Die Seite 3

Das Valsartan-Desaster

Foto: DAZ/Kahrmann
Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin der DAZ

Eine Rückrufwelle Valsartan-haltiger Arzneimittel rollt und verunsichert Patienten, Apotheker und Ärzte gleichermaßen (s. S. 13). Die Informationen zu den Hintergründen sind dürftig. Valsartan, produziert von dem chinesischen Hersteller Zhejiang Huahai Pharmaceutical, soll mit N-Nitrosodimethylamin (NDMA) verunreinigt sein, man arbeite mit Hochdruck an der Aufklärung, so die ersten offiziellen behördlichen Verlautbarungen am 4. Juli 2018. Am 5. Juli erfolgten dann tatsächlich die ersten Rückrufe, die seitdem so vor sich hinplätschern. Dass dies so schleppend geht, ist in Zeiten der digitalen Datenverarbeitung schon sonderbar. Warum können unsere Überwachungsbehörden nicht mit einem Mausklick nachvollziehen, in welchen Präparaten denn der unter Verdacht geratene Wirkstoff des chinesischen Herstellers enthalten ist, und warum können sie nicht mit einem zweiten Klick zeitnah den Rückruf veranlassen? Hier rächt sich wieder einmal, dass in Deutschland und Europa kein Inverkehrbringer transparent machen muss, wer denn der Wirkstoff- bzw. Lohnhersteller ist. Wären solche Angaben inklusive Herstellungsdatum den Produktinformationen oder der Packung zu entnehmen gewesen, hätten Apotheker und auch die Patienten sehr schnell betroffene Präparate identifizieren und handeln können.

Eine weitere Frage, die einen Pharmazeuten umtreibt, ist die: Warum wurde diese Verunreinigung nicht schon früher von einem der zahlreichen „endfreigebenden“ Hersteller bei der Chargenprüfung entdeckt? Wie konnte es überhaupt zu dieser Verunreinigung kommen? Ein Syntheseproblem, von dem vielleicht weitere Wirkstoffe betroffen sind? Oder, man mag es sich gar nicht ausmalen, eine auf anderem Wege eingebrachte NDMA-Verunreinigung, die auch alle weiteren bei Zhejiang Huahai Pharmaceutical produzierten Wirkstoffe betreffen könnte?

Und ganz entscheidend: Seit wann besteht die Kontamination und mit welchen Konzentrationen des als wahrscheinlich krebserregend eingestuften N-Nitrosodimethylamins muss denn pro mg Valsartan gerechnet werden? EMA und BfArM beschwichtigen zwar und verkünden, dass, das Arzneimittel abzusetzen, gefährlicher sei, als ein eventuell belastetes weiter einzunehmen. Doch das reicht nicht! Warum werden wir Apotheker nicht über die Erkenntnisse informiert, die man zu den tatsächlichen Konzentrationen hat? So tappen wir, die an vorderster Front die Patienten beraten und beruhigen sollen, auch in dieser Frage vollkommen im Dunkeln.

Ungeachtet all dieser ungeklärten Fragen drohen jetzt als Folge der Rückrufwelle Lieferengpässe, über deren Ausmaß nur spekuliert werden kann. Denn bis zum Redaktionsschluss waren gefühlt alle Generika mit Rang und Namen betroffen. Lediglich TAD Pharma und Mylan Dura hatten schriftlich gegenüber unseren Redaktionen erklärt, keinen Wirkstoff von Zhejiang Huahai Pharmaceutical bezogen zu haben. Und ja, auch der Originalhersteller Novartis versicherte, dass das Valsartan aus konzerneigener Produktion stamme und die Originale nicht betroffen seien. Nur liegen die Preise dieser Präparate über dem Festbetrag und sind ein Vielfaches teurer als Generika. Wie werden sich die gesetzlichen Krankenkassen verhalten, wenn kein preiswertes Generikum mehr zu beziehen ist? Werden sie die teuren Novartis-Präparate, so sie denn noch verfügbar sind, klaglos erstatten oder bleiben die Patienten auf den Kosten sitzen?

Fragen über Fragen, die dringend beantwortet werden müssen. Fakt ist, dass unsere Abhängigkeit von immer weniger und gleichzeitig immer größer werdenden Wirkstoffherstellern die sichere Arzneimittelversorgung massiv gefährdet. Das Beispiel Ibuprofen zeigt, dass schon der Ausfall einer Produktionsanlage durch eine Naturkatastrophe ungeahnte Folgen haben kann (s. S. 19). Das Valsartan-Desaster unterstreicht, dass alles noch viel schlimmer kommen kann.

Doris Uhl

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