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Wirtschaft

Tierkliniken immer mehr in Kettenhand

Tierärzte und der Fremdbesitz

Für Tierarztpraxen gibt es kein Fremdbesitzverbot. Seit drei Jahren kaufen ausländische Tierarztketten deutsche Tierkliniken. Damit haben sich die beiden schwedischen Ketten AniCura und Evidensia inzwischen in Deutschland etabliert. AniCura wurde kürzlich vom US-amerikanischen Mars-Konzern übernommen. Wie sieht die tierärztliche Versorgungslandschaft unter diesen Bedingungen aus? | Von Thomas Müller-Bohn

In den USA und Großbritannien sind Kettenstrukturen bei Tierärzten schon lange etabliert. In Schweden wurde AniCura 2011 als erste Kette von der Investmentgesellschaft Fidelio Capital und der Stiftung des Stockholmer Tierkrankenhauses gegründet, 2012 folgte Evidensia als Zusammenschluss von vier schwedischen Tierkliniken. Beide expandieren schnell und wurden bald auch in anderen europäischen Ländern tätig. Zu beiden Ketten gehören überwiegend Kliniken, also große Einheiten, die Versorgung auf einem hohen technischen und fachlichen Niveau bieten, die in ihrer Region eine Schlüsselstellung für die Versorgung haben und deren Übernahme erheblichen finanziellen Aufwand erfordert. Für Inhaber von Kliniken bieten die Ketten damit eine willkommene Option als finanzstarke Käufer für die Nachfolgeregelung. Dies wird zunehmend wichtig, denn ebenso wie viele Apotheker und niedergelassene Ärzte stehen auch sehr viele Tierärzte kurz vor dem Rentenalter.

Zu AniCura gehören inzwischen etwa 200 Kliniken mit etwa 4.000 Mitarbeitern, darunter 1.200 Tierärzte, in sieben europäischen Ländern. Evidensia besteht nach Angaben auf seiner Internetseite aus 600 Kliniken und Praxen in acht europäischen Ländern. Diese große Zahl schließt vermutlich die britische Independent Vetcare ein, die demselben Hauptinvestor, der schwedischen Investmentgesellschaft EQT, gehört. Auf der deutschen Internetseite von AniCura werden 30 Standorte und bei Evidensia 9 deutsche Standorte genannt. Angesichts von schätzungsweise etwa 150 großen Tierkliniken in Deutschland erscheint dies nach nur drei Jahren im Markt beachtlich. Wenn regional mehrere Kliniken in der Hand einer Kette sind, wie in Teilen Baden-Württembergs, kann dies schon jetzt die Auswahl bei Überweisungen vermindern.

Deutsche Konzepte

Deutsche Betreiber haben dagegen solche Strukturen bisher offenbar nicht entwickelt. Smartvet ist eine Franchisegruppe, die auf ihrer Internetseite 20 Praxen ausweist. Dies ist kein Fremdbesitz, sondern mit Franchisestrukturen bei Apotheken vergleichbar, wobei das Marketing im Mittelpunkt steht. Außerdem geht es dabei um typische Tierarztpraxen und nicht um große Kliniken. Andere Akteure ­setzen auf Kapitalbeteiligungen, aber ohne gemeinsamen Marketingauftritt. So erwirbt VetSana Beteiligungen an Tierarztpraxen, um – nach eigenen Angaben – einen unabhängigen Tierarztpraxenverbund in Deutschland aufzubauen. Die Eigenverantwortung soll bei den Tierärzten bleiben, aber im Rahmen von Nachfolgeregelungen können die Nachfolger wählen, wie weit sie sich finanziell engagieren möchten, so die Idee nach Darstellung von VetSana.

