oder -dissektion innerhalb einer 60-tägigen Periode nach Beginn einer Fluorchinolon-Therapie identifiziert; im Vergleich zu 40 Fällen unter Amoxicillin [5].

In epidemiologischen Studien werden allerdings lediglich Assoziationen ermittelt, ein Kausalzusammenhang kann mit diesen Methoden nicht nachgewiesen werden. Die Datenauswertungen bekommen jedoch ein besonderes Gewicht, da sie unabhängig voneinander in verschiedenen Bevölkerungsgruppen durchgeführt wurden und zu ähnlichen Ergebnissen kamen.

... und ein Tierexperiment

Als weiterer Hinweis gelten die Ergebnisse einer tierexperimentellen Studie an insgesamt 126 weiblichen und männlichen Mäusen [6]. Dabei zeigte sich, dass allein mit oral verabreichtem Ciprofloxacin in einer täglichen Dosierung von 100 mg/kg über vier Wochen keine wesentlichen Aortenschäden herbeigeführt werden konnten. Bei vier von 20 Tieren kam es zu einer leichten Dilatation, aber nicht zu Aneurysmen oder Dissektionen. Wenn die Gefäße der Tiere jedoch vorgeschädigt waren, verstärkte Ciprofloxacin die pathologischen Veränderungen der Hauptschlagader. Um das kardiovaskuläre System zu schädigen, erhielten die Mäuse ein fettreiches Futter für vier Wochen, anschließend wurde diese Maßnahme für vier weitere Wochen fortgesetzt, und zusätzlich wurde über eine Minipumpe Angiotensin II subkutan zugeführt. Unter diesen Bedingungen traten bei der Mehrheit der Mäuse Schäden an der Aorta auf, jedoch keine Rupturen. Bei zusätzlicher täglicher Behandlung mit Ciprofloxacin über vier Wochen waren die Schäden deutlich ausgeprägter: Es kam bei sieben von 48 Mäusen (15%) zur Ruptur und zum Tod.

In detaillierten immunhistologischen Untersuchungen konnten eine deutliche Zunahme der Matrixmetalloproteinase MMP 9 und eine signifikante Abnahme der Lysyloxidase durch das Fluorchinolon nachgewiesen werden. Die Kupfer-abhängige Lysyloxidase oxidiert Lysinreste im Kollagen und Elastin, um eine Quervernetzung zu ermöglichen. Dem Enzym kommt eine entscheidende Rolle für die Aufrechterhaltung der Stabilität und Elastizität der Aortenwand zu.

Vorsicht bei Prädisposition

Auch die Tierexperimente müssen kritisch betrachtet werden. So erscheinen die Versuchsbedingungen zunächst unrealistisch. Berücksichtigt man jedoch die raschere Elimination des Arzneistoffs bei Mäusen im Vergleich zum Menschen, dann ist unter der Anwendung üblicher Skalierungsfaktoren eine Dosierung von 100 mg/kg durchaus vergleichbar mit den üblichen Dosen beim Menschen, die bei ca. 7 bis 15 mg/kg Körpergewicht pro Tag liegen. Die sorgfältig durchgeführten Versuche zeigen, dass offenbar bereits eine Läsion der Aorta vorliegen muss, damit eine weitere Schädigung durch ein Fluorchinolon erfolgen kann. Insgesamt müssen damit Aneurysmen und Dissektionen der Aorta bei disponierten Patienten auf der Basis von epidemiologischen und experimentellen Daten in die Reihe der Risiken durch Fluorchinolone aufgenommen werden. |

Quelle

[1] Systemisch und inhalativ angewendete Fluorchinolone: Risiko für Aortenaneurysmen und -dissektionen. Rote-Hand-Brief vom 26. Oktober 2018; www.bfarm.de; Abruf am 30. Oktober 2018

[2] Lee CC et al. Risk of Aortic Dissection and Aortic Aneurysm in Patients Taking Oral Fluoroquinolone. JAMA Intern Med 2015;175(11):1839-47

[3] Daneman N et al. Fluoroquinolones and collagen associated severe adverse events: a longitudinal cohort study. BMJ Open 2015;5(11):e010077

[4] FDA Drug Safety Communication: FDA updates warnings for oral and injectable fluoroquinolone antibiotics due to disabling side effects. www.fda.gov; Abruf am 30. Oktober 2018

[5] Pasternak B et al. Fluoroquinolone use and risk of aortic aneurysm and dissection: nationwide cohort study. BMJ 2018;360:k678

[6] LeMaire SA et al. Effect of Ciprofloxacin on Susceptibility to Aortic Dissection and Rupture in Mice. JAMA Surg 2018;153(9):e181804

Prof. Dr. Ralf Stahlmann, Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin

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