Arzneimittel und Therapie

„Falscher“ Alarm!

Nitratverbindungen können bei der Sicherheitskontrolle verdächtig werden

Ein Zwischenfall am Frankfurter Flughafen sorgte am 7. August für einige Aufregung. Infolge eines positiven Sprengstofftests am Gepäck einer französischen Familie, wurde ein Terminal geräumt und es kam zu zahlreichen Verspätungen und Flugausfällen. Der Grund für einen solchen Alarm muss allerdings keine Bombe sein. Auch einige Medikamente enthalten einen brisanten Wirkstoff, auf den ein Sprengstoffdetektor anschlägt: Nitroglycerin.
Foto: chalabala – stock.adobe.com

In einem Flugzeug lässt sich mit minimalem Aufwand maximaler Schaden anrichten. Daher sind Flughäfen besonders sensible Bereiche, in denen erhöhte Sicherheitsvorkehrungen gelten. Fluggäste müssen Metalldetektoren passieren und Gepäckstücke werden durchleuchtet. Ergibt sich daraus ein besonderes Verdachtsmoment, kommt zusätzlich ein Sprengstoffdetektor zum Einsatz. Dazu muss zunächst eine Probe genommen werden. Dies kann mit einem speziellen Tuch geschehen, mit dem über die Oberfläche des verdächtigen Gegenstandes gewischt wird und das dabei etwaige Sprengstoffspuren aufnimmt. Aber auch eine Probenahme aus der Luft ist mit einer Art Staubsauger möglich. Luft wird durch einen Filter gesaugt, der organische Moleküle absorbiert. Der Fokus der Kontrolleure liegt oft auf elektronischen Geräten, die nicht gut durchleuchtet werden können.

Verdächtige Kosmetika

In verschiedenen Medien kursieren Berichte über Fehlalarme von Sprengstoffdetektoren durch Glycerin, das in manchen Seifen, Handcremes und anderen Kosmetikartikeln zu finden ist. Glycerin an sich ist zwar nicht explosiv, dient jedoch als Edukt in der Sprengstoffherstellung. Durch die Veresterung der drei Hydroxygruppen mit Nitriersäure erhält man Nitroglycerin. Im Zweifelsfall sollte daher vor dem Flug besser auf das Eincremen der Hände verzichtet werden. Ein Blick aufs Etikett der Creme verschafft Aufklärung da­rüber, ob kritische Bestandteile enthalten sind.

Empfindliche Analysegeräte

Zur eindeutigen Identifizierung möglicher Sprengstoffspuren existieren verschiedene Techniken. Ein System, das an vielen Flughäfen weltweit eingesetzt wird, ist der EGIS™ Defender der Firma Thermo Fisher Scientific. Er ist in der Lage, eine Probe innerhalb von knapp 20 Sekunden zu analysieren. Dafür werden die Analytmoleküle zuerst verdampft und in die Trennsäule eines High-Speed-Gaschromatografen geleitet. Je nach Polarität wechselwirken sie unterschiedlich stark mit der stationären Phase auf der Innenseite der Säule. Dadurch werden manche Moleküle stärker zurückgehalten, andere weniger stark. Jede Substanz erhält so eine charakteristische Reten­tionszeit. Von entscheidender Bedeutung für die Gaschromatografie ist, dass sich die Analyte unzersetzt verdampfen lassen. Im Anschluss werden die aufgetrennten Probenbestandteile mithilfe eines Ionen-Mobilitäts-Spek­trometers analysiert. Der Strom der Analytmoleküle wird hier zunächst ionisiert, die Teilchen erhalten eine Ladung. Anschließend werden sie in einem elektrischen Feld durch ein Gas gezogen und dabei aufgrund von Stößen mit dem Gas abgebremst. Kleinere Ionen bewegen sich hier schneller als große. Am Ende prallen die geladenen Teilchen auf einen Detektor, der ein elektrisches Signal erzeugt. So stellen zwei unterschiedliche Mechanismen die eindeutige Identifizierung eines Moleküls sicher. Der EGIS™ Defender hat eine niedrige Detektionsgrenze und kann bereits Explosivstoffe im Bereich von einigen Pikogramm nachweisen.

Abb.: Die beiden organischen Nitratverbindungen Nitroglycerin und Pentaerythrityltetranitrat (PETN)werden aufgrund ihrer vasodilatatorischen Wirkung zur Behandlung von Angina pectoris eingesetzt.

