Interpharm 2018 - GD-Symposium

Mit Rezepturen therapeutische Lücken schließen

Gesellschaft für Dermopharmazie betont den Wert der individuellen Arzneimittelherstellung

ms/tmb | Die Rezeptur gehört zu den ureigenen Aufgaben der Apotheke. Aber nicht nur für Pharmazeuten, sondern auch aus Sicht der Dermatologen besitzt sie einen besonderen Stellenwert. Auf dem Symposium der Gesellschaft für Dermopharmazie (GD) wurde erläutert, welche therapeutischen Lücken durch die Rezeptur geschlossen werden können. Hilfe bei der ordnungsgemäßen Herstellung der individuellen Arzneimittel bieten die Positions­papiere der GD, von denen drei vorgestellt wurden.
Foto: DAZ/Chris Hartlmaier
Prof. Dr. Petra Staubach-Renz

Rezepturen sind immer dann gefragt, wenn kein Fertigarzneimittel verfügbar ist. Das ist vor allem in der Kinderdermatologie von Bedeutung, erklärte Prof. Dr. med. Petra Staubach-Renz, Hautklinik Universitätsmedizin Mainz, auf dem Symposium. „Wir werden weltweit beneidet um unseren Schatz an Rezepturen und diesen sollten wir hochleben lassen und weiter ausbauen.“ Aber auch wenn die individuelle Arzneimittelherstellung viele Vorteile hat, so gibt es, was die Arzt-Apotheker-Kommunikation angeht, wohl noch Probleme – zumindest aus Sicht der Pharmazeuten. Wie Staubach-Renz anhand einer Umfrage unter Ärzten und Apothekern aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland zeigen konnte, fanden 58% der Apotheker, dass der Austausch mit den Ärzten mit Ärger verbunden ist. Die Mediziner sind da zufriedener – nur 26% dachten hier genauso.

Wann sind Rezepturen sinnvoll?

Staubach-Renz unterstrich den Wert der Rezeptur anhand von Beispielen aus der dermatologischen Praxis. Therapeutische Lücken entstehen, wenn kein Fertigarzneimittel auf dem Markt ist - was vor allem bei Schleimhauterkrankungen oft der Fall wäre. „Oder auch bei Anaphylaxien: Die Leute benötigen Notfallsets mit einer hohen Dosis Cortison und es gibt kein Fertigarzneimittel dazu.“ Die Rezeptur bietet auch die Möglichkeit, in der Dosis zu variieren. „Wir haben oft keine Fertigarzneimittel in der Konzentration, wie wir es für Kinder brauchen“, verdeutlichte Staubach-Renz. Aber auch, wenn – wie bei der Krätze der Fall – zwar ein Fertigarzneimittel verfügbar ist, jedoch wesentlich größere Mengen benötigt werden, kann die Rezeptur in die Bresche springen. Ebenso wird eine individuelle Lösung bei der Hautinfektion Impetigo contagiosa notwendig. Das angewendete Antiseptikum Octenidin ist nur in Form von Gelen oder Lösungen auf dem Markt – benötigt wird aber eine Creme oder Salbe.

Foto: DAZ/Chris Hartlmaier

Ein Rezepturbestandteil, der nach Staubach-Renz zu viel verordnet wird, ist Erythromycin. „Es gibt neue Erkenntnisse, es gibt neue Leitlinien. Kein Mensch will mehr ein Antibiotikum auf der Haut.“ In Zukunft werde sich da einiges ändern. Bei den Corticosteroiden sollen in Zukunft vor allem Steroide mit dem therapeutischen Index 2 (TIX-2) verordnet werden, bei denen die Wirksamkeit wesentlich höher ist als die Nebenwirkung. „Gerade Prednicarbat verwenden wir auch bei kleinen Kindern.“ Ein anderer Rezepturbestandteil ist nach Staubach-Renz dagegen zu sehr in Vergessenheit geraten: Ammoniumbituminosulfonat. „Ichthyol ist kein Teer, aber für viele ist das das gleiche. Da muss man immer wieder darauf hinweisen“, erläutert die Medizinerin. Es gibt sowohl Fertigarzneimittel, aber auch Rezepturen mit Zinkoxid-Schüttelmixtur. Der Vorteil: Ammoniumbituminosulfonat kann schon bei Säuglingen verwendet werden. „Das sind gute Alternativen, die wir gar nicht nutzen.“

