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Vitamin D verändert das Epigenom

Maßgeschneiderter Einsatz des Vitamins soll bei Multipler Sklerose helfen

FRANKFURT/M. | Vitamin D beeinflusst das Methylierungsmuster der DNA und somit die Genexpression. Im Endeffekt wird das Immunsystem moduliert. Bei Patienten mit Multipler Sklerose funktioniert das nicht unbedingt, da sie weniger sensitiv auf Vitamin D reagieren. Dass hier eine Behandlung mit personalisierten Vitamin-D-Dosierungen wirksam sein kann, wurde auf dem Kongress für menschliche Medizin am 14. April in Frankfurt berichtet, der mit 450 Teilnehmern ausgebucht war.
Foto: privat
Kongressleiter Uwe Gröber mit Prof. Dr. Cicero Galli Coimbra und Prof. Dr. Michael F. Holick (v.l.).

Gemeinsamer Nenner aller Autoimmunerkrankungen ist eine mitochondriale Dysfunktion, erläuterte Prof. Dr. Brigitte König aus Magdeburg. So ist beim Lupus erythematodes die Freisetzung oxidierter Mitochondrien-DNA ursächlich. Beim Leaky-Gut-Syndrom aktivieren Lebensmittelzusatzstoffe zuvor verborgene Bakterien-Antigene, die über ihre Metaboliten die regulatorischen T-Zellen aktivieren. Die T-Zell-Aktivität spielt auch bei der Multiplen Sklerose eine Rolle. So setzen aktivierte T-Helferzellen vom Typ 1 Zytokine frei, die die Myelinscheiden der Nerven zerstören.

Anfang der 1970er-Jahre identifizierte Prof. Dr. Michael F. Holick die im Blut zirkulierende Form von Vitamin D, das Calcidiol, und die aktive Wirkform, das Calcitriol. Das war die Grundlage für die Behandlung Vitamin-D-assoziierter Erkrankungen. Laut Holick, der am Boston University Medical Center forscht, sollten Erwachsene ab 18 Jahren täglich 1500 bis 2000 IE Vitamin D zuführen; adipöse Personen benötigen zwei- bis dreimal mehr. Frauen vor und während der Schwangerschaft sollten möglichst 4000 IE täglich aufnehmen. Während der Stillzeit sollten sie auf 6000 IE Vitamin D pro Tag erhöhen. Kinder sollten von Geburt an täglich 400 bis 800 IE erhalten, denn eine von Beginn an gute Versorgung mit Vitamin D fördert die Proteinhomöostase und die Langlebigkeit von Stressgenen.

Molekularschalter für die Vitamin-D-Wirkung

Wie Vitamin D im Menschen wirkt, erklärte Prof. Dr. Carsten Carlberg vom Institut für Biomedizin der Universität Kuopio, Finnland. Die Evolution von Vitamin D erfolgte vor 500 Millionen Jahren in Einzellern und im Plankton, als erstmals aus 7-Dehydro-Cholesterol Prävitamin D entstand. Mit der Entwicklung der Amphibien setzte in der Haut die Bildung von Vitamin D (Colecalciferol) aus dieser Vorstufe ein. Die biologisch aktive Form Calcitriol bindet an spezielle Vitamin-D-Rezeptoren, die im Grunde in jedem Gewebe vorkommen. Diese Komplexe lagern sich an viele Genloci an und beeinflussen die Genexpression. Vitamin D entfaltet seine Wirkung dabei über das Epigenom, über die Transkription, über die Bildung von Proteinen und über die Zellfunktion.

Physiologische Wirkungen

Physiologisch beeinflusst Vitamin D den Calcium- und Phosphat-Stoffwechsel, übt antiproliferative Effekte aus und moduliert das Immunsystem: Dabei wird die Aktivität des erworbenen Immunsystem reduziert, das Risiko für Autoimmunerkrankungen soll sinken. Zugleich verstärkt Vitamin D die angeborene Immunabwehr. Das Immunsystem ist zweifach von Vitamin D abhängig: einerseits über die direkte Vitaminwirkung, andererseits über Immunzellen, die die Metabolisierung von 25-Hydroxyvitamin D3 zu Calcitriol fördern. Das geschieht beispielsweise in Monozyten und Makrophagen, wodurch die Immunantwort und damit auch die Infektabwehr verstärkt werden kann.

