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Schlaf – (k)ein Problem!

Schlafstörungen und Schlafmittelabhängigkeit

Schlafstörungen und schlechte Schlafqualität sind ein häufiges Phänomen. Welche therapeutischen Möglichkeiten der Hilfe gibt es, und wo sind die Risiken? Nicht selten ist Schlafmittelabhängigkeit eine Folge von laxem Verschreibungsverhalten und unzureichender Aufklärung. Doch wie kann der Ausstieg aus der Sucht gelingen? Dies thematisierte die 26. Jahrestagung der Fach­gruppe „Christen in der Pharmazie“ vom 16. bis 18. März in Marburg.

Grundbedürfnis Schlaf

Etwa ein Drittel seines Lebens verbringt jeder Mensch schlafend. Schlaf ist ein hochkomplexer, von verschiedenen Taktgebern gesteuerter Prozess, den unser Gehirn zur Konsolidierung und Regeneration benötigt.

Foto: Claudia Gehrhardt
Dr. Dorothee Erbe-Bechthold

Schlafmangel vermindert unsere Leistungsfähigkeit, führt zu erhöhter Infektanfälligkeit und auch zu verminderten Impfantworten. Darauf verwies Dr. Dorothee Erbe-Bechthold, Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie und Suchtmedizin in der Klinik Hohe Mark in Oberursel bei Frankfurt. Als Kriterien für ausreichend Schlaf nannte sie die Fragen: Fühlt man sich am Morgen ausgeschlafen? Und ist man am Folgetag belastbar?

Gestörter Schlaf

Behandlungsbedürftig sind Schlafstörungen, wenn sie mindestens dreimal pro Woche über mehrere Monate auftreten. Psychiatrische Krankheiten, wie Depressionen, können sowohl Ursache als auch Folge von Schlaf­störungen sein. Das wiederum kann zu einem Teufelskreis führen, so Erbe-Bechthold. Auch andere Erkrankungen wie Herzinsuffizienz, Pros­tatahyperplasie, Schmerzsyndrome oder Restless-Legs-Syndrom können Schlafstörungen verursachen.

Im Alter verändert sich die Schlafarchitektur generell, weshalb Schlafstörungen bei Menschen über 50 deutlich häufiger auftreten können. Eine zu hohe Erwartungshaltung kann das Problem noch verschärfen.

Zuerst nichtmedikamentös

Schlafhygienische Maßnahmen und eine sorgfältige Eigenanamnese sollten immer vor einer medikamentösen Therapie erfolgen. Manchmal genügt es schon, auf die Nutzung des Handys am Abend (wegen des blauen Lichts) zu verzichten, Alkohol zu meiden oder den Fernseher aus dem Schlafzimmer zu verbannen, riet Erbe-Bechthold.

Pflanzliche Schlafmittel

Zur Bewertung von Arzneipflanzen gibt es mehrere Kommissionen, die nicht immer zu übereinstimmenden Ergebnissen kommen. Für die europä­ische Behörde EMA erstellt der Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel (Committee on Herbal Medicinal Products, HMPC) entsprechende Monografien. Diese online verfügbare Quelle empfahl Prof. Dr. Maike Petersen vom Institut für Pharmazeutische Biologie und Biotechnologie der Philipps-Universität Marburg. Für nervös bedingte Einschlafstörungen oder nervöse Unruhe haben die Kommissionen folgende pflanzlichen Drogen übereinstimmend positiv bewertet: Baldrianwurzel, Melissenblätter, Lavendel­blüten, Hopfenblüten und Passions­blumenkraut.

Foto: Jens Kreisel
Prof. Dr. Maike Petersen

Kritischer sieht es allerdings die 2017 aktualisierte S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf / Schlafstörungen“ der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM). Ihr zufolge ist die Überlegenheit von Phytotherapeutika gegenüber Placebo sehr gering, auch weil viele Studien methodische Mängel aufweisen.

Petersen bedauerte, dass nur selten wissenschaftlich anerkannte Studien zu schlaffördernden Arzneipflanzen durchgeführt werden. So weiß man bei der eigentlich gut untersuchten Baldrianwurzel nicht genau, warum es bei regelmäßiger Einnahme des Extraktes zum Teil über 14 Tage dauert, bis die maximale Wirkung eintritt.

