Die Seite 3

Schattendasein

Foto: DAZ/Kahrmann
Dr. Armin Edalat, Chefredakteur der DAZ

Dass Arzneimittel wirksam und unbedenklich sind, ist nicht nur das Ergebnis von Grundlagenforschung und klinischen Studien. Die Arzneimittelsicherheit entsteht auch nur zum Teil an den Schreibtischen der Zulassungsbehörden.

Entscheidend ist, welches Bewusstsein Patienten für die Risiken ihrer Arzneimittel haben, die sie täglich oder bei Bedarf einnehmen.

Und hier existieren bekanntlich ganz individuelle Ansichten. Die einen behaupten voller Überzeugung, sie hätten „im Leben noch nie eine Tablette eingenommen“. Die anderen bedienen sich regelmäßig und großzügig aus dem, was der Arzneischatz zu bieten hat. Gerade dieser Typ von Verbraucher bestellt, wenn es um kritische Präparate wie Analgetika, Rhinologika oder Hypnotika geht, im Versandhandel, um der aktiven Beratung aus dem Weg zu gehen. Es darf bezweifelt werden, ob Warnhinweise auf Packungen oder freiwillig festgelegte Höchstabgabemengen bei einzelnen Versendern ein wirk­sames Gegenmittel für diese Art von Missbrauch sind.

Dass bestimmte Arzneistoffe teratogen sein können, hat sich mit dem Contergan-Skandal dagegen ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Die meisten Frauen sind heutzutage erfreulicherweise sensibilisiert, wenn in der Schwangerschaft die Anwendung eines Arzneimittels ansteht. Bei Ärzten, Apothekern oder in Internetforen findet daher ein reger Austausch statt. Seit zehn Jahren steht mit Embryotox zudem eine Online-Plattform zur Verfügung, auf der sich Heilberufler und Patienten über die sichere Anwendung von Arzneimitteln in Schwangerschaft und Stillzeit austauschen können. Unabhängige Informationen kommen da aus professioneller Hand. Auf Seite 74 stellen wir vor, wie die Experten hinter den Kulissen arbeiten und ihre Risikoeinschätzungen bilden.

Contergan warf vor 60 Jahren einen großen, dunklen Schatten auf das damalige Arzneimittelwesen. Vier Jahre war das Thalidomid-haltige Präparat auf dem Markt und sorgte für einen der aufsehenerregendsten Arzneimittelskandale in der Bundesrepublik. Viel länger andauernd, aber deutlich weniger bekannt ist dagegen der „Fall Duogynon“. Das Hormonpräparat der Firma Schering wurde 30 Jahre lang u. a. als Schwangerschaftstest vertrieben (S. 62). Mehrere tausend Menschen weltweit führen ihre Missbildungen auf Duogynon zurück, das ihre Mütter während den Schwangerschaften einnahmen. Die Zusammenhänge sind nach wie vor umstritten und alles andere als eindeutig.

Wer weiß, ob sich heutzutage ein Contergan-Skandal oder ein „Fall Duogynon“ nochmal wiederholen wird. Verändert hat sich seitdem die Art der Entwicklung und Zulassung von Arzneimitteln, aber tatsächlich auch das Risikobewusstsein?

Armin Edalat

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