Foto: DAZ/Chris Hartlmaier
Dr. Andreas Hünerbein

„Pizzarezepturen“ vermeiden

Apotheker Dr. Andreas Hünerbein, Naumburg, stellte die Arbeit der Gesellschaft für Dermopharmazie und speziell die der Fachgruppe Magistralrezepturen vor. Dazu ging er auf drei Positionspapiere der GD ein. Die „Leitlinie Dermatologische Rezeptur“ beschreibt den theoretischen Hintergrund der individuellen Arzneimittelherstellung. Gleich in der Präambel wird verdeutlicht, dass für die Rezeptur Verordner, Apotheker und auch die Lieferanten gemeinsam verantwortlich sind. Umso wichtiger sei es, die Sichtweisen der anderen Berufsgruppen zu berücksichtigen, um zu einem Ergebnis zu kommen, betont Hünerbein. Die Leitlinie sei deshalb auch für nicht-pharmazeutisch Tätige verfasst worden. Inhaltlich stehen rezepturtypische Aspekte wie z. B. Plausibilitätsprüfung, das therapeutische Konzept oder umstrittene Bestandteile im Mittelpunkt. Speziell ging Hünerbein auf Rezepturen mit mehreren Wirkstoffen ein. „Klassische ‚Pizzarezepturen‘, in die alles eingebaut wird, was den Patienten helfen könnte, sind zu vermeiden.“ Mehr als zwei Wirkstoffe in einer Rezeptur sollten nur in Ausnahmefällen verordnet werden. Ein oft von Apothekern nicht berücksichtigter Punkt bezüglich Rezepturen ist die Meldung unerwünschter Arzneimittelwirkungen. „Meist denken Apotheker eher bei Fertigarzneimitteln daran“, meinte Hünerbein. Er appelliert deshalb an die Pharmazeuten, auch Nebenwirkungen von Magistralrezepturen zu melden.

Hygiene sollte ein gewisses Niveau haben

Der „Hygieneleitfaden“ beschreibt Methoden, um die mikrobiologische Qualität von Rezepturen zu gewährleisten. Beschrieben werden neben Aspekten der Raum-, Geräte- und Personalhygiene auch Anforderungen an Ausgangsstoffe, Behältnisse und die Abfallentsorgung. „Gerade mit Blick auf die pharmazeutische Industrie, die berechtigt oder auch unberechtigt die Herstellung von Rezepturen kritisiert, sollten wir uns um ein gewisses Niveau kümmern“, mahnte Hünerbein an. Das beträfe nicht nur, aber eben auch die Hygiene. Die Leitlinie unterstützt Apotheker bei der Hygiene­planung durch die Bereitstellung von Musterplänen und mit Checklisten zur Selbstinspektion.

Relevante Informationen zu den Wirkstoffen stellt die Gesellschaft für Dermopharmazie in Form der „Wirkstoffdossiers“ zur Verfügung. Alle wichtigen Eigenschaften sind darin tabellarisch enthalten. Dazu gehören beispielsweise Indikationsgebiet, Dosierung oder auch physikalische Eigenschaften.

Foto: DAZ/Chris Hartlmaier
Dr. Holger Reimann

Pharmazeutische Fallstricke in der Rezeptur

Dr. Holger Reimann, Eschborn, lobte die Bemühungen der Apotheker und der Dermatologen um die Qualität der Rezepturen, aber es gebe immer wieder neue Herausforderungen und pharmazeutische Fallstricke bei dermatologischen Rezepturen. Reimann verdeutlichte die zwei unterschiedlichen Seiten von Lieferengpässen. Versorgungsprobleme bei Fertigarzneimitteln könnten durch alternativ einsetzbare Rezepturarzneimittel gelöst werden, z. B. mit Prednisolon-Saft NRF 34.1 zur akuten Behandlung allergischer Reaktionen als Ersatz für Celestamine® N. Doch umgekehrt können zeitweilige oder dauerhafte Lieferprobleme bei Ausgangsstoffen zu Problemen bei Rezepturen führen. Manchmal könnten sogar Fertigarzneimittel als Ersatz für Rezepturausgangsstoffe dienen, wie bei Chinolinolsulfat-Kaliumsulfat, das durch Chinolinolsulfat-Monohydrat-­Tabletten ersetzt werden könne. Die letzte Option zum Ersatz von Polyhexanid sei der Import eines als Fertigarzneimittel zugelassenen Rezepturkonzentrats. Nötigenfalls könnten auch Ausgangsstoffe eingesetzt werden, die zur Verwendung in Kosmetika hergestellt werden, sofern im jeweiligen Fall ihre Arzneibuchqualität nachgewiesen sei. Bei nicht GMP-konform hergestellten Ausgangsstoffen komme es auf die fallweise Risikobewertung an, erklärte Reimann.

Zu den wichtigen praktischen Problemen bei einigen Rezepturen zählt Reimann die Einstellung eines passenden pH-Wertes. Während sauer reagierendes Lidocainhydrochlorid in Mundspüllösungen unproblematisch erscheint, forderte Reimann eine genaue pH-Einstellung für Zubereitungen mit Dexpanthenol. Noch größere Probleme bereitet Octenidindihydrochlorid, das mit vielen Anionen als Salz ausfällt. Dagegen bietet sich eine Stammlösung in Glycerol an. Unterschiedliche Deklarationen als Säure beziehungsweise Base oder als Salz sind zwar selten kritisch, aber bei systemisch verabreichtem Propranolol gegen Hämangiome bei sehr kleinen Kindern sei die therapeutische Breite sehr gering und gerade dort würden Konzentrationsangaben mal auf die Base, mal auf das Salz bezogen.