Pflanzliche Arzneidrogen helfen beim Einschlafen, haben aber wenig Einfluss auf das Durchschlafen, betonte Petersen. Verblüffend ist dabei, dass Hersteller bei gleichem Auszugsmittel und Droge-Extrakt-Verhältnis dennoch zu unterschiedlichen Dosierungsempfehlungen und Indikationsgebieten kommen.

Leider lassen viele Hersteller ihre Neuausbietungen als traditionelles Arzneimittel registrieren, anstatt eine echte Zulassung zu beantragen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist Lioran® centra, „ein traditionelles pflanzliches Arzneimittel zur Besserung des Befindens bei nervlicher Belastung und zur Förderung des Schlafes“ (laut Fachinformation).

Chemisch definierte Schlafmittel

Von den verschreibungspflichtigen Hypnotika werden Benzodiazepine und die sogenannten Z-Substanzen häufig viel zu lange regelmäßig angewendet. Laut Leitlinie sind maximal vier Wochen empfohlen, betonte Erbe-Bechthold. Zudem verwies sie darauf, dass nicht nur Tiefschlaf und REM-Schlaf negativ beeinflusst werden, sondern auch das Abhängigkeitspotenzial oft unterschätzt wird. Chloral­hydrat ist wegen der geringen therapeutischen Breite generell nicht empfehlenswert. Selbst bei der längeren Anwendung von Antihistaminika gibt es Fälle von Abhängigkeiten und Überdosierungen.

Melatonin ist zwar häufig nur etwa fünf Tage lang wirksam, entwickelt aber kaum Nebenwirkungen.

Erbe-Bechthold verwies darauf, dass sich niedrigdosierte Antidepressiva zur Schlafinduktion bewährt haben, zumal es nicht zur Suchtentwicklung kommt. In der Gerontomedizin werden zuweilen auch Antipsychotika genutzt.

Hypnotika: Abhängigkeit und Entzug

Als Grundmuster eines Suchtverhaltens nannte Erbe-Bechthold den Wunsch, Lebensprozesse „künstlich“ abkürzen zu wollen. Meist kommt es hierbei wegen des Wirkverlustes zu Dosissteigerungen. Das dabei entstehende lebenslange Suchtgedächtnis begünstige Suchtverlagerungen oder auch Rückfälle. Bereits eine sechs­wöchige regelmäßige Benzodiazepin-Einnahme kann zur Abhängigkeit führen.

Der Hypnotika-Entzug muss oft sta­tionär durchgeführt werden. Neben einem REM-Schlaf-Rebound mit Albträumen kann es sechs Monate dauern, bis die gestörte Schlafarchitektur sich normalisiert hat. Dabei ist der Entzug von Z-Substanzen noch härter, wenn auch seltener, berichtete Erbe-Bechthold aus ihrer Erfahrung.

Schlaf – ein Segen

Schlaf ist ein Geschenk und keine vertane Zeit. Darauf verwies Pfarrer Thomas Drumm, Leiter der Akademiker-SMD, Marburg. Gerade angesichts von Sorgen und vergeblicher Mühe im Alltag ist es ein Segen, schlafen zu können. „Seinen Freunden gibt ER Schlaf“, übersetzte Drumm Psalm 127,2b wörtlich. Einschlafen kann so zu einer Übung des Abgebens und Loslassens an Gott werden.

Die 26. Jahrestagung, an der über 50 aktive und angehende Pharmazeutinnen und Pharmazeuten teilnahmen, wurde bei der LAK Hessen mit sechs Fortbildungspunkten akkreditiert.

Die nächste Tagung der Fachgruppe Christen in der Pharmazie findet vom 15. bis 17. März 2019 in Brotterode/Thüringen statt.

Das Thema wird sein: „Alternativmedizin – was steckt oft dahinter?“ Weitere Informationen siehe www.pharmazie.smd.org. |

Jens Kreisel, Plauen

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