Grafik: DAZ/ekr

Toxikologie

Wie gefährlich ist NDMA in Valsartan?

Eine Bewertung aus toxikologischer Sicht

Zahlreiche Valsartan-haltige Generika stehen im Verdacht, mit dem potenziell kanzerogenen Stoff N-Nitroso-dimethylamin (NDMA) kontaminiert zu sein und wurden deshalb zurückgerufen. Diese – auch als Dimethylnitrosamin bekannte – Chemikalie steht seit Jahrzehnten im Fokus der Toxikologie. Im Zusammenhang mit der aktuellen Rückrufaktion stehen zahlreiche Fragen im Raum hinsichtlich regulatorischer Defizite, vor allem was den Generikamarkt angeht. Hier sollen jedoch zunächst die toxikologischen Aspekte besprochen werden, die sich aus der Verunreinigung des AT1-Ant­agonisten ergeben. Wie hoch ist die NDMA-Dosis, die ein Patient auf diesem Wege zu sich nimmt? In welchem Ausmaß kann das NDMA aus Valsartan-haltigen Arzneimitteln das gesundheitliche Risiko durch NDMA aus anderen Quellen erhöhen? Geht es doch um einen Stoff mit einer besonders hohen kanzerogenen Potenz, weshalb eine Minimierung der Exposition ohne Zweifel geboten ist. | Von Ralf Stahlmann

Exogene und endogene Nitrosamin-Exposition

Der Mensch nimmt N-Nitroso-Verbindungen aus verschiedenen Quellen auf, daneben können sie auch im Organismus entstehen. Die exogene Exposition erfolgt über bestimmte Nahrungsmittel, wie gepökeltes oder geräuchertes Fleisch, sowie mit dem Tabakrauch. Mit dem Rauch einer Filterzigarette nimmt man über den Hauptstrom bis zu 30 ng an flüchtigen Nitrosaminen sowie ca. 1 µg an tabakspezifischen Nitrosaminen auf. Da der Nitrosamin-Gehalt im Nebenstromrauch deutlich höher ist, stellt auch das Passivrauchen eine wichtige Expositionsart dar. Einige andere Expositionsszenarien fanden besondere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Aufsehen erregte bereits vor vierzig Jahren die Nachricht aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), dass der Stoff im Bier enthalten sei, 25 Jahre später wies das Bundesinstitut für Risikobewertung auf die (vermeidbaren) relativ hohen Konzentrationen in Luftballons hin [BfR 2003, BfR 2011]. Auf all diesen Feldern gab es große Anstrengungen, um die Exposition so weit wie möglich zu reduzieren. Dies ist in der Regel auch weitgehend gelungen. Für die Exposition mit potenten, geno­toxischen Kanzerogenen wie NDMA gilt das ALARA-Prinzip (as low as reasonably achievable), nach dem die Belastung so gering zu halten sei, wie dies mit vernünftigen Mitteln machbar ist.

Unter der endogenen Exposition versteht man die Bildung von N-Nitrosaminen im menschlichen Organismus durch die Reaktion von Aminen und anderen Verbindungen mit nitrosierenden Agenzien wie Nitrit oder Stickoxiden. Nitrit kann dabei reduktiv aus Nitrat, das in zahlreichen Lebensmitteln in höheren Konzentrationen vorhanden ist, gebildet werden. Eine sichere Abschätzung der Mengen an endogen gebildeten N-Nitroso-Verbindungen ist angesichts der zahlreichen individuell sehr unterschiedlichen Einflussgrößen kaum möglich. Das früher weit verbreitete Analgetikum und Antipyretikum Aminophenazon wurde wegen seiner leichten Nitrosierbarkeit unter Bildung von NDMA Ende der 1970er-Jahre vom Markt genommen. Heute wird bereits in der präklinischen Entwicklung die Nitrosierbarkeit von neuen Arzneistoffen mit verdächtigen Gruppen untersucht.