Explosivstoffe als Arzneimittel

Nitroglycerin (auch Glyceroltrinitrat) ist in erster Linie als empfindlicher Sprengstoff, der schon bei Erschütterungen detonieren kann, bekannt. Wegen seiner gefäßerweiternden Wirkung wird die Substanz jedoch auch zur Therapie von Angina Pectoris, Linksherzinsuffizienz und hyperten­siven Krisen eingesetzt. Nitroglycerin kann in Tablettenform (z. B. Nitronal®), als sublinguales Spray (z. B. Nitrolingual®), als Depot-Pflaster (z. B. Nitroderm®) oder als Infusion (z. B. Trinitrosan®) verabreicht werden. Außerdem ist es in Salben zur Behandlung von Analfissuren (z. B. Rectogesic®) enthalten. Neben Nitroglycerin wird noch ein anderer Sprengstoff aufgrund der Freisetzung des vasodilatatorischen NO als Arzneimittel eingesetzt: Pentaerythrityltetranitrat (PETN). Es wird nach dem selben Mechanismus aktiviert wie Nitroglycerin und ist in Tablettenform unter dem Namen Pentalong® erhältlich.

Wie wirken Nitroglycerin und PTEN?

Nitroglycerin wird schnell und nahezu vollständig absorbiert und hat nur eine Halbwertszeit von ein bis drei Minuten. Bei oraler Gabe wirkt es etwa 25 Minuten lang. Das Nitrat ist ein Pro-Drug. Die metabolische Aktivierung erfolgt durch die mitochondriale Aldehyddehydrogenase 2 (ALDH-2) in den Zellen der glatten Gefäßmuskulatur. In einem zweiten Schritt wird das freigesetzte Nitro-­Anion durch Cytochrom-c-Oxidase zur aktiven Spezies Stickstoffmonooxid (NO) reduziert. Es relaxiert die Gefäße und hemmt die Thrombozytenaggregation. Dadurch kommt es zu einer Senkung des kardialen Sauerstoffverbrauchs und einer Reduktion der Vor- und Nachlast des Herzmuskels. Bei einer hypertensiven Krise führt die ­sublinguale Gabe von 1,2 mg Nitro­glycerin innerhalb von fünf Minuten zu einer deutlichen Senkung des Blutdrucks. Akute Anfälle von Angina pectoris werden mit kurzwirksamen Nitroverbindungen wie Nitroglycerin behandelt. Pentaerythrityltetranitrat (PETN) dagegen wird als Langzeitnitrat zur Prophylaxe von Angina pectoris in Dosen von 50 bis 80 mg zwei- bis dreimal täglich eingesetzt. Bei Patienten mit Angina pectoris und koronarer Herzerkrankung kann durch diese Therapie ein signifikanter Anstieg der Belastungskapazität erreicht werden.

Ein Rechenbeispiel

Zur Behandlung von Analfissuren trägt ein Patient zweimal täglich eine Menge einer Salbe mit 0,4% Nitroglycerin-Gehalt auf, die etwa 1,5 mg Nitroglycerin entspricht. Angenommen von den 1,5 mg bleiben 1% (15 µg) am Finger des Patienten zurück. Durch Waschen der Hände entfernt die Person dann erneut 99% des verbliebenen Wirkstoffes. Im Anschluss bedient sie ihren Laptop und überträgt von den verbliebenen 150 ng nur 1% (1,5 ng) auf das Gerät. Diese Prozedur wiederholt sie zweimal jeden Tag und sorgt so für eine unsichtbare aber umfangreiche Kontamination verschiedener Gegenstände. Möchte sie nun einen Flug in den Urlaub antreten und gerät in eine Sprengstoffkontrolle, lässt sich mit einem empfindlichen Gerät mit einer Nachweisgrenze im Pikogramm-Bereich ohne Probleme der Explosivstoff nachweisen. Patienten sind daher gut beraten, wenn sie beim Auftragen von Nitroglycerin-haltigen Salben immer einen Fingerschutz verwenden (z. B. Frischhaltefolie oder Fingerling). Ein ähnliches Szenario ist auch für die tägliche Einnahme von Tabletten vorstellbar. In einem solchen Fall kann nicht von einem „Fehlalarm“ gesprochen werden, da das Gerät ja seine Aufgabe gemeistert hat. Zwar lässt sich aus Nitroglycerin-Tabletten keine Bombe bauen, doch der Weiterflug dürfte fürs Erste ausfallen. |

Quelle

Aktories K et al. Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie, 2013;11. Auflage

Bussmann WD et al. Comparison of nitroglycerin with nifedipine in patients with hypertensive crisis or severe hypertension. Clin Investig 1992;70(12):1085-8

Divakaran S et al. The Role of Nitroglycerin and Other Nitrogen Oxides in Cardiovas­cular Therapeutics. J Am Coll Cardiol 2017;70(19):2393-2410

Fachinformation Rectogesic® 4 mg/g Rektal­salbe. Stand Mai 2016

Friedrich EB et al. Pentaerythrityltetranitrat. Dtsch med Wochenschr 2006;131(14):749-750

Moore DS. Instrumentation for trace detection of high explosives. Rev Sci Instrum 2004;75(8):2499-2512

Thermo Fisher Scientific. Thermo Scientific EGIS Defender – Product Specifications 2010

Ulrich Schreiber

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