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Bayer hält an Schöllkraut fest

Es gibt die schöllkrautfreie Iberogast-Variante – doch sie soll nicht auf den Markt kommen

BERLIN (bj) | Bayer hätte die Diskussion um mögliche Leberschäden durch Iberogast eigentlich einfach abkürzen können: Denn eine klinisch getestete, schöllkrautfreie Variante steht bereits seit Jahren zur Verfügung. Doch der Konzern will von diesem Plan B keinen Gebrauch machen. Es bestehe kein Anlass, etwas bei Iberogast zu ändern, erklärt Apotheker Dr. Christoph Theurer, Leiter der Medizinischen Abteilung, die bei Bayer für OTC-Produkte zuständig ist.

Schon Pharmaziestudenten lernen, dass Schöllkraut gefährlich für die Leber sein kann. Doch Bayer hat sich zehn Jahre lang Zeit gelassen, in den Packmitteltexten des schöllkrauthaltigen Magenmittels Iberogast entsprechende Warnhinweise aufzunehmen. Erst jetzt ist der Konzern den Vorgaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aus dem Risikobewertungsverfahren von 2008 gefolgt. Denn in diesem Jahr wurden unter Iberogast erneut schwere hepatotoxische Nebenwirkungen gemeldet – darunter auch ein Todesfall, bei dem ein Zusammenhang mit dem Magenmittel möglich ist. Bayer verteidigte sich, die verstorbene Patientin sei bereits krank gewesen.

Wäre es nicht für den Patientenschutz und für das Firmenimage eine gute Idee, wenn Bayer einfach eine schöllkrautfreie Iberogast-Variante auf den Markt bringen würde? Wie Bayer vergangene Woche selbst erklärte, hat das Unternehmen bereits eine schöllkrautfreie Variante seines Verkaufsschlagers in petto. Und zwar hatte vor einigen Jahren der vorherige Zulassungsinhaber Steigerwald eine schöllkrautfreie Pflanzenmischung mit sechs Komponenten (STW 5-II; Iberogast N) entwickelt. Die aktuell vermarktete Iberogast-Komposition enthält Extrakte aus Schleifenblume, Kamillenblüten, Pfefferminzblättern, Kümmelfrüchten, Süßholzwurzel, Zitronenmelisseblättern, Schöllkraut, Angelikawurzel und Mariendistel. Bei Iberogast N fehlen Schöllkraut, Angelikawurzel und Mariendistel.

Doch Dr. Christoph Theurer, Apotheker und Leiter der Abteilung Medizin Consumer Health, erklärt, dass Iberogast N seinerzeit entwickelt wurde, weil die Kommission E des BfArM in den 1980er-Jahren einen Richtlinien­entwurf entwickelt habe, demzufolge pflanzliche Arzneimittel maximal fünf Extrakte enthalten sollten. Bei Iberogast und Iberogast N zählt Süßholz als Geschmackskorrigens und nicht als aktiver Bestandteil. Iberogast N hätte den Vorgaben des Richtlinienentwurfs entsprochen. Der Kommission-E-Entwurf trat jedoch nie in Kraft. Mit der „Sicherheitsthematik“ hätte die Entwicklung von Iberogast N nichts zu tun gehabt, da diese seinerzeit noch nicht bestanden hatte, so Theurer.

Um auf die Sicherheitsdiskussion zu reagieren, wäre aus Sicht von Theurer eine Acht-Komponenten-Mischung ohne Schöllkraut die richtige Antwort gewesen. Doch auch hierfür sieht das Unternehmen keine Veranlassung.

Foto: M. Schuppich – stock.adobe.com
Umstrittenes Schöllkraut Bayer will die Komposition der Phyto-Extrakte in Iberogast nicht verändern.

Bayer: Iberogast mit positivem Nutzen-Risiko-Verhältnis

Denn: „Bayer hat ein wirksames und bei richtiger Anwendung gut verträgliches Arzneimittel im Markt. Wir stehen unverändert zu dem positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis von Iberogast in den zugelassenen Indikationen. Es ergibt sich kein Grund, andere Maßnahmen zu ergreifen.“

Aber welchen Nutzen gibt es eigentlich für Schöllkraut? Für Theurer ist die umstrittene Pflanze eine wertvolle Komponente: „Gleichzeitig haben die Inhaltsstoffe des Schöllkrauts beruhigende und krampflösende Wirkung auf den allgemeinen Verdauungstrakt. Des Weiteren können Auszüge aus Schöllkraut in Iberogast entzündliche Vorgänge reduzieren, indem sie freie Radikale abwehren.“

Studienlage: Wirkung auch ohne Schöllkraut

Doch schaut man in die Studienlage, kommt das Phytopharmakon offenbar auch ohne Schöllkraut aus. Denn bereits in der im Jahre 2002 publizierten Vergleichsstudie mit Doppel-Dummy-Design von Rösch und Kollegen wurde die Wirksamkeit von Iberogast, Iberogast N, Cisaprid und Placebo bei 186 Patienten mit Dyspepsie vom Dysmotilitätstyp getestet. Iberogast und Iberogast N waren beide vergleichbar effektiv, die gastrointestinalen Beschwerden zu lindern. Beide waren signifikant wirksamer als Placebo – und schwächer wirksam als Cisaprid.

Zwei Jahre später veröffentlichten Madisch und Kollegen eine multizentrische Studie mit 208 Patienten mit Reizdarmsyndrom, bei der die Wirksamkeit von Iberogast und Iberogast N und einem Schleifenblumen-Extrakt gegen Placebo miteinander verglichen wurden. Beide Iberogast-Varianten linderten die Reizdarmsymptomatik gleichermaßen und signifikant besser als Placebo. Die Effektivität des Schleifenblumen-Extrakts lag auf Placebo-Niveau. |

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