Foto: DAZ/Chris Hartlmaier
Dr. Cord Willhöft

Rechtliche Voraussetzungen für Defekturen

Dr. Cord Willhöft, München, betonte, dass Rezeptur- und Defekturarzneimittel rechtliche Ausnahmen von der Zulassungspflicht für Fertigarzneimittel darstellen. Zu den Voraussetzungen für die Defekturherstellung gemäß § 21 Absatz 2 AMG gehört die nachweislich häufige Verordnung. „Häufig“ bedeute dabei, dass eine Bevorratung gerechtfertigt sei. Die Voraussetzung wesentlicher Herstellungsschritte in der Apotheke sei auf jeden Fall erfüllt, wenn diese Schritte erst die Anwendung des Arzneimittels in der gewünschten Weise ermöglichen. Eine Abgabe im Rahmen der Apothekenbetriebsordnung finde auch statt, wenn ein Defekturarzneimittel aus einer Hauptapotheke in einer Filiale abgegeben werde, und auch der bundesweite Versand sei zulässig. Die Grenze von 100 Packungen pro Tag beziehe sich auf die Zahl der Einheiten, die an jeweils einen Patienten ausgehändigt werden. Sie könne daher nicht durch beliebige Definitionen von Klinik­packungen ausgehebelt werden. Da das Arzneimittelrecht in der EU weitgehend harmonisiert sei, müsse die Defektur auch dem EU-Recht genügen. Dazu habe der Europäische Gerichtshof in der Einzelfallentscheidung zu einer Defektur bestätigt, dass dies keine industrielle Herstellung sei, die eine Zulassung erfordern würde. Vielmehr sei die Arbeitsweise als „Handwerk“ einzustufen.

So würden die Apotheker mit Rezeptur und Defektur über wichtige Privilegien verfügen. Doch sieht Willhöft eine wesentliche Grenze bei der Werbung. Das Heilmittelwerbegesetz führe de facto zu einem Werbeverbot für Rezepturen und Defekturen. Denn für Gesundheitswerbung seien strenge Maßstäbe an den Beleg von Aussagen anzulegen. Es werde ein Evidenzgrad gefordert, der praktisch nur mit kontrollierten randomisierten Studien zu erreichen sei, die jedoch für Rezepturen und Defekturen weder praktikabel noch finanzierbar sind.

Foto: DAZ/Chris Hartlmaier
Dr. Thomas Müller-Bohn

Eckpunkte für Rezepturhonorar

Rezepturarzneimittel würden auch nach der Erhöhung der Rezepturtarife im Mai 2017 unterhalb ihrer Teilkosten honoriert, konstatierte Dr. Thomas Müller-Bohn, Süsel. Er forderte eine berufspolitische Diskussion über die Honorierung von Gemeinwohlpflichten. Wer jede einzelne Leistung genau bepreisen wolle, brauche eine Vollkostenrechnung, die auch Sachkosten berücksichtige. Für Rezepturen würden dann jedoch abschreckend hohe Preise drohen, sodass die kalkulierten Rezepturanzahlen nicht mehr zu erreichen seien. Für eine komplette Pauschal­finanzierung spreche dagegen, dass die Leistungen für verschiedene Versicherte in der Solidargemeinschaft ohnehin gemeinsam getragen würden. Doch Müller-Bohn warb für einen Kompromiss. Die Rezepturtarife sollten die Teilkosten für unproblematische Verordnungen decken, um Fehlanreize durch zu billige Rezepturen zu vermeiden. Die übrigen Kosten sollten weiterhin über eine Mischkalkulation finanziert werden. Diese müsse auch Maßnahmen zur Qualitätssicherung tragen, um eine qualitativ hochwertige Versorgung zu ermöglichen.

Gute Zukunftsaussichten

Müller-Bohn sieht die Rezeptur als Idealbeispiel für eine interdisziplinäre patientenorientierte Versorgung. Die klassische Rezeptur erfordere die enge Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheker und nutze damit schon seit langer Zeit Versorgungsstrukturen und Kommunikationswege, die durch das Medikationsmanagement in jüngerer Zeit stärker ins Bewusstsein der Heilberufler getreten sind. Angesichts der zunehmenden regulatorischen Anforderungen an Fertigarzneimittel erwartet Müller-Bohn langfristig steigenden Bedarf für Rezepturen, sodass die Apotheker diese Kompetenz konsequent pflegen sollten. |

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.