Valsartan

Wenn in der aktuellen Affäre die NDMA-Verunreinigung des Wirkstoffes Valsartan Besorgnis bereitet, ist dies im Gegensatz zum Fall „Aminophenazon“ eine exogene Exposition. Ursache ist wohl eine Umstellung im Ablauf der Synthese des Wirkstoffs, wie in einem früheren Beitrag in der DAZ ausführlich dargestellt wurde [Buschmann H, Holz­grabe U, DAZ 2018, Nr. 29, S. 22]. Viele Fragen sind in diesem Zusammenhang offen und müssen regulatorisch geklärt werden. Von der europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) wurden einige grundsätzliche Fragen formuliert, um zunächst einmal die Menge an NDMA in den verschiedenen Chargen Valsartan systematisch zu erfassen. Zunächst werden die Hersteller, die den potenziell mit NDMA kontaminierten Wirkstoff des chinesischen Herstellers in Verkehr gebracht haben, um detaillierte Angaben hinsichtlich der Variabilität der Konzentrationen in den verschiedenen Chargen um Auskunft gebeten. Da die Bildung des NDMA wahrscheinlich mit dem „Zusammenbau“ des Tetrazol-Restes im Valsartan-Molekül zusammenhängt, wurden auch andere Hersteller aufgefordert, genaue Angaben über den Syntheseweg zu machen, damit abgeschätzt werden kann, ob sich Nitrosamine gebildet haben könnten [CHMP 2018]. In diesem EMA-Dokument vom 16. Juli 2018 findet man auch einige Angaben zu den Mengen des NDMA, die in dem Wirkstoff Valsartan aus der Produktion des chinesischen Herstellers Zhejiang Huahai Pharmaceutical nachgewiesen wurden. In einer kleinen Anzahl von Stichproben wurde NDMA in Konzentrationen von 3,4 ppm bis 120 ppm (im Mittel 66,5 ppm) nachgewiesen. Genauere Angaben aus einer größeren Anzahl Proben sind notwendig. Für eine grobe Überschlagsrechnung sollen die bisherigen Analysenergebnisse hier jedoch dienen.

Der Tabelle lässt sich die Menge an NDMA entnehmen, die ein Patient mit einem Valsartan-haltigen Medikament aufnimmt, wenn der Wirkstoff mit 120 ppm (= 120 µg/g) ver­unreinigt ist. Angenommen wird eine tägliche Einnahme des Antihypertensivums in einer Dosis von 160 mg. Mit der Einnahme einer Tablette werden gleichzeitig 19 µg NDMA aufgenommen. In welchem Verhältnis steht dies zur Auf­nahme von Nitrosaminen mit der Nahrung?

Tab.: NDMA-Mengen, die bei täglicher Einnahme von 160 mg Valsartan aufgenommen worden sein könnten.
Zeitraum
Dosis Valsartan
Dosis NDMA (gerundet)
hohe Kontamination (120 ppm)
niedrige Kontamination (3,4 ppm)
1 Tag
  0,16 g
  19 µg
0,54 µg
30 Tage
 4,8 g
 600 µg
 16 µg
365 Tage
58,4 g
7000 µg
200 µg

Angesichts des sehr variablen Gehaltes von Nitrosaminen in Lebensmitteln und der unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten der Menschen ist es nicht einfach, Angaben über die mittlere Aufnahme dieser Verbindungen mit der Nahrung zu machen. Hinzu kommt, dass unterschieden werden muss zwischen flüchtigen Nitrosaminen, wie NDMA, und anderen Nitrosaminen. Man kann jedoch davon ausgehen, dass ein Westeuropäer mit der Nahrung etwa 0,2 µg bis 0,3 µg an flüchtigen Nitrosaminen pro Tag zu sich nimmt [Eisenbrand und Habermeyer 2013]. Mit der Einnahme einer Tablette, die den kontaminierten Valsartan-Wirkstoff enthält, wird also die Aufnahme mit der Nahrung um ein Vielfaches überschritten.

Kanzerogene Wirkung im Tierexperiment

Die kanzerogene Wirkung der Nitrosamine ist seit Langem bekannt. Bereits 1956 wurde gezeigt, dass NDMA Leberkrebs bei Ratten verursacht. Heute sind etwa 300 Substanzen entsprechend untersucht, mit mehr als 90% erhielt man positive Ergebnisse. Bis heute ist keine Spezies bekannt, bei der N-Nitrosamine keine Tumoren induzieren können. Es ist daher davon auszugehen, dass die Stoffe auch beim Menschen kanzerogen wirken können, zumal keine grundsätz­lichen Unterschiede hinsichtlich der Kinetik und Biotransformation zwischen Mensch und Tier bekannt sind. Die kanzerogene Potenz der verschiedenen Nitrosamine ist von ihrer Struktur abhängig: hängen am α-C-Atom mehrere Substituenten, erschwert dies die Hydroxylierung und Aktivierung der Stoffe.

Nitrosamine sind Präkanzerogene, die im Organismus durch eine Hydroxylierung am α-C-Atom metabolisch aktiviert werden. Dies geschieht durch eine Cytochrom-P450-Monooxygenase wie CYP2E1. Das durch Hydroxylierung gebildete instabile Produkt (α-Hydroxynitrosamin) zerfällt unter Eliminierung des entsprechenden Aldehyds zum ultimalen Kanzerogen Alkyldiazohydroxid bzw. Diazoniumion oder Carbenium-Intermediat, welches Zellbestandteile wie DNA, RNA und Proteine alkylieren kann (s. Abb. 1).

