Aus den Ländern

Die Droge zum Arzneimittel machen

Fachtagung Sozialpharmazie zum Thema „Substitution“

Die überarbeitete Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) und die neuen Richtlinien der Bundesärztekammer haben Bewegung in die Opioidsubstitutionstherapie gebracht. Neue Möglichkeiten der Vergabe und die Anpassung der Therapieziele führten zu neuen Optionen, aber auch zu Diskussionen und Unsicherheiten. Daher wurde bei der Fachtagung Sozialpharmazie das Thema Substitution aus verschiedenen Perspektiven betrachtet.

Die Fachtagung Sozialpharmazie findet jährlich statt und wurde bereits zum 21. Mal von der Akademie für öffentliches Gesundheits­wesen in Zusammenarbeit mit dem Landeszen­trum Gesundheit NRW ausgerichtet.

Methadon oder andere Substitute werden bei Suchterkrankten zur Behandlung einer chronischen Erkrankung eingesetzt – und nicht als Droge zu Konsumzwecken. Diese Sichtweise hat sich inzwischen allgemein durchgesetzt. Im Laufe der letzten Jahre mussten die rechtlichen Normen angepasst werden. Neben den Änderungen in der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV), die Dr. Kenan Maric-Horstmeyer aus dem Bundesgesundheitsministerium erläuterte und die auch in der Bundesratsdrucksache 222/17* erklärt sind, gaben Ärzte und Apotheker einen Einblick in den Alltag der Substitutionstherapie.

*Korrektur

Der Hinweis auf die Drucksache 221/17 aus der Printversion dieses Beitrags wurde korrigiert. Richtig muss es heißen: Bundesratsdrucksache 222/17. Wir bitten, das Versehen zu entschuldigen.

Foto: kmiragaya – stock.adobe.com
Hilfe beim Ausstieg Suchterkrankte dürfen nicht stigmatisiert werden und ein Zugang zu Substitutionsmitteln sollte flächendeckend möglich sein.

Dr. Robin Ghosh, Apothekeninhaber aus Krefeld, stellte den lokalen Substitutionsarbeitskreis vor, eine interdisziplinäre Gruppe, die ­gemeinsam Probleme bespricht und Lösungsansätze entwickelt. So beispielsweise eine Faxvorlage, die bei „Verordnungen psychotroper Medikamente für einen Drogenabhängigen/Substitutionspatienten“ an die Ärztin oder den Arzt geschickt wird. Dies wird oft als „Beikonsum“ bezeichnet, wobei der Begriff während der Fachtagung immer wieder diskutiert wurde. „Substitutionsmittel werden nicht konsumiert“, es handelt sich um eine Arzneimitteltherapie zur Behandlung einer Erkrankung, nicht um ein Konsummittel, was der Begriff „Beikonsum“ suggeriere, so Werner Terhaar, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie.

Problemgruppe: Älter gewordene Suchterkrankte

Kontrovers diskutiert wurde auch die Versorgung im Alter. Durch bessere medizinische Versorgung, insbesondere aber durch die Substitutions­therapie, steigt die Lebenserwartung Opioid-Abhängiger und somit auch die Nachfrage nach Pflegeplätzen in Altersheimen. Viele Einrichtungen sind nicht auf die Bedürfnisse dieser Patientengruppe eingestellt. Ebenso spielt die Stigmatisierung eine große Rolle. Said Ahmadi, Pflegedienstleitung des Alten- und Pflegeheims Oranienhof Köln, stellte seine Einrichtung vor. Dort finden Suchterkrankte einen Raum zum Leben. Mit viel Akzeptanz und Offenheit gelingen ein konfliktarmes Zusammenleben mit Anwohnern und eine patientenorientierte Versorgung gemeinsam mit anderen pflegebedürftigen Senioren.

„Mehr Normalität in der Substitution“ gefordert

Besonders eindrucksvoll war der Vortrag von Mathias Haede vom Selbst­hilfenetzwerk JES (Junkies, Exjunkies und Substituierte), der authentisch und realistisch die Patientensicht zeigte. „Mehr Normalität in der Substitution“ ist eine der Forderungen von JES. Flächendeckender Zugang zur Substitution und ein vertrauens- und respektvoller Umgang mit Patienten seien die Basis für eine gesellschaftliche Teilhabe und den Abbau der Stigmatisierung, so Haede.

Statt Substitution mit Ersatzstoffen wie Methadon, Levomethadon und Morphin, ist seit 2009 aufgrund der Ergebnisse der Heroinstudie auch die Therapie mit Diamorphin als reguläre Kassenleistung möglich. Der Sucht­mediziner Dr. Christian Plattner, Mitinhaber der Düsseldorfer Diamorphin­ambulanz, stellte die erste privat initiierte „Heroinvergabestelle“ in NRW vor. Bürokratische Hürden und ein hohes finanzielles Risiko behinderten die Etablierung solcher Praxen enorm. „Der sicherste Ort in Düsseldorf“ sei der Lagerraum des Heroins in der Praxis, aber das Erfüllen aller Vorgaben koste hohe Summen, so Plattner. Daneben seien auch unter Ärzten weiterhin Vorbehalte gegenüber dieser Therapie weit verbreitet.

Generell ist unter Ärzten und Apothekern auch 26 Jahre nach Legalisierung der Opioidsubstitutionstherapie immer wieder Ablehnung zu spüren. Der aufkommende Ärztemangel und die Weigerung von einigen Apotheken sowie die fehlende Unterstützung von Apothekerverbänden könne die Versorgung gefährden, betonte Heinrich Queckenberg, Apotheker aus Gelsenkirchen. Eine Anpassung der Honorierung, der Abbau von bürokratischen Hürden, die Gleichstellung der Therapie mit Diamorphin, sowie die Gleichstellung der Substitutionstherapie mit anderen BtM-Therapien wurden während der Tagung vorgeschlagen und diskutiert. Einig war man sich, dass die Substitutionstherapie eine sinnvolle Behandlung ist und die Versorgung in Zukunft unbedingt gesichert und verbessert werden muss – vorurteilsfrei und patientenorientiert sowie als normale medikamentöse Therapie einer chronischen Erkrankung. |

Susanne Erzkamp, Münster

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