Einstieg von Mars in Europa

Die jüngste Entwicklung auf diesem Gebiet ist die Übernahme von AniCura durch den US-amerikanischen Mars-Konzern, der sein Geschäft immer mehr von Süßwaren auf Tiernahrung verlagert. Weltweit erzielt der Konzern schon über die Hälfte seiner Umsätze mit der Tierversorgung. Dazu gehören das weltweite Geschäft mit Tiernahrung und die bisher auf Nordamerika beschränkten Tierarztketten. Der Unternehmensbereich Mars Petcare kann nach Angaben des Unternehmens auf eine Tradition von 75 Jahren zurückblicken, beschäftigt circa 75.000 Mitarbeiter in über 55 Ländern und besteht aus etwa 50 Marken, darunter drei der fünf größten Tierfuttermarken der Welt, Pedigree, Whiskas und Royal Canin. Gemäß dem Beitrag des Branchenkenners Jörg Held im Tierarztnewsletter „wir-sind-tierarzt.de“ gehören zu Mars Petcare auch die größte US-Tierarztkette Banfield mit 975 Standorten, VCA mit mindestens 750 Praxen in den USA und Kanada, die Tierklinikkette Bluepearl Veterinary Partners mit 65 Kliniken und das tierärztliche Beratungs- und Einkaufsnetzwerk Pet Partners in den USA.

Anfang Juni kündigte Mars die Übernahme von AniCura an. Der schwedische Konzern bestätigte dies am 11. Juni und begrüßte die Übernahme als neuen Weg zur Förderung der medizinischen Qualität. Der Name AniCura soll erhalten bleiben. Eine Woche zuvor hatte Mars Petcare gemeldet, das britische Tierarztpraxisnetzwerk Linnaeus vom Investmentfonds Sovereign Capital Partners zu übernehmen. Mars Petcare bezeichnet diese beiden Übernahmen als „Start in den europäischen Markt“.

Perspektive für Mars

Angesichts der Tradition von Mars auf diesem Gebiet geht es hierbei offensichtlich um eine langfristige Positionierung. Der europäische Tierärztemarkt ist offenbar reif für einen solchen internationalen Anbieter. Held spekuliert daher bei „wir-sind-tierarzt.de“, dass weitere Akquisitionen folgen dürften. Der US-Konzern erwarte, dass der europäische Markt der Versorgung von Haustieren deutlich wachsen werde. Im Gespräch mit der DAZ prognostizierte Held, dass AniCura demnächst auch Tierarztpraxen in Europa kaufen werde. Denn ein solches Unternehmen setze auf viele Standorte und dies sei allein mit großen Tierkliniken nicht zu erreichen.

Nutztiere nicht betroffen

Anders als bei Apotheken mit ihrem gesetzlichen Versorgungsauftrag habe der Staat bei Tierärzten für Haus- und Heimtiere kein Interesse, die Verbraucher in besonderer Weise zu schützen, erläuterte Held. Bei Tierärzten für Nutztiere wäre dies mit Blick auf die Lebensmittelsicherheit ganz anders. Solche Ketten unter dem Einfluss großer Fleischerzeuger wären nicht zu akzeptieren. Doch das ist derzeit kein Thema. Denn die hier erwähnten Tierarztpraxen und -kliniken behandeln fast nur Haus- und Heimtiere. Dass der Staat hier offenbar keinen Bedarf für einschränkende Regelungen sieht, kann daher nicht auf die Apotheken und die Arzneimittelversorgung übertragen werden.

Ausblick

Dennoch bleibt die weitere Entwicklung bei den Tierärzten interessant. Dort stehen zunehmend einzelne voll haftende Heilberufler im Wettbewerb mit Kapitalgesellschaften. Allerdings ist Preisdumping zumindest bei den großen Ketten kein Thema. Vielmehr gelten die Klinikketten als Hochpreisanbieter, die für ihr umfangreiches Angebot auf höchstem Qualitätsniveau entsprechende Preise verlangen. Auch gegenüber anderen Tierärzten setzen die Ketten voll auf Qualität. Sie bieten sich für Überweisungen bei komplizierten Behandlungsfällen an und veranstalten sogar Fortbildungen für Tierärzte. Die meisten Tierbesitzer suchen Kliniken nur in besonderen Fällen auf. Daher dürfte das Thema aus der Sicht der Tierbesitzer erst bedeutsam werden, wenn es „normale“ Praxen für die alltägliche Versorgung betrifft. Doch dann stellt sich langfristig möglicherweise die Frage, ob tierärztliche Leistungen für die Tierbesitzer bezahlbar bleiben. |

Autor

Dr. Thomas Müller-Bohn

Apotheker und Dipl.-Kaufmann, auswärtiges Mitglied der Redaktion der Deutschen Apotheker Zeitung

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