Abb. 1: Aktivierung von NDMA durch oxidativen Metabolismus zu reaktiven Zwischenprodukten [Eisenbrand G, Habermeyer M. 2013]

Die primäre Gentoxizität von NDMA ist in zahlreichen In-vitro- und In-vivo-Studien belegt. Bedeutsam ist vor allem die Methylierung von DNA-Basen wie Adenin oder Guanin. Im Hinblick auf die Krebsinduktion spielt das O6-Addukt von Guanin eine besondere Rolle. In der Folge kommt es zu Basenfehlpaarungen (GC → AT-Transitionen) und zu Mutationen, die zu Krebs führen. Darüber hinaus lösen Nitrosamine auch Chromosomenschäden aus. Da NDMA direkt mit der DNA interagiert, kann von einer linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung ohne Schwellenwert ausgegangen werden. Geringe Mengen können also bereits zu Schäden führen, dabei darf aber nicht vergessen werden, dass auch bei diesen Stoffen mit abnehmender Exposition das Risiko geringer wird.

Betrachtet man die niedrigsten Werte aus Tierexperimenten, die für NDMA erforderlich sind, um Krebs auszulösen, und vergleicht diese mit den mittleren Belastungen des Menschen, so zeigt sich, dass die täglichen Belastungen um ein Vielfaches geringer sind, als es dem tierexperimentellen NOEL (no observed effect level) entspricht [Knasmüller, 2014]. Da im Experiment jedoch nur eine begrenzte Anzahl von Tieren – meist 50 Tiere pro Dosis – eingesetzt werden, und von einer linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung auszugehen ist, sind Nitrosamin-verursachte Krebserkrankungen des Menschen durchaus möglich. Minimierung der Belastung mit diesen Stoffen ist daher oberstes Gebot.

Fazit

Eine Kontamination von Arzneistoffen mit potenten Karzinogenen ist nicht akzeptabel. In diesem Fall führt die Verunreinigung von Valsartan mit dem Nitrosamin NDMA zu einer täglichen Aufnahme, die unter Worst-Case-Betrachtung (Chargen mit hoher Kontamination) zu deutlich höheren Expositionen führt, als über die Nahrung oder durch Rauchen.

Der Nachweis toxikologisch kritischer Kontaminanten in Wirkstoffen in Abhängigkeit von den Produktionsverfahren ist nicht neu, sondern auch bei anderen Stoffen als Valsartan bekannt. In der Regel werden sie bei der Qualitätskontrolle entdeckt. Skandalös an diesem Fall ist die Tatsache, dass die Kontamination nicht bei vorgeschriebenen Kontrollen entdeckt wurde, sondern erst nach einem anonymen Hinweis. Um derartige Vorkommnisse zu verhindern, scheint mehr Überwachung und mehr Transparenz über Herkunft, Herstellung und Qualitätskontrolle auf dem Arzneimittelmarkt – und insbesondere bei den Generika – erforderlich. |

Literatur

Buschmann H, Holzgrabe U: NDMA in Valsartan - Eine Spurensuche. DAZ 2018;29:22-26

Eisenbrand G, Habermeyer M: N-Nitrosoverbindungen. In: Marquardt H, Schäfer SG, Barth H. Toxikologie. 3. Auflage 2013, WVG Stuttgart

CHMP List of Questions, EMA, Referral under Article 31 of Directive 2001/83/EC, 16. Juli 2018, www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Referrals_document/Valsartan_31/WC500252177.pdf

Nitrosamine in Luftballons. Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) vom 4. Dezember 2003, www.bfr.bund.de/cm/343/nitrosamine_in_luftballons.pdf

Spielzeug aus Natur- und Synthesekautschuk für Kinder unter drei Jahren: Freisetzung von N-Nitrosaminen sollte so gering wie möglich sein. Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) vom 17. Januar 2011

Knasmüller S: Krebs und Ernährung. Risiken und Prävention – wissenschaftliche Grundlagen und Ernährungsempfehlungen. 1. Auflage 2014, G. Thieme, Stuttgart, New York

Autor

Prof. Dr. Ralf Stahlmann, ehem. Direktor des Instituts für Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin

autor@deutsche-apotheker-zeitung.de

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1 Kommentar

Valdsatanskandal

von Richard Freitag am 25.07.2018 um 21:43 Uhr

Endlich mal ein fachlich kompetenter Mensch der mit klaren Fakten informiert und nicht verharmlosend die weitverbreitete Ingnoranz bedient. Als betroffener Patient habe ich nur durch Zufall von dieser „Valsartangeschichte“erfahren. Von meinem Hausarzt, der mir Valsartan von Stada seit langem verschreibt und der Apotheke die mich mit der Arznei beliefert hat, habe ich auf meine Fragen nur abwiegelnde und verharmlosende Reaktionen erfahren. Ich könnte mich jetzt als Versuchskarnickel fühlen, umgeben von Handlangern der übermächtigen Pharmaindustrie (Mafia) , aber da ich mein Leben sehr schätze, bin ich dankbar über diesen Beitrag. Es freut mich zusehen, dass es noch Menschen gibt,die noch unterscheiden können.Die den Mut haben in der heutigen Zeit, wo es scheinbar nur noch um Geld und Profit geht, sich die Zeit nehmen und Aufklärungsarbeit leisten.

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