Die Seite 3

Mauerblümchen

Foto: DAZ/Kahrmann
Dr. Armin Edalat, Chefredakteur der DAZ

Der Streit um schöllkrauthaltige Arzneimittel scheint vorüber zu sein. Mehr als zehn Jahre hatte sich Bayer, zuvor Steigerwald, dagegen gewehrt, die 2008 im Risikobewertungsverfahren vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angeordneten Änderungen der Fach- und Gebrauchsinformation für Iberogast® umzusetzen.

Das Stufenplanverfahren war bereits 2005 eingeleitet worden, da das enthaltene Schöllkraut im Verdacht steht, hepatotoxisch wirksam zu sein. Nun willigte der Pharmakonzern ein, die Produktinformationen zu ergänzen.

Für Politiker wie Kordula Schulz-Asche (Grüne) sind das Vorgänge, die „ein verheerend schlechtes Bild“ sowohl auf die Branche als auch die zuständige Behörde werfen. Etwa 50 Fallberichte über einen möglichen Zusammenhang zwischen Schöllkraut und Leberschäden hätten offenbar nicht bewirken können, dass der Hersteller entsprechende Warnhinweise in die Packungsbeilage aufnehmen muss. Erst nachdem das BfArM einen Zusammenhang zwischen einem Todesfall und der Einnahme von Iberogast® für möglich hielt, habe Bayer letztendlich eingelenkt.

Iberogast® ist also um einige Zeilen im Beipackzettel reicher und die Zusammensetzung aus neun Arzneipflanzen-Extrakten um keine einzige Komponente ärmer geworden. Alles beim Alten und ein guter Tag für alle Anwender, die seit Jahren auf das Präparat schwören. Doch war die Verweigerungshaltung des Herstellers am Ende eine wirklich gute Marketingstrategie?

Die Medienresonanz in der Laienpresse ist durchweg negativ und kann sich noch verheerend auf den Absatz auswirken. Stand Iberogast® bei Apothekenkunden mit Magen-Darm-Beschwerden bisher ganz hoch im Kurs – rund zehn Millionen Mal wurde es pro Jahr verkauft – könnte sich das in Zukunft ändern. Das Phytopharmakon droht zum Mauerblümchen zu werden.

„Von höchster Relevanz“ sei daher die Beratung der Apotheken, kommentiert ein Gesundheitsexperte der Verbraucherzentrale Bundesverband: „Sie werden auch in diesem aktuellen Fall mit vielen Patientenfragen konfrontiert werden.“ Die gezielten Nachfragen könnten weniger, die kritischen Stimmen dagegen mehr werden.

Das pharmazeutische Personal ist also umso mehr gefordert, den Einsatz von Iberogast® im Rahmen der Selbstmedikation zwischen Nutzen und Risiken abzuwägen. Immerhin ist es zugelassen und empfohlen bei funktioneller Dyspepsie und Reizdarmsyndrom. Wirksamkeit und Sicherheit wurde nach Herstellerangaben bei über 7000 erwachsenen Teilnehmern in klinischen Studien nachgewiesen und bei der Behandlung von mehr als 82 Millionen Patienten seit der Markteinführung bestätigt.

In der heutigen Zeit sprießen OTC-Arzneimittel wie Iberogast® nicht mehr aus dem Boden. Die Hürden für pharmazeutische Hersteller sind aus betriebswirtschaftlicher und regulatorischer Sicht fast unüberwindbar geworden. Der einstige „Arzneischatz“ aus den Jahrzehnten des Wirtschaftswunders ist – in den meisten Fällen zu Recht – stark ausgedünnt. Umso mehr ist ein ausgeglichenes „Machtverhältnis“ zwischen Herstellern und Be­hörden im Sinne der Patienten wün­schens- und erstrebenswert.

Vielleicht rückt „Iberogast® N“ nun doch vermehrt in den Fokus, eine Variante mit sechs statt neun Extrakten, ohne Schöllkraut und ohne Gefahr, zum Mauerblümchen der Phytopharmaka zu werden. 

Armin Edalat


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