Individueller Vitamin-D-Response-Index

Wie Untersuchungen mit prädiabetischen Personen über 60 Jahren ergaben, die mit jüngeren Personen reproduziert werden konnten, sprechen 25% der finnischen Bevölkerung nur schwach auf Vitamin D an. Von den untersuchten 24 Zielgenen und mehr als 100 klinischen Parametern erwiesen sich alle 24 Gene und zwölf Parameter als abhängig von Vitamin D. Es kann also ein persönlicher Vitamin-D-Response-Index definiert werden, der eine personalisierte Supplementation von Vitamin D ermöglicht. Durch eine optimierte Vitamin-D-Wirkung können somit klinische Effekte erreicht werden. Nach Carlberg ist bei MS-Patienten ein wesentlich höherer Prozentsatz von „Low-Respondern“ zu erwarten. Personen mit einer niedrigen Vitamin-D-Sensitivität sollten ganz besonders auf ihren Vitamin-D-Status achten.

Hochdosistherapie bei MS – das Coimbra-Protokoll

Bei der Multiplen Sklerose komme es darauf an, die Ursache zu behandeln, betonte Prof. Dr. Cicero Galli Coimbra von der Universidade Federal de São Paulo, Brasilien. Bei bestimmten MS-Patienten sei eine Vitamin-D-Resistenz aufgrund von epigenetischen Polymorphismen die Ursache. Zudem weisen zehn bis 15% der Weltbevölkerung eine Malabsorption von Vitamin B2 auf, das über das Enzym Vitamin-D-Hydroxylase direkt in den Vitamin-D-Stoffwechsel eingreift. So komme es auf die Dosisfindung an, bei der Multiplen Sklerose ebenso wie beim Lupus erythematodes und beim Autismus, der immer mehr als Autoimmunerkrankung begriffen werde.

Wie das Coimbra-Protokoll umgesetzt wird und dass es auf jeden Patienten maßgeschneidert werden muss, berichtete Christina Kiening, MS-Betroffene aus Gräfelfing. Die Therapie sollte in jedem Fall von einem zertifizierten Protokoll-Arzt begleitet werden. Denn wegen der Hyperkalzämie-Gefahr ist bei der Hochdosis-Therapie mit Vitamin D eine lückenlose Überwachung besonders wichtig, um Nierenschäden zu vermeiden. Wie Kiening berichtete, wurden bei ihr täglich 60.000 bis 140.000 IE Vitamin D eingesetzt. Eine klinisch stabile Situation wurde dann mit 80.000 IE täglich erreicht. Protokollgemäß wird die Vitamin-D-Therapie mit Mikronährstoffen unterstützt, die die Verwertung von Vitamin D erleichtern, das Immunsystem stabilisieren und die Bildung von Myelin sowie von Nerven- und Gehirnzellen fördern. Eine calciumarme Diät ist zwingend notwendig, und zur Hydratisierung sollten 2,5 Liter täglich getrunken werden. Bestandteil des Coimbra-Protokolls ist schließlich auch ein regelmäßiges Sportprogramm, z. B. drei- bis fünfmal wöchentlich eine halbe Stunde Trampolinspringen.

Vitamin D sei jedoch kein Allheilmittel, betonte Uwe Gröber, Apotheker und Mikronährstoffexperte aus Essen, in seiner abschließenden Einschätzung. Einzelfälle ließen sich nicht verallgemeinern. Da alles zusammenhänge, komme es immer auch auf die Ernährung und Lebensführung an. So wie Vitamin D die Modifikation der DNA verändert, wirke sich auch jede andere Lebensstilentscheidung auf das Epigenom aus. |

Dr. Christine Reinecke

Quelle: Kongress für menschliche Medizin – update 2018: Spitzen-Gesundheit und Mikronährstofftherapie bei Autoimmunerkrankungen. 14. – 15. April Frankfurt/Main; https://kongress-menschliche-medizin.de

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