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Europa um jeden Preis?

Foto: DAZ/Kahrmann
Dr. Armin Edalat, Chefredakteur der DAZ

Das Rx-Versandverbot hat ein großes Problem: Sein schlechtes Image, verbunden mit einer noch schlechteren Vermarktung.

Von Anfang an war klar, dass die Gesetzesinitiative nicht nur Anhänger findet – weder in der Politik noch in der Öffentlichkeit. Nun darf in einer parlamentarischen Demokratie diskutiert und gestritten werden, anschließend gilt es abzustimmen und zu entscheiden. Neben dem politischen Hin und Her sollte die Idee hinter dem Gesetz aber auch breiter kommuniziert werden. Nicht jeder versteht auf Anhieb, dass es dazu dient, die Gleichpreisigkeit und damit die flächendeckende Arzneimittelversorgung in Deutschland zu erhalten.

Natürlich gibt es die Patienten, die seit Jahren ihre Arzneimittel im Versandhandel bestellen und sich beim Einlösen ihrer Rezepte über Boni und Rabatte freuen. Und es gibt die Unternehmer und Apotheker, die ihre Geschäfte ganz oder teilweise auf das Versenden von Arzneimitteln ausgerichtet haben. Man wird diese Gruppen sicher nicht von einem Rx-Versandverbot überzeugen können. Doch die Marktanteile sind überschaubar: Laut aktuellem Apothekenwirtschaftsbericht liegen der Umsatz und der Absatz des Rx-Versandhandels bei um ein Prozent und des OTC-Versandhandels bei unter zwanzig Prozent (s. S. 24). Die weitaus größeren Teile der Branche, der Patienten sowie der übrigen (gesunden) Bevölkerung haben also mit dem Rx-Versandhandel gar nichts zu tun. Trotzdem sorgt das geplante Verbot für Furore, wie beispielsweise der Beitrag im ARD-Mittagsmagazin letzte Woche zeigte (s. S. 22): Sind wir Deutschen etwa „digitalisierungsfeindlich“? Werden die Interessen eines Berufsstandes über die der Allgemeinheit gestellt? Verstößt das Rx-Versandverbot gegen Europa- und Verfassungsrecht?

Das ist schlechte PR, sowohl für die Gesetzesinitiative als auch für die Apotheker mit ihrem Versorgungsauftrag. Eine Stimmung, die wahrscheinlich noch länger anhält, mit oder ohne Rx-Versandverbot. Dabei hätte die Standesvertretung – auch unabhängig von jeglicher politischen Kommunikation – hier konsequent für Aufklärung sorgen müssen: Digitalisierung im Gesundheitswesen gelingt vor allem mit den Leistungsträgern vor Ort. Und an der wirtschaftlichen Situation der Apotheken hängt die flächendeckende Versorgung.

In diesem Zusammenhang müsste man Gesundheitspolitiker fragen: Wie viel Europa tut dem Gesundheitssystem eigentlich gut? Denn unklar bleibt, was man sich von einer Öffnung dieses Marktes erhofft. Soll einem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden? Oder gibt es Versorgungslücken, die nur durch ausländische Leistungserbringer geschlossen werden können?

Der niederländische Autor Wouter Meijer erklärte vor zwei Jahren in einem Interview: „Unser Premierminister würde niemals im Parlament sagen, Europa ist ein Friedensprojekt. Er sagt immer: Es ist Handel, wir verdienen da eine ganze Menge Geld. Und wenn die Leute das nicht mehr glauben, dass sie Geld verdienen in Europa, […] dann sind sie weg.“ Nun darf man diese Aussagen nicht pauschalisieren, dennoch verdeutlichen sie, dass es in Europa ganz offensichtlich unterschiedliche Wertevorstellungen in Bezug auf Wirtschafts- und Sozialpolitik gibt. Und so kündigte der niederländische Premierminister Mark Rutte vor einigen Wochen tatsächlich an, gegen das geplante Rx-Versandverbot protestieren zu wollen.

Die Bundesregierung täte gut daran, ihren gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum – auch über ein mögliches Rx-Versandverbot hinaus – auszufüllen und ein bewährtes System wie die flächendeckende Arzneimittelversorgung nicht um jeden Preis zu europäisieren.

Dr. Armin Edalat

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