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Juristen attestieren G-BA Reformbedarf

BMG veröffentlicht Gutachten zur verfassungsrechtlichen Legitimation des mächtigen Gremiums

BERLIN (ks) | Ist der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) verfassungsrechtlich ausreichend legi­timiert? Das Bundesgesundheits­ministerium (BMG) hatte drei Rechtsprofessoren beauftragt, diese Frage zu beleuchten. Seit Dezember 2017 liegen die Gutachten vor. Auf Nachhaken des FDP-Bundestagsabgeordneten Andrew Ullmann sind sie nun auch veröffentlicht. Die Juristen kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, sehen aber alle Nachbesserungsbedarf.

Der G-BA hat weitreichende Befugnisse – er konkretisiert den Leistungsumfang der Gesetzlichen Krankenversicherung. Beispielsweise legt er fest, welche OTC-Arzneimittel ausnahmsweise verordnungsfähig sind. Doch es gibt immer wieder Zweifel an der verfassungsrechtlichen Legitimation des mächtigen Selbstverwaltungsgremiums. Während das Bundessozialgericht diese Bedenken nicht teilt, hatte das Bundesverfassungsgericht bislang keine Gelegenheit, sich tiefgehend mit der Frage zu befassen. Es kratzte allerdings an ihr und sprach von „gewichtigen Zweifeln“ an der demokratischen Legitimation des G-BA als Institution. Das geschah nur am Rande von Entscheidungen und blieb für diese am Ende unerheblich – und doch ließ es aufhorchen.

Dem BMG gaben diese Zweifel Anlass, die verschiedenen gesetzlichen Grundlagen zu den zahlreichen Regelungsaufträgen des G-BA umfassend juristisch analysieren zu lassen. Anfang 2017 gab es gleich drei Rechtsgutachten zu diesem Thema in Auftrag. Dann hörte man erst einmal nichts mehr.

Dieses Jahr im März erkundigte sich die FDP-Bundestagsfraktion in einer Kleinen Anfrage bei der Bundesregierung, wie es um die Gutachten bestellt ist. Das BMG erklärte im April in seiner Antwort, dass ihm diese seit Dezember 2017 vorliegen. Es habe sie noch nicht veröffentlicht, weil es der Bundesregierung obliege, die in den Gutachten behandelten Fragen zu prüfen und weiterführende Entscheidungen zu treffen. „Durch eine Veröffentlichung der Gutachten sollte dem nicht vorgegriffen werden“, hieß es. Die Frage, zu welchen Ergebnissen die Gutachten kamen, beantwortete das BMG ebenfalls knapp: Sie spiegelten „die Bandbreite der in der Rechtswissenschaft vertretenen Positionen hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Legitimation des G-BA wider“.

FDP-Politiker bemüht das IFG

Doch diese Antwort reichte dem FDP-Politiker Ullmann nicht – er wollte die Gutachten in Gänze und stellte daher einen entsprechenden Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Nun hat das BMG sie tatsächlich veröffentlicht. Alle drei Gutachter sehen einen gewissen Reformbedarf – allerdings alle einen etwas anderen.

Prof. Thorsten Kingreen (Universität Regensburg) kommt zu dem Ergebnis, dass der G-BA für den Erlass allgemeinverbindlicher Richtlinien, die ­sogenannte Außenseiter (Versicherte und nicht im G-BA repräsentierte Leistungserbringer, z. B. Arzneimittelhersteller oder Apotheker) mit einer ge­wissen Intensität betreffen, keine ­verfassungsrechtlich hinreichende ­Legitimation besitzt. Er schlägt eine „minimalinvasive Reform“ vor, die die Selbstverwaltung stärken soll, ohne ihre Strukturen und Entscheidungs­verfahren zu schwächen: Nämlich die Möglichkeit einer ministeriellen Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Richtlinien des G-BA. Dabei soll es im Fall, dass die Richtlinien Rechtspositionen der genannten „Außenseiter“ betreffen, im Rahmen der Fachaufsicht eine Zweckmäßigkeitsprüfung vornehmen. Im Übrigen bleibt es bei der bislang üblichen Rechtsaufsicht.

Prof. Ulrich M. Gassner (Universität Augsburg) nennt konkrete Regelungen, die aus seiner Sicht kritisch sind und keine ausreichend genaue gesetzliche Anleitung mitgeben. Darunter § 34 Abs. 1 SGB V, der den OTC-Verordnungsausschluss und seine Ausnahmen regelt. Zudem fordert er genauere Definitionen in wichtigen Bereichen, etwa bei der frühen Nutzenbewertung und zentralen Begriffen wie der „schwerwiegenden Erkrankung“. Ferner bedürfe es struktureller Reformen, um Funktionsdefizite zu beheben. So sollten künftig Patientenorganisationen bei der Berufung der unparteiischen G-BA-Mitglieder mitwirken.

Prof. Winfried Kluth (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) hat wohl die geringsten Probleme mit dem Legitimationsniveau des G-BA. Auch dritten Leistungserbringern stünden ausreichend gesetzliche Beteiligungsrechte zu. Allerdings bringt er den Vorschlag ein, dem GKV-Spitzenverband eine gesetzliche Vorgabe zu machen, bei der Bestellung seiner Vertreter im G-BA die Versicherteninteressen angemessen zu berücksichtigen.

Weitere Akteure einbinden?

FDP-Mann Ullmann sieht die Zweifel nach erstem Überblick bestätigt: „Die Ergebnisse der Gutachten zeigen eindeutig Handlungsbedarf. Wir werden uns damit umfassend beschäftigen, die Reformvorschläge der Gutachter auf den größtmöglichen Nutzen für Patienten und Leistungserbringer prüfen und gerade darauf achten, dass ein ­minimal-bürokratisches Fast-Track-Verfahren bei Bedarf möglich ist. Zur Stärkung der demokratischen Legitimation der Rechtssetzungstätigkeit des G-BA werden wir darüber nachdenken, die Patientenvertretung, aber auch andere Gesundheitsakteure, ­stärker in die Entscheidungen des G-BA einzubinden.“ |

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